Kunden aus dem Ausland können deutschen Kliniken einen Zusatzumsatz bescheren. Aber auch der Blick über die Grenzen erscheint interessant: Warum nicht selbst in diesen Märkten aktiv werden? Immer besser ernährte Inder und Chinesen leiden auch verstärkt an Wohlstandskrankheiten. Ein weites Betätigungsfeld für deutsche Unternehmen.
Wer im Frühjahr seine Lebensmittel im „Eurospar“ im Münchner „Arabella Park“ im Stadtteil Bogenhausen ersteht, der wird sich ob der vielen Menschen orientalischen Aussehens in dem Supermarkt wundern. In edle Stoffe gewandet, werden sie in großen Autos von Chauffeuren zum Einkaufen gefahren. Sie alle bewohnen die größten Suiten der umliegenden Luxushotels. An ihren Armen blitzen Rolexuhren, mit Diamanten verziert. Die Frauen sind tief verschleiert und tragen Burkas. Ihre Angehörigen liegen in Einbettzimmern in einem der Häuser der Städtischen Kliniken München mit Chefarztbehandlung.
Für viele Kliniken ist die Behandlung ausländischer, sogenannter elektiver Patienten ein gutes Zusatzgeschäft. Elektive Kunden sind solche, die sich im Ausland für eine planbare Behandlung in einer deutschen Klinik selbst entschlossen haben. „Für uns ein guter, aber kein überragender Zusatzumsatz“, sagt Manfred Greiner, Vorsitzender der Geschäftsführung des Städtischen Klinikums München, im Gespräch mit f&w. Immerhin ein Prozent des jährlichen Umsatzes komme mit Patienten aus der Golfregion und zunehmend auch den ehemaligen GUSStaaten, berichtet der Vorstandschef. Eine private Vermittlungsagentur namens „Europe Health“ mit Hauptsitz in Deutschland, deren Geschäftsführer ein Araber sei, kooperiere seit Jahren hervorragend mit den Kliniken in München.
Dazu unterhalte die Agentur verschiedene Verbindungsbüros in allen Staaten der Emirate. Das Vermittlungsbüro verdiene durch die Provisionen, die die vermögende Kundschaft direkt zahle. Wenn die ausländische Kundschaft mit Personal, Fuhrpark und mitunter eigenen Köchen anreiste, dann organisiere das alles „Europe Health“. Die Agentur vermittelt auch Transfers oder große Hotelsuiten. Ein weiterer wichtiger Partner für die Münchner Städtischen Kliniken sei das Staatliche Versicherungsbüro der Vereinten Arabischen Emirate (VAE). Dieses Büro vermittle unentgeltlich Patienten, wenn für diese normalen Bürger der VAE keine ausreichende ärztliche Versorgung in den Ölstaaten gefunden werden könne. Nicht zuletzt haben die Münchner im Klinikum eine arabische Dolmetscherin angestellt.
Für Kunden, die sich zwar nicht ihre eigenen Köche mitbringen könnten, aber die deutsche Klinikkost verschmähten, kooperierten die Kliniken mit den umliegenden Fünf-Sterne- Häusern – allen voran mit dem Arabella Sheraton. Hier kochten arabische Köche speziell für die kranke Klientel, aber auch für deren mitgereisten Angehörigen. Solche betuchte Kundschaft freut nicht nur die Klinikleitung. Erst kürzlich zeigte sich der Chef der Wirtschaftsförderung der bayerischen Landeshauptstadt, Dr. Reinhard Wieczorek, hoch erfreut über die Gesundheitstouristen aus den Wüstenländern. Während die Familienmitglieder genesen, shoppten die Angehörigen in den Edel-Boutiquen der Stadt und bescherten dem Münchner Einzelhandel schöne Umsätze, sagte der Stadtrat.
Behandlung bevorzugt von Mai bis September
Für Klinik-Vorstandschef Greiner ist sein Standort einer, an dem die Leute in Burga, Schleier oder Kaftan zum ganz normalen Stadtbild gehörten und sich keiner nach diesen Kunden umdrehe. Das sei angenehm für die Fremden. Besonders gern komme die Klientel aus den Emiraten in den Monaten Mai bis September, in denen daheim das Quecksilber im Thermometer selten unter 45 Grad Celsius fällt. Dann reisten insbesondere Araber an, die sich am Klinikum Bogenhausen orthopädischen Operationen unterzögen oder neurochirurgisch behandelt werden müssten. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, plastische Chirurgie, aber auch die Versorgung Schwerstbrandverletzter seien weitere Betätigungsfelder, in denen die Heimatländer nicht über genügend gut ausgebildete Ärzte, Pfleger und Ausstattung verfügten. Genauso wie in der Behandlung von Tumorerkrankungen bei Kindern, auf die die Schwabinger Kinderklinik spezialisiert ist.
Um noch mehr vermögende Kundschaft zu holen, sind die Städtischen Kliniken auch im Ausland auf speziellen Gesundheitsmessen für Endverbraucher präsent, oder sie umwerben auf der „Arab Health“ in Dubai und der Gesundheitsmesse in Moskau die Kundschaft. Auch ins saudi-arabische Riad pflegen die Münchner Mediziner gute Kontakte. Zuweilen holt man sich dort Münchner Chefärzte als Berater für besonders schwierige Fälle. Auch Manager des National British Health Service, also des britischen Gesundheitssystems, werden dem Vernehmen nach bei deutschen Kliniken vorstellig. Sie versuchten, Behandlungskapazität einzukaufen, um die horrenden Wartezeiten auf Operationen in Großbritannien abzukürzen. Aber solange solche Kapazitäten nicht für das ganze Jahr, sondern nur für bestimmte Zeiten aus England nachgefragt würden, sei das für München unrentabel.
Denn schließlich haben die Kliniken an der Isar einen Behandlungsauftrag primär für die eigene Bevölkerung. Auch die Öffnung der europäischen Binnenmärkte dürfte sich nach Meinung des bayerischen Klinik-Managers für deutsche Krankenhäuser bezahlt machen. Am ehesten würden Häuser in Grenznähe profitieren. Dieser Meinung ist auch der Gesundheitsökonom Stephan von Bandemer vom Institut Arbeit und Technik (IAT) der Fachhochschule Gelsenkirchen. Ausländische Gastpatienten seien für deutsche Krankenhäuser eine Möglichkeit, sich auf eine Internationalisierung der Gesundheitswirtschaft einzustellen und zusätzliche Einnahmen zu erzielen.
Von 2004 auf 2005 – neuere Zahlen existieren nicht – stieg bundesweit die Zahl der ausländischen Gastpatienten von 50 683 auf 54 059. Dabei waren allerdings die Krankenhäuser in Süddeutschland erfolgreicher als jene im Westen. Während Bayern 1 142 weitere und Baden-Württemberg 1 801 neue Gastpatienten verzeichnete, sank die Zahl der Gastpatienten in Nordrhein-Westfalen (NRW) um 1 263. Die Entwicklung zeigt nach den Analysen des IAT und des Sozial- und Seniorenwirtschaftszentrums (SWZ/Gelsenkirchen), dass sich ein starkes Engagement auf Auslandsmärkten auszahlt.
Die kräftigsten Zuwächse in Bayern sind bei Patienten aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait, in Baden-Württemberg aus Frankreich und der Schweiz, aber auch Russland, Kuwait und Saudi-Arabien zu verzeichnen. NRW verliert nach den Erkenntnissen von Bandemers vor allem Gastpatienten aus Belgien, den Niederlanden und der Türkei. Rheinland-Pfalz, Hamburg und Berlin legen im Bundesländervergleich zu, während das Saarland und Niedersachsen zu den Verlierern zählen. Gute Kooperationen mit dem Ausland erreichen Kliniken, die wie die Münchens mit Vertretungen im Ausland auf sich aufmerksam machen. Als Beispiele für Krankenhäuser, die solche Verbindungsbüros außerhalb Deutschlands unterhalten, nennt von Bandemer die Endoklinik Hamburg, die Epilepsie-Stationen der Kliniken Bethel und Bonn, das Universitätsklinikum Mannheim und die Freiburger Uniklinik.
Das Malteser Krankenhaus Flensburg habe durch seinen Versorgungsvertrag für das ganze südliche Dänemark an Bekanntheit gewonnen. Trotz solcher erster, guter Ansätze müssten sich noch viel mehr Kliniken international ausrichten, um ihre Führungsposition im globalen Wettbewerb zu halten, fordern die Gesundheitsökonomen im Ruhrgebiet: durch Kooperationen von Kliniken mit anderen Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft. Mit 4,3 Millionen Beschäftigten und einem Umsatz von 234 Milliarden Euro seien Medizin und Gesundheit bereits der zukunftsträchtigste Sektor der stark exportorientierten deutschen Wirtschaft. Denn im Vergleich zu den globalen Potenzialen spiele die Nachfrageentwicklung in Deutschland nur eine untergeordnete Rolle. So würden für das Jahr 2025 weltweit 194 Millionen Diabetes-Erkrankungen prognostiziert, lediglich zwei Prozent davon entfielen auf Deutschland.
China und Indien könnten deutschem Markt nutzen
Besonders die bevölkerungsstarken Länder wie China und Indien würden mit diesen Krankheiten zu kämpfen haben. Das zeige, dass die Internationalisierungsstrategien der deutschen Gesundheitsdienstleister derzeit noch in den Anfängen seien. Deutsche Kliniken müssten ihr Know-how exportieren. Bislang habe niemand berechnet, welche Gewinnchancen ein Gesundheitskonzern wie Fresenius hätte, wenn er sein Know-how aus den Helios-Kliniken zum Thema Prävention mit dem Dialyse- Geschäft verknüpfte. Prävention, Insulin, Dialyse: Alles das könnte ein solcher Klinikkonzern verkaufen, sogar Nierentransplantationen. Denn wenn man die 75 Millionen Diabetiker Indiens isoliert betrachte, brauche die Hälfte davon Insulin und ein Prozent – statistisch betrachtet – später die Dialyse: rechnerisch ein Patientenvolumen 750 000 dialysepflichtiger Patienten. Der Gesundheitsökonom warnt: „Entweder sind wir Deutschen dabei – auch mit unseren Kliniken – oder wir in Deutschland klammern uns aus.“
Um die internationale Nachfrage befriedigen zu können, legte das Bundesministerium für Bildung und Forschung nach eigenen Angaben das Verbundprojekt „Health Care Export“ auf. Darin sollen die Rahmenbedingungen zur Internationalisierung von Gesundheitsdienstleistungen aufgearbeitet und Strategien und Instrumente zur Umsetzung entwickelt werden. Das Projekt soll Systemangebote entlang den Krankheitsbildern in der Wertschöpfungskette der Gesundheitswirtschaft entwickeln. Zum Beispiel schließen sich alle Akteure – Krankenhäuser, Reha- und Pflegeeinrichtungen sowie Pharma- und Medizintechnik- Unternehmen – zu Netzwerken zusammen, die in einer Weltregion mittelbar oder unmittelbar bestimmte Erkrankungen diagnostizieren und behandeln. Von Bandemer: „Mit der geringen Präsenz deutscher Kliniken im Ausland, wie augenblicklich, lässt sich auf Dauer eine internationale Spitzenposition der Gesundheitswirtschaft nicht behaupten.“ Nun aber um jeden Preis sein Heil in der Internationalisierung zu suchen, halten die Gelsenkirchener Forscher ebenso für falsch. „Nicht jeder Handwerker muss ins Ausland, nicht jede Kreisklinik in die Emirate.“
Thomas Grether ist freier Wirtschaftsjournalist in Bad Homburg.