E-Learning spart Zeit und Geld – und hilft durch Krisen wie die Corona-Pandemie. Nicht nur in der Fort- und Weiterbildung in Krankenhäusern spielen flexible Online-Schulungen eine immer größere Rolle. Auch in der Ausbildung hat digitales Lernen an Bedeutung gewonnen.
Mehrere Tropfen Desinfektionsmittel gibt sich Tanja Claus, Leitende Pflegefachkraft einer Intensivstation am Klinikum Kassel, in die Hände. 30 Sekunden lang reibt sie sie damit ein, fährt mit der einen Handfläche über den anderen Handrücken, verhakt und verschränkt die Finger ineinander. Anschließend setzt sie die Schutzhaube auf, verknotet sie im Nacken und legt dann den Schutzkittel an. Dann setzt sie die FFP2-Maske, die Schutzbrille auf, streift zwei Paar Schutzhandschuhe über, die sie nochmals desinfiziert. Schritt für Schritt zeigt das Lehrvideo des Kasseler Klinikums, wie das während der Corona-Pandemie besonders wichtige korrekte An- und Ablegen der Schutzausrüstung funktioniert. Entstanden ist es nur wenige Tage nach dem Lockdown und bescherte 13.000 Views auf Youtube. „Wir haben das Video auch auf internen Kanälen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Verfügung gestellt, um Unsicherheiten zu beseitigen“, sagt Volker Pape, Leiter der Akademie für Bildung in der Gesundheit Nordhessen. Er betont: „Das funktioniert nur mit einem guten Lernmanagementsystem.“
2012 hat die GNH begonnen, sich mit E-Learning auseinanderzusetzen, und es seither kontinuierlich weiterentwickelt. „Das kam uns zu Corona-Zeiten natürlich sehr gelegen“, sagt Pape. „Wir haben beispielsweise auch viele Mitarbeiter, die primär nicht auf der Intensivstation arbeiten, vorsorglich in Beatmungsmedizin geschult, immer mit E-Learning-Unterstützung. Selbst die letzte Hemmschwelle gegenüber digitalem Lernen ist weggefallen.“
Größere Offenheit gegenüber Digitalisierung
Die Corona-Krise hat bei vielen Menschen ihr Verhältnis zur Digitalisierung geändert: Jeder Dritte (32 Prozent) steht der Digitalisierung seither offener gegenüber, jeder Fünfte (21 Prozent) kritischer. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag der Initiative „Digital für alle“. Wie der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) berichtet, bezeichnen rund drei von vier Befragten (73 Prozent) die Digitalisierung als Chance. Befragt wurden mehr als 1.000 Personen in Deutschland ab 16 Jahren.
E-Learning habe durch die Krise an Bedeutung gewonnen, sagt Dr. Holger Böckel, Leiter des Zentralen Dienstes Bildung bei Agaplesion. Ein Thema sei beispielsweise Hygiene gewesen, diese Nachfrage habe Corona vorgegeben. Mit dem zentralen Hygieneinstitut habe man sehr nah im Krisenstab kommuniziert, um entsprechende Vorgaben schnell umzusetzen. „Das muss am Ende beim Mitarbeiter ankommen. Und dafür sind die kurzen und knackigen Formate sehr gut.“
Aber nicht allein eine Krise gibt Trends in Fort- und Weiterbildungen vor. „Die Arbeitstaktung und die Anforderungen im Beruf nehmen zu“, sagt Böckel. „Die Frage ist: Wann sind Zeit und Muße für Fort- und Weiterbildungen da?“ Gegenüber früher wolle man schneller auf den Punkt kommen, die Formate schrumpfen also in ihrem Umfang. „Fortbildungen, die zwei bis drei Tage dauern, werden seltener besucht, es sei denn, sie sind verpflichtend oder für einen Qualifikationsschritt notwendig.“ Bei Langzeitweiterbildungen, zum Beispiel zum Praxisanleiter, sind Lehrplan und Präsenzzeiten gesetzlich vorgeschrieben. Die Digitalisierung kann da weiterhelfen: „Wir alle wissen, dass Fort- und Weiterbildungen ein Zeitfaktor sind, und über digitale Formate kann man bestimmte Vorgänge rund ums Lernen ein Stück weit beschleunigen“, sagt Böckel.
Das betrifft nicht nur den Bereich E-Learning, sondern auch den Zugang zu Fort- und Weiterbildung und ihre Administration. Als Konzern hat Agaplesion viele Krankenhäuser an verschiedenen Standorten. Was man in der einzelnen Einrichtung an innerbetrieblicher Fortbildung im klassischen Sinne nicht mehr leisten könne, bilde man in der Region ab, was in der Region nicht mehr funktioniere, zentral. „Ein einfaches Prinzip, das in der ganzen Abwicklung aber abgebildet werden muss“, so Böckel. „Wir haben eine interne Plattform, um Lernen zu administrieren. Sie organisiert nicht nur E-Learning, sondern auch Präsenzformate und Blended Learning. Die Nutzer haben Zugänge und können sich einen Katalog anschauen, welche Angebote es im Haus und für Gesamt-Agaplesion gibt.“ Seit drei Jahren baue Agaplesion das Portal auf und habe es nun so gut wie überall eingeführt.
Der Zeitfaktor beschäftigt auch Anja Moderegger, Pädagogische Leiterin der UKSH Akademie. „Fortbildungsveranstaltungen, die drei Tage hintereinander stattfinden, die es als Format zu unterschiedlichen Themen in derVergangenheit öfter gab, sind kaum noch umsetzbar“, sagt sie. Und das während gleichzeitig der Bedarf an Bildung durch die vielen schnellen technischen Veränderungen und neuen gesetzlichen Vorgaben stetig steigt. Fortbildungen wurden daher gestrafft, die Anzahl der reinen Tagesveranstaltungen habe sich reduziert, sagt sie. „Gute Erfahrungen machen wir mit Tagesveranstaltungen, bei denen mehrere Themen in sich geschlossen und aneinandergereiht sind.“
Daneben sieht Moderegger aber noch eine weitere Herausforderung: Kollegen in der Praxis freizustellen, damit sie in die Bildungseinrichtung kommen können. „Als Akademie müssen wir uns bei der Konzeption anpassen. Deswegen gehen wir zukünftig auch mit den Bildungsangeboten zu den Kollegen vor Ort.“ Ein Pilotprojekt habe man mit dem Grundkurs Kinästhetics gestartet, der normalerweise 24 Unterrichtseinheiten und damit drei Tage in Präsenz außerhalb der jeweiligen Einrichtung umfasse. „Diesen Kurs haben die Kollegen in kleine Unterrichtseinheiten zerlegt, gehen damit auf die Station und schulen dort sukzessive das ganze Team“, sagt Moderegger. „Danach begleiten Trainer die Kollegen weiterhin und sichern so die Qualität.“
Nicht nur in der Fort- und Weiterbildung in Krankenhäusern spielen flexible Schulungen eine größere Rolle. Auch die digitale Ausbildung hat an Fahrt aufgenommen – vor allem zuletzt wegen der Corona-Krise, da Pflegeschulen geschlossen werden mussten. „Corona hat wie ein Brennglas gewirkt“, sagt Thomas Hesse, Personaldirektor im Klinikum Saarbrücken. Die Implementierung von E-Learning sei auch ohne Corona im ersten Halbjahr 2020 geplant gewesen, insbesondere für Pflichtschulungen wie Datenschutz, IT-Sicherheit und so weiter. Während der Pilotphase kam aber Corona. „Dann haben wir das Tool dafür genutzt, um weiterhin Unterricht zu halten, insbesondere für die neuen Schüler, die Anfang April zu uns kamen, als alle Pflegeschulen geschlossen waren“, sagt Hesse. Sein Fazit: „Wir sind ins E-Learning etwas reingestolpert, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass gar nicht die Notwendigkeit bestand, alles minutiös vorauszuplanen. Einfach mal machen, das hat sich bewährt.“
Im Nachhinein habe man festgestellt, dass E-Learning allein nicht dafür geeignet ist, eine Ausbildung auf ein ordentliches Fundament zu stellen. Dafür brauche es mehr, zum Beispiel virtuelle Klassenräume, sagt Hesse. Mit dem Land Saarland (Bildungs- und Gesundheitsministerium) startet das Klinikum Saarbrücken im Rahmen des Di-gitalpakts ein Pilotprojekt, das auch Pflegeschulen in die Online-Cloud miteinbezieht. Der Vorteil: Ausbildung lasse sich neu denken und in Teilen mit Präsenz- und Online-Inhalten abbilden. Das wiederum verschafft auch Flexibilität für Menschen, die zwar einen Pflegeberuf erlernen möchten, aber nicht klassisch die Zeit von 8 bis 16 Uhr für den Unterricht aufbringen können. „Online-Studiengänge gibt es auch schon lange“, sagt Hesse. Daneben zählen auch Ausbildungen in Teilzeit oder sogenannte Modellausbildungen wie die Ausbildung zur Pflegefachkraft mit integrierter Fachweiterbildung in Intensiv- und Anästhesiepflege, die das Klinikum auf dem Winterberg anbietet. „Um Pflegekräfte zu entlasten, braucht es mehr Hände. Und die gibt es nur, wenn wir mehr ausbilden und junge Menschen für diesen tollen Beruf begeistern“, sagt Hesse.
Mehr Flexibilität beim Lernen
Dem Wunsch nach mehr Flexibilität ist das Klinikum Kulmbach ebenfalls nachgekommen und hat Anfang 2019 E-Learning-Tools eingerichtet. Die Planungen reichen bis ins Jahr 2017/2018 zurück. „Ein Glück“, sagt Janine Brunecker, Projektleitung E-Learning. „Sonst hätten wir während der Corona-Krise keine Pflichtschulungen anbieten können. Und das bei 1.600 Mitarbeitern.“ Mitarbeiter können die Schulungen während der Arbeitszeit absolvieren, wenn wenig los ist, oder auch in der Freizeit, dafür erhalten sie eine Stundengutschrift. Getragen werde das auch von Geschäftsführerin Brigitte Angermann, denn mehr Flexibilität schaffe einen besseren Workflow und spart Kosten, weil die Ausfallzeiten geringer sind. Den Mitarbeitern stelle das Klinikum Kulmbach Technik und Räume zum Lernen zur Verfügung. Auch man selbst bleibe flexibel. „Es gab von den Mitarbeitern Anfragen nach Online-Schulungen für Arzneimitteltherapiesicherheit und Medikamentenmanagement. Das wollen wir nun anbieten“, sagt Brunecker. Sie glaubt, dass der Trend zu mehr Online-Schulungen geht, Präsenzveranstaltungen finden eher in kleinen Gruppen statt. „Das ist individueller, das Lernen funktioniert so besser.“
Ähnliches erwartet auch Dr. Holger Böckel: Man werde in Zukunft genauer hinschauen, welche Schulungen wirklich mit Präsenz der Schüler notwendig sind. „E-Learning eignet sich für Wissensvermittlung, für die Vermittlungen von Handlungs- oder Sozialkompetenzen ist aber ein Präsenzanteil unerlässlich.“
Es brauche auch Raum und Zeit für den persönlichen Austausch, sagt Moderegger. Sie könne sich vorstellen, dass sich beispielsweise die Weiter- bildung für Anästhesie- und Intensivpflege mit bis zu 70 Prozent mit einer Online-Lehre abbilden lasse. „Die restlichen 30 Prozent sollten für Weiterbildungsteilnehmer und Lehrkraft bleiben.“
Eine Rückkehr zu Vor-Corona sei der falsche Weg, sagt Volker Pape. Er wünscht sich mehr Freiräume und eine größere Offenheit der Aufsichtsbehörden. „Wir ersetzen nicht alle Präsenzveranstaltungen, wir möchten aber Ausbildungen komplementär gestalten. Gerade die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass es funktioniert.“