291 Krankenhausstandorte in Deutschland haben eine zertifizierte Stroke-Unit. Damit ist Deutschland in puncto Behandlung von Schlaganfällen gut versorgt. Nahezu flächendeckend erreichen die Bundesbürger ein solches Zentrum innerhalb von 30 bis 45 Minuten. Das wirft die Frage auf, wie viele Klinikstandorte die Republik braucht.
Es war ein Paukenschlag, mit dem die ehrenwerte Nationale Akademie der Wissenschaften, die Leopoldina, Ende Oktober die Krankenhäuser erschütterte. „Zum Verhältnis von Medizin und Ökonomie im deutschen Gesundheitswesen“, hieß die Publikation mit dem brisanten Inhalt, derzufolge in Deutschland 330 Krankenhäuser ausreichen würden, um die gesamte Bevölkerung gut zu versorgen. Die Experten um den Berliner Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Reinhard Busse nahmen Dänemark zum Vorbild und schrieben in ihren „8 Thesen“: „Hätte Deutschland die Krankenhausstruktur von Dänemark mit einem Krankenhaus pro 250.000 Einwohner, wären es bei uns 330 – und alle mit CT, MRT und Fachärzten für Innere Medizin/Kardiologie, Allgemeinchirurgie, Unfallchirurgie und Anästhesie/Intensivmedizin, die rund um die Uhr und an allen Tagen der Woche verfügbar sind.“
330 Kliniken sollen ausreichen für Deutschland? Die gewagte These stieß vielerorts auf Kopfschütteln. Der erste Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) und CDU-Bundestagsabgeordnete Rudolf Henke warnte vor einem „Kettensägenmassaker“. Doch ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass Busse und seine Kollegen vielleicht gar nicht so falsch liegen, wenn man rein standortbezogen und unter Erreichbarkeitsgesichtspunkten denkt und Überlegungen wie Wettbewerb, Kapazitäten, Wahlfreiheit und Vielfalt unter den Tisch fallen lässt.
Besonders deutlich wird das in der Schlaganfallversorgung. Die Deutsche Schlaganfallgesellschaft (DSG) hat 291 regionale und überregionale Stroke-Units zertifiziert. Innerhalb von 30 bis 45 Minuten soll eine Stroke-Unit, also ein Zentrum bestehend aus Großgeräten wie einem Computertomografen (CT) und einem interdisziplinären Ärzteteam, erreichbar sein, damit Patienten gut versorgt werden können. Unterstellt man 45 Minuten als Untergrenze, ist die Bundesrepublik nahezu flächendeckend gut versorgt, wie der Bibliomed-Klinik-Stresstest offenbart. Der neue Reiter „zertifizierte Stroke-Units“ zeigt, wo eine Klinik mit einer solchen Einheit zu finden ist und wie lange die Bewohner in den einzelnen Postleitzahl-Bezirken benötigen, um dorthin zu gelangen. Lücken zeigt das Analysetool jedoch in Teilen Brandenburgs, Sachsen-Anhalts und Meck- lenburg-Vorpommerns. Ähnliche Versorgungslücken hatte der Bibliomed-Klinik-Stresstest jüngst für die Versorgung mit Herzkatheterlaboren offenbart, über die auch in der November-Ausgabe der f&w berichtet wurde. Mit wenigen zusätzlichen Standorten sollten sich diese Versorgungslücken jedoch schließen lassen.
Reduziert man die Fahrtzeit im Klinik-Stresstest auf 30 Minuten, wachsen die Versorgungslücken. Ob daraus ein Bedarf an Standorten für Stroke-Units abzuleiten ist, ist Ansichtssache. In jedem Fall ist jedoch fraglich, ob die 1.371 Plankrankenhäuser, auf die die Leopoldina in ihrem Bericht eingeht, aus Entfernungsgesichtspunkten nötig sind.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnte kürzlich, dass die Pläne des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für eine gestufte Notfallversorgung 400 bis 500 Krankenhausstandorte von der Versorgung ausschließen würde. Auch hier gilt: Unter dem schlichten Erreichbarkeitsfilter wäre das kein Problem.
„Mit unserem Erreichbarkeits-Tool lässt sich vor allem Unterversorgung identifizieren, und da sehen wir im Bereich der Schlaganfallversorgung mögliche Probleme in Ostdeutschland“, erklärt der Mediziner und Mediqon-Geschäftsführer Dr. Dirk Elmhorst. Wo Deutschland über alle Indikationen hinweg zu viele Krankenhäuser habe, lasse sich nicht ohne Weiteres identifizieren.
In der Tat lässt sich die Versorgungssituation nicht nur auf Basis von Standorten beschreiben. Entscheidend ist beispielsweise auch, wie viele Betten die Häuser ausweisen. Die Krankenhausstandorte mit den 291 zertifizierten Stroke-Units weisen zum Beispiel – Stand 2014 – insgesamt 178.259 Betten für alle Fachbereiche aus, also nicht nur bezogen auf die Schlaganfallversorgung. Insgesamt waren 2014 in deutschen Kliniken 512.893 Betten aufgestellt.
Das zeigt: Nimmt man die Studie der Leopoldina als Basis für die Krankenhausplanung, müsste eine Reihe von Standorten massiv ausgebaut werden. Im Schnitt wäre eine Vergrößerung der Häuser um den Faktor 2,8 nötig, um den Stand bei den Betten zu halten. Am Ende würde die Versorgung nur noch in Großkrankenhäusern à la Charité erfolgen. Kleinere Häuser mit eigenem Versorgungscharakter gäbe es nicht mehr. „Letztlich ist es eine politische Entscheidung, wie viele Krankenhausstandorte Deutschland hat“, sagt denn auch Elmhorst.
Vor allem aber stellt sich die Frage, was in diesem Fall passieren würde, wenn die DSG einem Krankenhaus die Zertifizierung entzöge und dann keine andere Klinik in Reichweite ist. Wettbewerb ist also nötig. Denn keinesfalls gilt: einmal zertifizierte Stroke-Unit, immer zertifizierte Stroke-Unit. Wer den Status erhalten will, muss sich regelmäßigen Audits unterziehen und klare Strukturvorgaben einhalten.
Auf der Internetseite der DSG finden sich diese Anforderungen in detaillierter Form. Dabei wird zunächst unterschieden in regionale und überregionale Stroke-Units, die jeweils unterschiedliche Anforderungen erfüllen müssen.
In allen Einheiten müssen dabei beispielsweise die Monitorbetten, in denen die Patienten überwacht werden, in einer räumlichen Einheit zusammengefasst und dürfen nicht verteilt über das Krankenhaus stehen. Die DSG nennt als Bedingung für die Zertifizierung ferner ein festes Team von Ärzten, Pflegekräften und Therapeuten zur Schlaganfallversorgung. Eine regionale Stroke-Unit muss mindestens vier solcher Betten ausweisen, eine überregionale sechs. Abmeldungen von Kapazitäten sind strikt zu vermeiden und nur im Ausnahmefall zulässig, schließlich soll die Versorgung kontinuierlich an 365 Tagen im Jahr 24 Stunden gesichert sein. Erstere müssen darüber hinaus mindestens 250 Patienten, Letztere 500 Patienten behandeln.
Für die Stroke-Unit ist sowohl während der Regeldienste als auch außerhalb dieser Zeiten eine kontinuierliche Schlaganfallexpertise nötig. Neben den Fachärzten für Neurologie muss durchgängig auch eine kardiologische Kompetenz als fester Ansprechpartner abrufbar sein. Auch ein Facharzt für Ra- diologie muss kontinuierlich anwesend sein oder in regionalen Stroke-Units zumindest eine ständige Verfügbarkeit von Strahlenfachkunde sichergestellt werden.
Die DSG verlangt ferner, dass permanent mindestens vier intensivmedizinische Betten verfügbar sind und empfiehlt unter anderem, eine eigenständige neurologische Intensivstation für hochvolumige Schlaganfallversorger zu erwägen. In räumlicher Nähe ist des Weiteren eine neurochirurgische und gefäß- chirurgische Kompetenz erforderlich.
An Großgeräten und technischen Voraussetzungen werden unter anderem ein CT und ein Magnetresonanztomograf (MRT) sowie die kontinuierliche Verfügbarkeit eines Notfalllabors rund um die Uhr verlangt. Wichtig sind auch die Anforderungen an die Pflege: In regionalen Stroke-Units sollen mindestens 1,5 Vollzeitkräfte pro Bett arbeiten, in überregionalen zwei. Die DSG stellt dabei konkrete Mindestanforderungen an die schlaganfallspezifische Pflege. Ab mehr als acht Betten greift eine sogenannte degressive Methode, die in einer Tabelle festgelegt ist.
Teile der Strukturvorgaben lassen sich auch per Telemedizin erfüllen. Dann wird eine Stroke-Unit als telemedizinische Einheit von der DSG zertifiziert. Als zusätzliches Unterscheidungsmerkmal vergibt die DSG das Zertifikat „Comprehensive Stroke-Unit“ – sowohl auf regionaler als auch auf überregionaler Ebene. Hierbei geht es um räumliche und personelle Voraussetzungen für die Schlaganfallversorgung nach der Akutversorgung.