Medizinische Versorgungszentren (MVZ) galten einst als die Versorgung der Zukunft. Die hohen Erwartungen wurden jedoch nie erfüllt. Es ist höchste Zeit für neue Konzepte. Ein Nachruf von Roland Strasheim, der ein Weckruf sein möchte.
Mit der Gesundheitsreform 2003 schuf der Gesetzgeber die Rechtsgrundlage für die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Ziel war, die Möglichkeiten der Anstellung von Ärztinnen und Ärzten zu verbessern und gleichzeitig Anreize zu setzen, medizinisches Know-how dem Vorbild der Polikliniken folgend an einem Ort zu bündeln. Dagegen nicht im Fokus war es, die ambulante Leistungserbringung (und -abrechnung) der Krankenhäuser auszuweiten. In den folgenden 18 Jahren haben wir alles gesehen: hastiges Aufkaufen von KV-Sitzen rund um Krankenhäuser nach dem Motto „haben ist besser als brauchen“. Wiederveräußerung, wenn die Erwartungen nicht erfüllt wurden. Investoren, die auf den Markt drängten und mit skalierbaren Geschäftsmodellen Nischen besetzten. Kooperationsmodelle zwischen Krankenhausträgern und niedergelassenen Ärzten. Letztere haben auch entlang von Krankheitsbildern horizontale Versorgungsketten fachgebietsübergreifend aufgebaut. Als Beispiel ist die Herz- und Gefäßmedizin mit Bausteinen wie Innere, Kardiologie, Angiologie, Bildgebung oder Diabetologie zu nennen.
Ernüchternde Bilanz
Wo stehen wir im Jahre 2022? Ist das MVZ die „medizinische Versorgung der Zukunft“? Von der Idee, vom Versorgungsgedanken kommend, ein ganz klares Ja. Denn Medizin ist zunehmend ambulant, und eine vernetzte, kooperative und personalisierte Medizin schafft enormes Potenzial für eine qualitativ hochwertige Versorgung für die Menschen – und damit einhergehend eine hohe Wirtschaftlichkeit. Es wäre die perfekte Kombination zum Wohle der Bevölkerung. Aber wie fällt der Abgleich mit der Realität aus? Ernüchternd. Seit 2004 hat der vertragsärztliche Bereich Schwierigkeiten, die Sicherstellung der ambulanten Versorgung zu gewährleisten, und zwar aus mehreren Gründen: Den klassischen Arzt, der als Unternehmer, als Praxisinhaber und als Einzelkämpfer mit der Arzttasche 24/7 verfügbar ist, gibt es immer weniger. Ebenso wenig die Fachärztin, die in der Lage ist, die komplexe Medizin mit allen Geräten und medizischem Fachwissen in einer Person umfänglich anzubieten.
Gleichzeitig leiden die Krankenhausträger unter den Rahmenbedingungen der ambulanten Leistungserbringung. Die ideale Konstellation, Arzt im Krankenhaus und Arzt in der ambulanten Versorgung (MVZ), bringt so einige Fallstricke mit sich. Arbeitsverträge mit Krankenhaus und MVZ werfen einen enormen Mehraufwand ohne Mehrwert für den Patienten auf. Eigentlich sollten die zwei Arbeitsstellen doch Hand in Hand gehen; tatsächlich erschweren prozessuale sowie organisatorische Hürden (Trennung der Informationssysteme!) den Alltag – und all das mit einer Vergütung, die der Niedergelassene auch bekommt und im Gegenteil zu einem angestellten Mediziner als Unternehmer gelernt hat, die Kosten direkt im Blick zu haben.
Dazu kommt das Prinzip der persönlichen Leistungserbringung. Jegliche Flexibilität, mehrere Fachärzte mit unterschiedlichen (medizinischen) Kompetenzen auf einem KV-Sitz arbeiten zu lassen, endet in einem unsäglichen Bürokratieakt mit dem Zulassungsausschuss. Also haben die Krankenhausträger in den vergangenen Jahren Strategien entwickelt, sich der ambulanten Versorgung aus verschiedenen Richtungen zu „nähern“: teilstationär, MVZ, §§ 115 und 116, ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV). Alles, um die Übernachtungskomponente, sprich stationäre Aufnahme, zu umgehen. Denn die braucht es in vielen Fällen nicht mehr, um kompetent versorgt zu werden. Sie wird regelmäßig von den Kostenträgern und dem Medizinischen Dienst (MD) beanstandet – häufig zu Recht.
Mehr Mut, mehr Wille
Wie kann eine hervorragende medizinische Versorgung in Zukunft gelingen? Mit strukturellen Reformen, die diesen Namen verdienen. Kleine Krankenhäuser können einen wichtigen Beitrag zur ambulanten Versorgung in ländlichen Regionen leisten. Ein Teil ihres stationären Budgets könnte hier einfließen und umgewidmet werden. Zeitgleich bauen sie ihre Strukturen um. Sie transformieren vom Krankenhaus der Regelversorgung mit Innerer Medizin und Chirurgie zum Gesundheitszentrum. Sie übernehmen eine ambulante Basisversorgung und Teile der Notfallversorgung in der Region, ähnlich dem Modell der Polikliniken – aber mit anderen Spielregeln als in der bisherigen KV-Praxis. Die sind dafür kein geeignetes Instrument. Was es dazu bedarf? Echten Reformwillens und des Mutes der Politik, diesen finanziell abzusichern. Unsere Aufgabe als Leistungserbringer ist es, gute, tragfähige Konzepte vorzulegen und diese der Politik und vor allen Dingen der Bevölkerung zu vermitteln. Denn in Zeiten der Twitter-Politik wird es unumgänglich sein, jeden Einzelnen davon zu überzeugen, dass neue Strukturen nur Vorteile für alle Beteiligten und insbesondere die Bevölkerung bieten. Es gibt viele Gründe, dies nicht zu tun, aber kein einziger ist im Sinne des Patienten und der Volkswirtschaft – heute mehr denn jemals zuvor. Nicht jede Krankenhausschließung wird vermeidbar sein, aber auf dem Weg zu einer auf gesunden Beinen stehenden Versorgung der Menschen werden sich viele Kliniken zu Gesundheitszentren transformieren lassen. Auf geht’s!
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