Das Gutachten zur Erneuerung des AOP-Katalogs sorgt für Aufbruchsstimmung unter den Leistungserbringern. Eine Einigung gibt es aber noch nicht.
Die Debatte um die Ambulantisierung der Medizin läuft seit zehn Jahren an der Realität vorbei. Abgesehen von der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (gilt als Totalreinfall) hat sich wenig getan. Im neuen Ampelkoalitionsvertrag taucht Ambulantisierung zwar an verschiedenen Stellen auf (Hybrid-DRGs, Notfallversorgung, Gesundheitsregionen), doch wenn man sich in der Gesundheitsszene umhört, liegt die Hoffnung eher auf einem Projekt der Selbstverwaltung: der Neufassung des AOP-Katalogs. GKV-Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und Kassenärztliche Bundesvereinigung haben den Auftrag, dieses Verzeichnis fürs ambulante Operieren aufzubohren. Die Erwartungen des Gesetzgebers sind hoch: Das Ambulantisierungspotenzial soll besser ausgeschöpft, der Abrechnungszwist um primäre und sekundäre Fehlbelegung eingedämmt und die Gründung ambulant-stationärer Einrichtungen erleichtert werden.
Mit drei Monaten Verspätung haben die drei Selbstverwaltungspartner nun Ende März ein 300 Seiten starkes Gutachten des Iges-Instituts freigegeben. Auftrag war es, den Katalog zu erneuern und ein Konzept für eine Schweregraddifferenzierung abzuliefern. Letzteres könnte Grundlage für ein neues Preissystem werden. Das Iges-Institut hat dafür die rund 35.000 OPS-Codes analysiert und ist zu dem Schluss gekommen, dass sich davon 2.476 in den Katalog für ambulantes Operieren (AOP-Katalog) einfügen lassen. Die derzeitig im AOP-Katalog aufgeführten rund 2.500 Leistungen würden sich somit nahezu verdoppeln lassen. Doch der Teufel steckt im Detail. Denn ob ein Eingriff ambulant machbar ist, hängt stark von der Behandlungssituation ab. „Kontextprüfung“ und „Schweregradadjustierung“ sind deshalb die Schlüsselworte im Gutachten. Hinter beiden Vokabeln verstecken sich komplexe Beurteilungsregime. Das Konstrukt von Iges ist noch fragil und angreifbar – gut möglich, dass hier noch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) ins Spiel kommt.
DKG, GKV und KBV ringen jetzt um Details und die Vergütung. Ob die sich eher an der Ärztevergütung (EBM) oder an der Krankenhausfinanzierung (DRG) orientiert, ist die aktuelle Streitfrage. Spannend dürfte die Rolle der im Koalitionsvertrag genannten Hybrid-DRGs sein. Dieses ursprünglich nur für Krankenhäuser gedachte Finanzierungsinstrument könnte auf den AOP-Katalog angewendet werden. Vor allem für die Krankenhauslobby wäre das der Königsweg, weil ambulant und stationär gleich vergütet würden und der ewige Abrechnungsstreit mit dem MDK ausgebremst wäre. In jedem Fall soll der renovierte AOP-Katalog die Finanzierung ambulanter OPs vom Ort der Leistungserbringung (Arzt oder Krankenhaus) entkoppeln – und so den Status quo verändern. Denn momentan haben Kliniken vor allem den Anreiz, Patienten stationär zu behandeln, während niedergelassene Ärzte viele OPs nicht machen, weil ihnen die EBM-Vergütung zu mickrig ist.
In der neuen f&w kommen mehrere Insider zu Wort: Iges-Geschäftsführer Martin Albrecht, VLK-Präsident Michael A. Weber und Stefan Wöhrmann, Abteilungsleiter für Stationäre Versorgung des VDEK, haben alle am Gutachten mitgewerkelt. Außerdem erklärt KBV-Chef Andreas Gassen, wie er sich einen ambulanten Sektor mit „gleich langen Spießen“ vorstellt. Die Beiträge dieser Titelgeschichte kommen zu unterschiedlichen Bewertungen – liefern aber viel Input für die Diskussionen in den kommenden Wochen.
f&w-Titelstrecke "Neuer AOP-Katalog"
Iges-Chef Martin Albrecht fasst die wichtigsten Punkte seines Gutachtens zum neuen AOP-Katalog zusammen.
VLK-Chef Michael A. Weber warnt vor zahllosen MD-Prüfungen. Einen Ausweg bieten aus seiner Sicht Hybrid-DRG.
Chefarzt Arndt Billing sieht die vorgeschlagene Kontextprüfung kritisch. Am Ende müssten Menschen die Wahl treffen, ob Patienten ambulant oder stationär versorgt werden.
Kassenvertreter Stefan Wöhrmann stellt klar, dass das Thema AOP-Katalog nicht nur unter Versorgungsgesichtspunkten, sondern auch unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet werden muss.
Die Reform des § 115 b SGB V hat das Potenzial, die Zusammenarbeit von ambulant und stationär nachhaltig zu verändern, schreibt KBV-Chef Andreas Gassen.
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