Der Medizintourismus in Deutschland hat wieder ein stabiles Niveau erreicht. Zu diesem Ergebnis kommt die Forschungsstelle Medizintourismus der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Für ihre jüngste Analyse hat sie die Daten von rund 155.100 Patienten ausgewertet, die 2021 stationär oder ambulant in Deutschland behandelt wurden. Die Zahlen belegen der Hochschule zufolge, dass fast 65 Prozent aller Auslandspatienten mittlerweile aus den Nachbarländern kommen.
Rückgang bei Beneluxländern und dem Vereinigten Königreich
An vorderster Stelle steht dabei weiterhin Polen (10.383 Patienten), gefolgt vom Frankreich (5.958 Patienten). Erstmals war ein Nachfragerückgang aus den Beneluxländern (minus 10 Prozent, 9.646 Patienten) und dem Vereinigten Königreich (minus 37 Prozent, 770 Patienten) zu beobachten.
Der Medizintourismus hat für das deutsche Gesundheitssystem nicht unerhebliche wirtschaftliche Bedeutung: Mit Patientinnen und Patienten aus dem Ausland erzielte es 2021 Einnahmen in Höhe von etwa 750 Millionen Euro.
Mehr als 40 Länder engagieren sich global im Markt des Medizintourismus. Weitere 60 Länder verfügen über Kliniken mit einer starken Anziehungskraft für internationale Patienten – wobei der Markt teils unter Pandemie und Ukraine-Konflikt gelitten hat. Lesen Sie hier, welche Länder als führende Destinationen gelten und welchen Platz Deutschland im Medizintourismus einnimmt.
„Grund für die beständige Nachfrage nach komplexen medizinischen Behandlungen in Deutschland sind die defizitären oder eingebrochenen Gesundheitssysteme im Ausland“, sagt Mariam Asefi, Leiterin des Forschungsbereichs Medizintourismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
Zahl der russischen Medizintouristen bleibt konstant
Trotz der stark zurückgegangenen Anreisen aus dem bis dahin wichtigsten Herkunftsland Russland blieb die Gesamtzahl der Medizintouristen im Jahr 2021 konstant. Die Nachfrage aus Weißrussland, Georgien und Kasachstan stieg im Pandemiejahr 2021 gegenüber dem Vorjahr deutlich an (Weißrussland plus 69 Prozent, Georgien plus 28 Prozent, Kasachstan plus 9 Prozent). Die Hochschule erwartet, dass die Nachfrage aus diesen Ländern trotz der aktuellen Indikatoren wie Krieg, Sanktionen und Inflation weiter zunehmen wird.
Mehr Medizintouristen aus den Golfstaaten
Im Hinblick auf die Medizintouristen aus den Golfstaaten geht Asefi von einem erneuten Anstieg aus. Sie beobachtet mit ihrem Forschungsbereich insbesondere die Patientenanfragen aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait. Den neuesten Auswertungen nach besuchten im Jahr 2021 rund 2.400 arabische Patienten deutsche Kliniken für eine Behandlung, Tendenz steigend.
Für die bleibende Nachfrage nach medizinischer Behandlung in Deutschland sieht Asefi vor allem folgende Gründe: Nicht vorhandene hochspezialisierte Therapien in den Herkunftsländern, unzureichende Medikamentenversorgung und fehlendes Vertrauen in das heimische Gesundheitssystem.
Aktuell lässt die Erdbebenkatastrophe in der Türkei Deutschland im europäischen Wettbewerb zur vorrangigen Zieldestination aufrücken. Bestimmte Einflussfaktoren bremsen jedoch die Entwicklungen. „Wesentlich zu nennen sind hier die Vergabeverfahren von medizinischen Visa, Barrieren in den internationalen Zahlungstransfers sowie mögliche Kapazitätsengpässe in den Kliniken“, sagt Asefi.
Niedersachsen verliert die meisten Medizintouristen
Heterogene Entwicklungen zeigen sich in den einzelnen Bundesländern. So haben etwa Sachsen, Hessen und Bayern einen Zuwachs an internationalen Patienten zwischen 2 und 9 Prozent verzeichnet. Dagegen haben Niedersachsen (minus 30 Prozent), Sachsen-Anhalt (minus 23 Prozent) oder Nordrhein-Westfalen (minus 13 Prozent) am stärksten Auslandspatienten verloren.