f&w-Rubrik: Bilanzgespräch

„Unser Einzugsgebiet ist letztlich international“

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  • 28.02.2017

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Ausgabe 3/2017

Seite 246

Irmtraut Gürkan

Der Aktionsradius der Universitätsklinik Heidelberg erstreckt sich längst nicht mehr nur auf den Südwesten: In Marburg betreibt die renommierte Uniklinik das Ionenstrahl-Therapiezentrum, an mehreren Standorten im Bundesgebiet spezialisierte ambulante Versorgungseinheiten. Im f&w-Bilanzgespräch schildert die Kaufmännische Geschäftsführerin Irmtraut Gürkan die Vorteile dieser Strategie und erklärt auch, warum sie sich die Monistik wünscht.

Frau Gürkan, 2015 hat das Uniklinikum Heidelberg mit einem ausgeglichenen Ergebnis abgeschlossen. Der Umsatz betrug 817 Millionen Euro, der Bilanzgewinn 7,9 Millionen Euro. Für 2016 haben Sie kürzlich eine schwarze Null genannt? Können Sie schon Zahlen nennen?

Wir veröffentlichen unseren Jahresbericht im Juni oder Anfang Juli. Wir werden 2016 sicher nicht schlechter abgeschnitten haben als 2015. Entscheidend ist für uns das Ebitda …

… das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibung.

Wir haben in den zurückliegenden Jahren eine Reihe von Investitionen über Kredite finanziert. Für Zins und Tilgung benötigen wir ein Ebitda von 20 Millionen Euro. Das ist eine relevante Größe für uns als Uniklinikum.

Um welche Investitionen handelt es sich dabei?

Das erste Darlehen haben wir 2004 zur Finanzierung der Schwerionentherapie aufgenommen. Das waren 53 Millionen Euro. Es folgten Darlehen für die Frauenklinik und für die Hautklinik in Höhe von 46 Millionen Euro. Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) haben wir darüber hinaus das Nationale Zentrum für Tumorerkrankungen (NCT) errichtet mithilfe eines Darlehens der  Deutschen Krebsgesellschaft (DKG). Dazugekommen ist jetzt noch das große Darlehen für den Neubau der Chirurgie über insgesamt 90 Millionen Euro. Rechnet man ein Leasingprojekt im Umfang von 58 Millionen Euro hinzu, haben wir insgesamt mehr als 300 Millionen Euro Fremdkapital aufgenommen. Das muss verdient werden. Das verlangt auch unser Aufsichtsrat.

Wie erreichen Sie diese Marge? 2015 konnten Sie die Leistungsmenge steigern. Wie sieht es hier 2016 aus?

Die großen Sprünge in der Steigerung der stationären Leistungen hatten wir im Zeitraum 2005 bis 2011. Seitdem verzeichnen wir ein stetes moderates Wachstum von ein bis zwei Prozent. Die großen Innovationssprünge schlagen mittlerweile in der ambulanten Versorgung zu Buche – etwa das Cyberknife, mit dem winzige, nicht operable Tumore punktgenau bestrahlt werden können, oder die Gensequenzierung. Das Wachstumspotenzial liegt ganz eindeutig in der ambulanten Versorgung.

Welchen Anteil erwirtschaften Sie durch ambulante Leistungen?

Der ambulant erzielte Umsatz beträgt etwa 157 Millionen Euro. Stationär verzeichnen wir Einnahmen von mehr als 600 Millionen Euro und gehen für 2016 von 2.000 Case-Mix-Punkten mehr aus. Das wäre eine moderate Steigerung auf 117.000 Punkte. Dieser Zuwachs reicht allerdings nicht aus, um die Lücke zwischen der Erhöhung des Landesbasisfallwerts und dem Wachstum der Tariflöhne hundertprozentig zu schließen. Wir müssen also, wie alle anderen Krankenhäuser auch, jedes Jahr die Effizienz steigern und profitabler werden.

Spotlight:

157 Millionen Euro Ambulant vor stationär – das Paradigma des deutschen Gesundheitswesens spiegelt sich auch am Uniklinikum Heidelberg wider. Sicher, der Löwenteil des Umsatzes in Höhe von deutlich über 800 Millionen Euro (2015: 816,9 Millionen Euro) stammt nach wie vor aus stationären Leistungen. Aber mit 157 Millionen Euro erwirtschaftet der ambulante Teil mittlerweile einen nicht zu verachtenden Beitrag. Und dort, das betont die kaufmännische Direktorin Irmtraut Gürkan im Interview, liegt derzeit die größte Wachstumsdynamik. Laut Geschäftsbericht 2015 wuchs in den Jahren 2005 bis 2015 die Zahl der ambulanten Besuche von knapp 700.000 um 50 Prozent auf nun knapp 1,1 Millionen. Dabei ist es vor allem die ambulante Spitzenmedizin, die das Wachstum treibt. Die Ionenstrahltherapie hat sich zum Heidelberger Alleinstellungsmerkmal entwickelt, seit man nicht nur am Heimatstandort, sondern auch in Marburg das entsprechende Zentrum betreibt. Dazu kommen ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) für Strahlentherapie in Weinheim und die MRT-Praxis Neuer Wall in Hamburg. In Lindenfels habe das Uniklinikum auf Bitten des Landkreises ein MVZ zur  Grundversorgung eingerichtet, berichtet Gürkan im Interview. bal

Wir kennen die Klageliste der Krankenhäuser.

Ja, ich sage aber ganz klar: Alle Krankenhäuser klagen mit Recht. Wir kämpfen alle mit dem gleichen Problem, der Basisfallwert steigt langsamer als die Tariflöhne.

Wie können Sie noch profitabler werden?

Mein Lieblingsbeispiel ist mittlerweile schon zehn Jahre alt. Das war die Zentralisierung der Labore. Aus 24 Laboren haben wir eines gemacht. Dadurch konnten wir 95 Medizinisch-Technische Assistenten in den Laboren einsparen. Solche Effizienzreserven können wir im Kleinen immer wieder heben. Große Reserven haben wir mittlerweile allerdings nicht mehr.

„Das Wachstumspotenzial liegt ganz eindeutig in der ambulanten Versorgung.“

Irmtraut Gürkan ist Kaufmännische Direktorin und Stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums Heidelberg.

Inwiefern führen Investitionen zu mittelfristig niedrigeren Kosten?

Ein Beispiel für solch einen Effekt ist die Inbetriebnahme der Frauen- und Hautklinik. Beide waren vorher im Altklinikum über mehrere Gebäude verteilt. Jetzt gibt es einen großen Standort. Dadurch konnten eine Reihe von Potenzialen gehoben werden; statt drei ist jetzt beispielsweise nur noch eine Pforte nötig. Das Mittagessen muss nicht über den Neckar transportiert werden. Auch der Einsatz des Pflegepersonals lässt sich effizienter gestalten, wenn es statt mehrerer Stationen mit zehn oder 16 Betten nur noch eine große mit 48 Betten zu versorgen gibt.

Hoffen Sie auf solche Effekte auch in der neuen Chirurgie, die den Heidelberger Klinikring abschließen soll?

Ja, das neue Gebäude erlaubt bessere Prozesse, aber auch mehr Patientenkomfort. Wir haben heute teilweise noch Drei- oder Vierbettzimmer ohne eigene Sanitärräume. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Darüber hinaus werden wir unsere Intensivkapazitäten steigern, etwa für mehr Kunstherz-Operationen.

Der Neubau kostet 170 Millionen Euro …

… richtig, allerdings ohne Erstausstattung. Da kommen nochmals 40 Millionen Euro hinzu, wovon 25 Millionen Euro das Land übernehmen wird. Dazu kommt eine relevante Spende von Dietmar Hopp. Den Rest finanzieren wir dann aus dem Kliniketat. Herr Hopp hat uns übrigens auch eine Spendenzusage über 20 Millionen Euro gegeben für einen Neubau für das Kindertumor­zentrum (Kitz), das inklusive Erstausstattung insgesamt 40 Millionen Euro kosten wird. Den Rest der Kosten für das Kitz wollen wir durch weitere Spenden finanzieren. Ein Projekt also, das dank der privaten Spenden möglich wird.

Wie werden die 170 Millionen Euro für den Chirurgie-Neubau finanziert?

Das Land hat 80 Millionen Euro für den Neubau gegeben, wir haben selbst 90 Millionen Euro finanziert. Inklusive Erstausstattung liegt der Anteil des Landes also bei 50 Prozent.

Was lässt Sie glauben, dass Sie mit Ihrer Investition hinkommen? Die Technik entwickelt sich rasant, da stellt Ihr Chefarzt Prof. Dr. Markus W. Büchler doch sicher jeden Tag eine neue Forderung.

Die Anforderungen von Prof. Dr. Büchler und aller anderen Nutzer wurden konsentiert. Wir bauen das, was wir geplant haben. Wir achten dabei darauf, dass zwischen Planung und Umsetzung nicht mehr wie früher zehn Jahre liegen, sondern nur ein Jahr. Wir planen und setzen schnell um. Einzige Ausnahme: der Brandschutz. Dieser bereitet uns die größten Kopfschmerzen, weil sich die Regeln ständig ändern.

Wann ist der Neubau fertig?

95 Prozent der Vergaben sind getätigt. Wir bleiben im Zeitrahmen und Kostenplan. Die Inbetriebnahme ist für das dritte Quartal 2018 vorgesehen.

Der Neubau soll den Klinikring abschließen, der auf einen Beschluss des Ministerrates im Jahr 1976 zurückzuführen ist. Sie haben also 40 Jahre Bauplanung auf kommunaler und Landesebene hinter sich. Ein typisches Beispiel für die Krankenhausplanung in Deutschland?

Wir sind heilfroh, dass unsere Vorvorgänger diese Idee des Klinikrings hatten und sich nicht für zwei monolithische Gebäude entschieden haben. Stellen Sie sich vor, Sie müssen eines dieser Gebäude sanieren. Das ist eine wesentlich größere Herausforderung als nun, wenn wir im Klinikring einzelne Gebäude sanieren können.

40 Jahre Planung – muss das nicht schneller gehen?

Ja und nein. Der erste Teil des Klinikrings war die Kopfklinik, die vor 30 Jahren an den Start gegangen ist. Das war damals eine der ersten Kopfkliniken in Europa. Sicher, es wäre besser gewesen, den Bau des gesamten Klinikrings innerhalb von 20 Jahren abzuschließen. Das ist dann immer eine Frage der Finanzierung. Dadurch, dass wir Teile der Investitionen über eigene Mittel und Kredite finanziert haben, konnten wir das Land zur Mitfinanzierung bewegen. Andernfalls hätte es wohl noch länger gedauert.

Ist der Klinikring nun abgeschlossen?

Es gibt immer noch eine kleine Lücke im Klinikring für den zweiten Bauabschnitt der Chirurgie. Diesen können wir nicht selbst stemmen. Das muss das Land übernehmen. Zusammen mit der nötigen Sanierung der Kopfklinik sprechen wir hier über 300 Millionen Euro. Diesen Betrag fordern wir mit Nachdruck ein. Die Zustände in der Kopfklinik sind nicht mehr haltbar. Vergangenes Jahr hatten wir dort einen totalen Stromausfall und standen kurz vor der Evakuierung.

Nötige Investitionen vom Land gibt es aus Ihrer Erfahrung aber nur, wenn Sie selbst auch etwas beitragen.

Ich bin deshalb ein klarer Verfechter einer monistischen Krankenhausfinanzierung, also für das Ende der dualen Finanzierung durch Krankenkassen und Länder. Auch die Investitionskosten sollten über die Fallpauschalen finanziert werden. Die duale Finanzierung ist erstens eine Fiktion, weil die Länder ihren Pflichten nicht nachkommen, und zweitens ein Anachronismus, weil Entscheidungen über Investitionen und Betriebsabläufe in eine Hand gehören. Baden-Württemberg hat die Einzelbauförderung zwar deutlich angehoben, aber die Entscheidungen fallen trotzdem von Ministers Gnaden. Zwischen Antrag und Mittelfreigabe vergeht so oft eine lange Zeit, sodass sich die Bedarfe ändern.

Sollte auf Monistik umgestellt werden, bevor Sie die 300 Millionen Euro für die Vollendung des Klinikrings und die Sanierung der Kopfklinik erhalten haben oder danach?

Von mir aus können wir morgen umstellen. Allerdings hätten wir von der Monistik als Uniklinikum nicht unmittelbar etwas, da wir ja nicht nach dem Krankenhausgesetz (KHG) gefördert werden. Wir suchen aber einen anderen Weg. Das Land kann wegen der Schuldenbremse kaum eigene Kredite für Investitionen aufnehmen. Wir prüfen nun, ob wir als Uniklinikum ein Darlehen aufnehmen können, das wir mit verbindlich zugesagten Landesmitteln über die Laufzeit abbezahlen können. Nordrhein-Westfalen etwa will diesen Weg gehen. Die Frage lautet, ob diese Darlehen relevant sind für die Schuldengrenze.

Das Uniklinikum Heidelberg fährt die Strategie, sich auf die Maximalversorgung schwerstkranker Patienten zu spezialisieren und sich zugleich mit Krankenhäusern in der Region zu vernetzen, damit diese die Grund- und Regelversorgung übernehmen. Welche Rolle spielt diese strategische Ausrichtung aus kaufmännischer Sicht?

Zunächst: Einen relevanten Umsatzanteil erwirtschaften wir mit Patienten aus einem überregionalen Einzugsgebiet einschließlich dem Ausland. Unser Einzugsgebiet ist also letztlich international. Allerdings erwarten wir hier keine massiven Zuwächse mehr. Sehr gute Erfahrungen haben wir übrigens mit russischen Patienten, wobei deren Anteil seit einigen Jahren stagniert. Unsere internationalen Patienten kommen zu uns vor allem wegen unserer Onkologie, speziell der Pankreaschirurgie und der Strahlentherapie. Das Cyberknife habe ich erwähnt. Auch die Orthopädie und die Kinderklinik mit ihrer Expertise in Stoffwechselerkrankungen sind stark nachgefragt.

Was bedeutet relevanter Umsatzanteil?

Über alle Kliniken stehen die ausländischen Patienten für drei Prozent des Umsatzes. Das mag nach wenig klingen, kann aber über Gewinn oder Verlust des Gesamthauses entscheiden.

Die Spezialisierung führt auch dazu, dass Sie den einfachen Blinddarm gar nicht mehr operieren wollen, sondern lieber Netzwerk-Partnern überlassen.

Ganz genau.

Teilweise teilen Sie sogar Chefarztpositionen mit anderen Krankenhäusern. Wie funktioniert dieser Netzwerkgedanke im Detail, wie die betriebswirtschaftliche Abrechnung?

Betriebswirtschaftlich ist das denkbar schlicht. Lassen Sie mich das am Beispiel unserer ältesten Kooperation mit dem Krankenhaus Salem deutlich machen, das zur evangelischen Stadtmission Heidelberg gehört. Im Jahr 2004 ist unser ärztlicher Direktor für die Abteilung Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Prof. Dr. Büchler, dort Chefarzt der Chirurgie geworden. Vor Ort hat er einen Vertreter. In der Wahrnehmung der Patienten ist sein Vertreter dort Chefarzt. Prof. Dr. Büchler hat aber die Richtlinienkompetenz. Wir rechnen mit Salem einen kleinen Prozentsatz der Leistungen von Prof. Büchler ab und das Personal, das wir darüber hinaus stellen.

Wie viele solcher Chefarztverträge haben Sie?

Insgesamt haben wir 15 solcher Chefarztverträge. Dabei ist jede Kooperationsvereinbarung individuell.

Wie viele Kooperationsvereinbarungen haben Sie über die Chefarztgestellungsverträge hinaus?

Inklusive der Chefarztverträge haben wir 40 Kooperationen. Ein anderes Beispiel für einen Chefarztvertrag ist unsere Zusammenarbeit in der Palliativversorgung mit dem St. Vincentius-Krankenhaus, das ebenfalls zur Stadtmission gehört und etwa 70 Betten hat. Wir hatten selbst keine Möglichkeit, bei uns im Krankenhaus Palliativbetten aufzustellen. Diese waren aber in Zusammenhang mit der Patientenversorgung am Nationalen Tumorzentrum nötig. Deshalb konnte unser Schmerztherapeut, Herr Prof. Dr. Hubert J. Bardenheuer, am Vincentius-Krankenhaus eine Palliativstation mit 15 Betten aufbauen. Prof. Bardenheuer arbeitet bei uns in der Anästhesie und leitet am Vincentius-Krankenhaus die Palliativmedizin als Chefarzt. Wie im Fall Salem rechnet das Krankenhaus die Leistungen mit dem Kostenerstatter ab und erstattet uns die Personalkosten.

Was nutzt Ihnen das?

Der Nutzen ist vielschichtig. Wir können uns, wie angesprochen, auf unser Leistungsspektrum als Universitätsklinikum konzentrieren. Zugleich profitieren wir davon, dass unsere Kooperationspartner schwere Fälle zu uns weiterleiten und nicht zu anderen Maximalversorgern.

Was sagt denn das Kartellamt zu diesen Kooperationen?

Die letzte Anzeige gegenüber dem Kartellamt hatten wir im Zusammenhang mit dem Erwerb des Krankenhauses in Heppenheim, das uns zu 90 Prozent und dem Landkreis zu zehn Prozent gehört. Das Kartellamt wollte uns das zunächst untersagen, auch mit Blick auf die bereits bestehenden Kooperationen. Wir mussten dann tatsächlich einzelne Kooperationsverträge entflechten. Unser Argument zielt aber auf den relevanten Markt. Aus unserer Sicht betrifft der relevante Markt die Ebene der Uniklinika. Diese Frage wollen wir noch mal wissenschaftlich aufarbeiten lassen.

Sie kooperieren auch mit Uniklinika, betreiben in Marburg das Ionenstrahl-Therapiezentrum MIT. Wie weit können Kooperationen mit Uniklinika gehen? Sehen Sie hier Fusionspotenzial?

Uniklinika zu fusionieren mit ihren unterschiedlichen Kulturen und Profilen, ist sehr schwierig. Die Beispiele kennen Sie. Hier in der Region ist die Fusion der medizinischen Fakultäten Mannheim und Heidelberg gescheitert. Eine Fusion der Uniklinika Heidelberg und Mannheim halte ich auch weiterhin für ausgeschlossen. Was soll der Mehrwert sein? Die Vorteile lassen sich alle anhand von Kooperationen generieren. Große klinische Studien laufen heute längst als Multicenterstudien. Dafür sind keine komplexen gesellschaftsrechtlichen Fusionen nötig. Das würde dann auch das Kartellamt auf den Plan rufen.

Sie betreiben an mehreren Standorten im Bundesgebiet spezialisierte ambulante Versorgungseinheiten. Ist das eine Strategie – als Uniklinikum Heidelberg deutschlandweit Anbieter ambulanter spezialisierter Leistungen zu werden?

Nein, das greift sicher zu weit. Hier vor Ort haben wir den niedergelassenen Ärzten klar signalisiert, dass wir keine Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gründen und so einen Verdrängungswettbewerb starten werden. Wir hatten ein MVZ im Odenwald mit dem dortigen Krankenhaus, das wir allerdings nach zwei Jahren wieder schließen mussten, da es schwer war, Ärzte für dieses MVZ zu gewinnen. Jetzt betreiben wir zusammen mit einer niedergelassenen Praxis in Weinheim ein MVZ in der Strahlentherapie. Das läuft sehr gut. Dass wir jetzt in Lindenfels im Odenwald über unsere Tochter in Heppenheim ein MVZ gegründet haben, war der dringende Wunsch des dortigen Landkreises, um die ambulante Grundversorgung in der Region sicherzustellen, nachdem das dortige Krankenhaus geschlossen worden war. Dort arbeiten ein Allgemeinarzt und eine Gynäkologin. Damit erwirtschaften wir aber keine großen Gewinne, unser Ziel ist dort eine schwarze Null. Vielleicht können wir das MVZ noch als Lehrpraxis aufstellen.

Das MIT, das Facharzt-MVZ in Weinheim und eine MRT-Praxis in Hamburg – steckt dahinter keine gezielte Strategie?

Die Übernahme der Ionenstrahltherapie in Marburg entsprang unserem Selbstverständnis. Wenn es dort eine hochattraktive und fertige Anlage gibt, wäre es doch frevelhaft gewesen, diese Anlage abzubauen und Heidelberg als einzigen Anbieter dieser Leistung in Deutschland zu belassen. Für uns bietet das auch den Vorteil einer Ausweichmöglichkeit, wenn bei uns hier technische Probleme auftreten. Wir halten an der Anlage in Marburg 75,1 Prozent, den Rest das Rhön-Klinikum Gießen-Marburg. Die Versorgung dort läuft unter unserer Verantwortung.

Sie fischen damit aber schon zum vierten oder fünften Mal in fremden Gewässern außerhalb Ihres Bundeslandes.

Das stimmt so nicht. Wir fischen nicht in fremden Gewässern, sondern wir bieten Lösungen an, wenn die Akteure vor Ort scheitern.

Gilt das auch für die MRT-Praxis in Hamburg?

Ja. Das betrifft dort die Neuroradiologie. Neben unserem ärztlichen Direktor der Abteilung für Neuroradiologie, Herrn Prof. Dr. Martin Bendszus, gibt es mittlerweile in Heidelberg etwa sechs Ärzte, die diese Diagnose beherrschen. Eine Niederlassung kommt für diese Leistung nicht infrage, da sie dafür viel zu speziell und aufwendig ist. Eine Praxis kann davon nicht finanziert werden. Allerdings hatte Prof. Bendszus Kontakte zu einer neurologischen Praxis in Hamburg, die regelmäßig Patienten zu ihm nach Heidelberg überwiesen hat.

Daraus entstand die Idee, mit der dortigen Praxis gemeinsam eine neuroradiologische Praxis in Hamburg einzurichten, dort einen MR aufzustellen und diese Praxis gemeinsam zu betreiben. Die Ärztekammer Hamburg war allerdings gegen ein Modell der Erlösteilung. Deshalb haben wir die MRT-Praxis Neuer Wall Hamburg alleine als hundertprozentige Tochter des Uniklinikums Heidelberg eingerichtet. Der Pferdefuß dabei: Wir behandeln dort nur Privatpatienten, da wir keineKV-Ermächtigung haben.

Steht der Kauf eines KV-Sitzes zur Debatte?

Wir mussten ja erst mal aushalten, dass es das Fernbehandlungsverbot noch gibt. Dazu hatten wir nun zwei Jahre Schriftwechsel mit der Ärztekammer Hamburg. Wir wissen erst seit gut einem Monat, dass die Kammer uns die Praxis nicht mehr schließen will.

Haben Sie nicht einen Arzt vor Ort?

Nein. Der MR wird von Heidelberg aus gesteuert. Herr Prof. Bendszus sitzt hier an der Konsole. Vor der Untersuchung führt er zunächst per Videoübertragung ein Gespräch mit dem Patienten. Anschließend geht der Patient mit der Medizinisch-technischen Radiologieassistentin (MTRA) zum MR für die Untersuchung. Die Besprechung der Diagnose erfolgt dann wieder per Videokonferenz. Prof. Bendszus kann den niedergelassenen Neurologen des Patienten zu der Konferenz dann sogar dazuschalten.

Wie ordnen Sie Gelder der Forschung und der Patientenversorgung zu?

Die Budgets der Abteilungen werden zusammengesetzt aus dem stationären Bereich auf der Basis der Leistungen des Vorjahres und aus dem Bereich Forschung und Lehre. Für Letztere gibt es eine Grundausstattung von 160.000 bis 300.000 Euro. Der Rest muss über Drittmittel und Lehrbeiträge verdient werden. Wir haben sicher immer wieder Bereiche, in denen der Betrag, der aus der Fakultät stammt, geringer ist als der tatsächliche Aufwand für die Forschung. Das ist auch in Ordnung so. Da diese beiden Budgetstränge beim Abteilungsleiter zusammenfließen, kann dieser autonom entscheiden, für einen bestimmten Zeitraum zum Beispiel einen höheren Teil in die Forschung oder die Patientenversorgung zu investieren. Er muss seine Abteilung gut steuern und einen guten Beitrag bringen sowohl in der Forschung als auch in der Krankenversorgung.

Am Ende muss aber jede Abteilung schwarze Zahlen schreiben?

Nein, es gibt Bereiche, die können sich nicht rechnen, weil dort die Fallzahl viel zu gering ist, die Leistungsbereiche aber zu einer Universitätsklinik dazugehören, zum Beispiel die Neuropathologie. Auch bestimmte Spezialbereiche der Pädiatrie arbeiten nicht kostendeckend, während andere sehr wohl zu einem positiven Ergebnis beitragen. Manch ein Bereich, der keine schwarzen Zahlen schreiben kann, prägt aber das Image einer Uniklinik und trägt durch seine umfangreiche Publikationstätigkeit zum wissenschaftlichen Renommee bei. Wichtig ist erstens, dass wir nicht zu viele Einrichtungen haben, die sich nicht rechnen, und zweitens, dass es einen Grundkonsens gibt, dass die finanziell ertragsstarken Bereiche die defizitären Bereiche unterstützen. Optimal ist, wenn der Ausgleich innerhalb einer Abteilung stattfindet. Die Neurologie etwa ist finanziell sehr gut aufgestellt, mit einer großen Stroke-Einheit, wogegen die hoch spezialisierte Neuronkologie alleine kein positives Ergebnis erreicht.

Wie sieht die Management-Verantwortung bei Ihnen konkret aus?

Auf Zentrumsebene haben wir einen geschäftsführenden Direktor, eine kaufmännische Leitung und eine Pflegedienstleitung. Zu einem Zentrum gehören bei uns mehrere Kliniken; im Zentrum Chirurgie sind es beispielsweise fünf Kliniken und in der Inneren sieben. Die Budgets haben wir im Gegensatz zu anderen Uniklinika dann auch auf die Abteilungsebene heruntergebrochen. So soll auch der Abteilungsdirektor sein Budget steuern können.

Frau Gürkan, zum Abschluss erlauben Sie die Frage: Werden Sie die neue Chirurgie noch selbst eröffnen?

Ja. Wenn ich gesund bleibe, bin ich dann noch im Amt.

Das Universitätsklinikum Heidelberg 
ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 12.600 Mitarbeiter. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit rund 1.900 Betten werden jährlich rund 66.000 Patienten voll- und teilstationär und mehr als 1.000.000-mal Patienten ambulant behandelt.

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