Berliner Kommentar

Emotionale Achterbahnfahrt

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  • Politik
  • 22.11.2019

f&w

Ausgabe 12/2019

Seite 1088

Gesundheitspolitik ist im Grunde ein nüchternes Geschäft. Es geht viel um Zahlen, Geld, Pfründe. Eine Ausnahme ist die Abrechnungsprüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK). Bei Klinikmanagern ruft sie Wut, Empörung und Kopfschütteln hervor. Vor zwölf Monaten noch hatte diese Wut ihren Höhepunkt erreicht: Die Prüfquote war so rasant gestiegen, dass nicht nur Kliniken, sondern auch die Apparate des MDK und der Kassen ächzten. Das Bundessozialgericht unter dem Vorsitz von Ernst Hauck hatte den Kassen mit einem Urteil zur Schlaganfallversorgung eine Steilvorlage geliefert. Daraus resultierte eine Klagewelle, in der die Absicht, Kasse zu machen, so offensichtlich war, dass selbst Gesundheitsminister Jens Spahn für die Kliniken Partei ergriff. Gleichzeitig geißelte der Bundesrechnungshof Kliniken und Kassen, die sich mithilfe illegaler Deals dem Prüfwahnsinn entzogen. Kurz: Der Ruf nach einem Systemwechsel und einer Beschränkung der Kampfzone schallte laut durch das gesundheitspolitische Berlin – eine Zäsur musste her. Spahn lieferte diese Zäsur. Sein Entwurf für ein MDK-Gesetz deckelte die Prüfquote, manifestierte Sanktionen für Falschabrechner, straffte den Prüfprozess und rückte ambulante Leistungen im Krankenhaus stärker in den Fokus als bisher. Beide Seiten konnten damit arbeiten. Doch vor allem die Kliniken beklatschten das Urteil, blieb durch den Quotendeckel doch geschätzt eine Milliarde mehr bei den Kliniken.

Doch das dicke Ende kam zum Schluss. Spahn, der in 18 Monaten 18 Gesetze verabschiedet hat, schoss auf den letzten Metern einen Änderungsantrag nach, der die Kliniklobby kalt erwischt hat. Die 300-Euro-Strafe pro Falschabrechnung ist für sie ein Schlag ins Gesicht, ein „Einknicken vor der Kassenlobby“. Dabei sind die Kliniken faktisch gesehen nicht die Verlierer dieser Reform: Die Verluste der 300-Euro-Strafe (laut DKG: 380 Millionen Euro im Jahr) sind halb so groß wie die der Kassen durch die Prüfquote – denn der Quotendeckel bleibt bestehen. Doch das Gefühl gelinkt worden zu sein, die Bestätigung der „Misstrauenskultur“ gegen Krankenhäuser, treibt die Kliniken erneut auf die Barrikaden.

Denn zur Wahrheit über dieses Gesetz gehört auch, dass es den Grund für den Systemkollaps weitgehend unberührt lässt: die Grauzonen, über die sich so trefflich streiten lässt. Primäre Fehlbelegung und Grenzverweildauer heißen sie und machen weit mehr als die Hälfte aller Prüffälle aus. Jede Seite kultiviert dazu ihre eigenen Geschichten. Die Kliniken führen gern die alte Dame ins Feld, die man aufnehmen müsse oder nicht vorzeitig nach Hause schicken könne, weil das soziale Netzwerk fehle oder die anderen Versorgungsbereiche nicht funktionieren. Die Kassen listen die Millionen von Fällen auf, die Kliniken angeblich auch ambulant machen (und abrechnen) könnten.

In beiden Geschichten steckt Wahrheit, doch die Sicht des MDK ist nicht neutral – und das ist das Problem. Er ist zwar formal aus dem Kosmos der Kassen herausgelöst, bleibt aber ihr Instrument. Die 300-Euro-Strafe ist ein zusätzlicher Anreiz für die Kassen, dieses Instrument gezielt einzusetzen. Zumal 2020 ein richtungsweisendes Jahr wird. Denn die Abrechnungsfehlerquote 2020 bestimmt die Prüfquote für 2021.

Der Autor ist Hauptstadtkorrespondent der f&w.

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