Kliniken sind mehr denn je gezwungen, neue Leistungen zu bieten, mit denen sie Patienten gewinnen. Das Unfallkrankenhaus Berlin (ukb) hat Aufgaben in den Stationen umverteilt. Servicemitarbeiter übernehmen pflegefremde Aufgaben.
Das Unfallkrankenhaus Berlin behandelte 2007 in 14 Fachabteilungen über 20 500 Menschen stationär und 65 000 ambulant. Dabei will die Klinikleitung neben der medizinischen und pflegerischen Versorgung auch beim Service Maßstäbe setzen. Sämtliche Prozesse sind darauf ausgerichtet, die Zufriedenheit der Patienten zu steigern. Um dieses Ziel zu erreichen, hat das ukb innerhalb von zehn Monaten als neue Leistung einen Stationsservice eingeführt. Damit setzt die Klinik bereits heute eine Forderung um, die im Gutachten des Sachverständigenrates als neuer „Professionenmix in der Gesundheitswirtschaft“ für die Zukunft beschrieben wird. Tätigkeiten sollen demnach entsprechend des Qualifikationsniveaus der Mitarbeiter erbracht werden. Ziel ist es, die Wirtschaftlichkeit und die Arbeitszufriedenheit in allen Gesundheitsberufen zu steigern, ohne dass das Leistungsniveau sinkt. „Leistungen sind stets dort zu erbringen, wo dies mit dem jeweils geringsten Ressourceneinsatz bei zumindest gleich bleibender Versorgungsqualität möglich ist“, heißt es im Gutachten. Gemeint ist, dass Servicemitarbeiter „pflegefremde“ Aufgaben erledigen, damit Pflegekräfte mehr Spielraum haben, Tätigkeiten des Ärztlichen Dienstes zu übernehmen.
Analyse des Stundenvolumens von Pflege und Service
Konzepte, die in der Regel mit einem Stellenabbau oder einer Leistungsverdichtung der Pflege einhergehen, wurden abgelehnt, da sie zu einem Abbau der Kernkompetenzen geführt hätten. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt wurde die Umsetzung des Projektes in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Ahr Service aus Oberhausen als gemeinsame Servicegesellschaft im Sinne einer steuerlichen Organschaft geplant. Unterschiedlichste Professionen sowohl von Seiten des ukb als auch des Dienstleisters waren von Anbeginn in den Planungsprozess einbezogen. Die interdisziplinäre Projektgruppe aus Mitarbeitern der Stabsstelle Strategie, der Pflegedirektion und des Dienstleisters erstellte in ausführlichen Gesprächen eine Situationsanalyse in den jeweiligen Fachabteilungen.
Dabei wurde ein Analyseinstrument eingesetzt, das auf Basis eines umfangreichen Rechenmodells die Belastungen des Pflegefachpersonals durch „pflegefremde“ Tätigkeiten ermittelte. Die Kunst bestand darin, bei der Festlegung des Stundenvolumens und des Servicekonzeptes den hotelähnlichen Servicegedanken so in den Klinikalltag und die Stationsprozesse zu integrieren, dass die Abläufe reibungslos und der Service für den Patienten erlebbar werden. Mit den vorbereitenden Schritten ließ sich der Tätigkeitskatalog exakt definieren und auf dieser Basis ein neuer Schichtplan entwickeln. Beide sind so individuell auf Klinik und Fachabteilung zugeschnitten, dass eine weitestgehend weisungsunabhängige Erbringung aller Merkmale des neuen Leistungsverzeichnisses gewährleistet wird.
Servicekräfte übernehmen „pflegefremde“ Tätigkeiten
Das entscheidende Kriterium war, die Stundenzahl pro Tag und Station zu verringern, nicht pro Pflegekraft, damit sich nicht die Leistungserbringung direkt am Patienten reduziert. Geplant war, pro Tag und Station 13 bis 19 Stunden (je nach Fachabteilungsstruktur) an Servicekräfte zu übertragen. Für dieses Zeitvolumen schuf das ukb neue Arbeitsplätze für 49 Vollkräfte, die für den Service tätig sind. Bei dem Projekt waren der Betriebsrat und die Pflegeleitungen eng einbezogen, da sie während der Umsetzung im direkten Kontakt zu den Servicemitarbeitern stehen. Deren Aufgaben gliedern sich in Unterstützung der Patienten rund um die Mahlzeiten und Versorgung, hotelähnliche Leistungen und allgemeine Tätigkeiten in der Station. Sie helfen bei der Aufnahme und Entlassung, erklären die Abläufe der Klinik, bereiten die Betten auf, begleiten Patienten und organisieren auch den einen oder anderen Wunsch wie eine Zeitung, Telefonkarte oder Vase. Die Mitarbeiter servieren Speisen und Getränke, unterstützen den Patienten beim Essen, räumen das Geschirr wieder ab und sind dafür verantwortlich, dass auch außerhalb der Essenszeiten Getränke oder Snackwünsche erfüllt werden. Das Pflegepersonal unterstützen sie durch Hol- und Bringdienste, sie räumen in der Station auf und erledigen Organisatorisches und Vorbereitungstätigkeiten.
Das Modell rechnet sich
Da die Servicemitarbeiter die Pflegenden entlasten, konnte das ukb die Zahl der Vollkräfte im Pflegedienst um 32 reduzieren. Dank der neu definierten Aufgabenverteilung erbringen jetzt netto 17 dazu gewonnene Vollkräfte mehr Service für den Patienten. Dies macht im Jahresverlauf ein Plus von etwa 35 000 Stunden aus. Der einzelne Patient erfährt bei einer durchschnittlichen Verweildauer von sieben Tagen dadurch 96 Minuten mehr Aufmerksamkeit von einer Servicekraft. Die jährlichen Lohnkosten einer Servicekraft liegen mit etwa 23 000 Euro deutlich unter denen einer Pflegekraft mit 42 000 bis 46 000 Euro. Die Patientenstruktur des Unfallkrankenhauses gestaltet sich aufgrund ihrer Krankheitsbilder sehr heterogen. Der Großteil wird über einen längeren Zeitraum stationär behandelt. Kranke, die hauptsächlich aufgrund mangelnder Mobilität bei der Nahrungsaufnahme, Unterhaltung oder Kommunikation eingeschränkt sind, haben eine hohe Empfänglichkeit für Serviceangebote. Eine vergleichsweise hohe Anzahl von Patienten mit einer Hemiplegie oder Tetraplegie nach einem Trauma befindet sich in einer völlig neuen Lebenssituation, was einen sehr individuellen Umgang erfordert. Diese Aspekte mussten bei der Auswahl, Schulung und Begleitung der Servicemitarbeiter berücksichtigt werden. Erfahrungen in Hotellerie und Gastronomie waren wünschenswert, da sich hier eine hohe Serviceorientierung voraussetzen lässt. Die Schulungen bestehen aus einem Theorie- und einem Praxisteil. Servicemitarbeiter, welche die Leistungen operativ umsetzen, absolvieren eine praktische Schulung in bereits etablierten Stationen und werden vom Dienstleister eins zu eins angeleitet.
Mitarbeiter und Betriebsrat waren anfangs kritisch
Zu Beginn waren Pflegemitarbeiter und Mitglieder des Betriebsrates kritisch gegenüber dem Konzept und der Arbeit mit einer neuen Berufsgruppe in der Station. Eine erste Überprüfung, ob das Modell zu den gewünschten Ergebnissen führt, war positiv. 91 Pflegende in zehn Stationen gaben bei einer Umfrage an, dass sie bereits nach kurzer Zeit durch die Servicekräfte entlastet würden. Dies führt zu einer neuen Qualität in der Pflege, die konzentrierter und kontinuierlicher erfolgt. Gesehen wurde auch, dass die Dreiecksbeziehung zwischen Patienten, Servicemitarbeitern und Pflegekräften einer intensiven Kommunikation zwischen den Beteiligten bedarf. Dank einer frühzeitigen Information während des Umsetzungsprozesses und des gezielten Managements der Kommunikationsabläufe konnte dies im ukb gelöst werden, sodass die Integration der unterschiedlichen Professionen in einem Miteinander und nicht einem Nebeneinander erfolgt. Auch die Patienten wurden befragt. Die wesentlichen Vorteile sahen sie in einer Erhöhung der Servicequalität; die Speisen wurden pünktlicher verteilt, häufigere Angebote von Getränken seien erfolgt, und die Beratung sei besser. Insgesamt wurden die Abläufe als „rund“ und „wenig gestört“ bewertet. Die Pflegenden wirkten auf die Patienten freundlicher und entspannter, was sich durch „small talk“, Witz und ein Mehr an Austausch äußere.
Anschriften der Verfasser:
Dipl.-Kaufmann Matthias Witt, Pflegedirektor Unfallkrankenhaus Berlin, Warener Straße 7, 12683 Berlin
Franz-Josef Richter, Hagelkreuzstraße 101, 46149 Oberhausen