Ärzte, Pflegekräfte und Manager beklagen schon seit Langem eine immer stärkere Regulierung, die ihnen Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben im Klinikalltag raubt. Dabei ist der Mehrwert häufig unklar. Nun gibt es auf unterschiedlichen Ebenen immerhin erste Ansätze, die Bürokratielast zu verringern.
Dr. Susanne Johna ließ im Sommer dieses Jahres ihrem Frust freien Lauf. „Trotz jahrelanger Bekenntnisse zum Bürokratieabbau wird der Dokumentationsaufwand immer absurder“, klagte die Erste Vorsitzende des Marburger Bundes gegenüber Redakteurinnen und Redakteuren der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ). „Es ist zum Verzweifeln, das raubt uns Zeit, die wir nicht haben.“
„Entbürokratisierung muss endlich eine Priorität der Gesundheitspolitik werden.“ Dr. Susanne Johna, Erste Vorsitzende des Marburger Bundes
Wenige Wochen später untermauerte der Marburger Bund Johnas Aussagen mit aktuellen Zahlen aus einer Mitgliederumfrage. Demnach verbringt ärztliches Personal im Durchschnitt drei Stunden pro Tag damit, Daten zu erfassen und zu dokumentieren. Rund ein Drittel der Befragten kam sogar auf mindestens vier Stunden täglich. „Entbürokratisierung muss endlich eine Priorität der Gesundheitspolitik werden“, forderte die MB-Vorsitzende.
"Wir brauchen Politiker, die wieder ganzheitlicher denken und sich nicht in Einzellösungen verlieren." Dr. Gerald Gaß, DKG-Präsident
Ärztinnen und Ärzte sind nicht allein mit ihren Forderungen. Auch wer sich mit Pflegekräften oder Klinikmanagerinnen und -managern unterhält, kommt im Gespräch irgendwann immer darauf zu sprechen, wie viel Aufwand die Bürokratie im Krankenhausalltag verursacht – und das schon seit Langem.
Irgendwann sind Gesetze nicht mehr zeitgemäß: weil sie durch technische oder gesellschaftliche Entwicklungen überholt sind oder weil schlicht die Grundlage entfallen ist, deretwegen sie seinerzeit eingeführt wurden. Für unseren Autor Reinhard Schaffert, Geschäftsführer Klinikverbund Hessen, ist klar: Das Gesundheitswesen braucht ein Bürokratieentrümpelungsgesetz.
Mehr Kosten, weniger Zeit
Schon 2017 hatte ein Team des Instituts for Health Care Business unter Leitung des Gesundheitsökonomen Prof. Dr. Boris Augurzky zahlreiche leitende Klinikärzte und Manager interviewt und Gesetze aus den vorigen Jahren analysiert. Schon damals kamen sie zu dem Fazit, „dass die Politik in zunehmendem Maße wirtschaftliche Aktivitäten reguliert und unternehmerische Freiheiten einschränkt“.
Und das bedeutet nicht nur mehr Kosten, um die Vorschriften einzuhalten, zu dokumentieren und zu kontrollieren. Es bedeutet auch: „Teures Personal kann sich weniger um die eigentliche Leistungserbringung kümmern.“ Kein Wunder also, dass die Autoren in den Gesprächen eine „allgemeine Unzufriedenheit durch ein stetig wachsendes Maß an bürokratischen Tätigkeiten“ ausmachten.
"Natürlich gibt es Unzulänglichkeiten und Formulare, deren Sinnhaftigkeit mit Recht infrage gestellt werden soll. Ich reiche jedem die Hand, der hier Abhilfe schaffen will. Aber ich reagiere hochgradig allergisch, wenn mit dem Schlachtruf „Bürokratieabbau!“ mal eben der gesamte Patientenschutz über Bord geworfen werden soll." Dr. Wulf-Dietrich Leber, Leiter der Abteilung Krankenhäuser, GKV-Spitzenverband
MDK war Hauptverursacher für Bürokratie
Hauptverursacher war für die Interviewten der – damals noch so bezeichnete – Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK). Als weitere Ursachen nannten die Befragten zum Beispiel das Entlassmanagement, den Datenschutz sowie Personal- und Qualitätsvorgaben. Zudem klagten viele über einen geringen Grad an Digitalisierung, der die Aufgabenlast noch erhöhe. Am Ende stand eine klare Empfehlung der Studienautoren: „Stopp weiterer Bürokratie!“
Rückblickend war das Wunschdenken. In den vergangenen Jahren kam stattdessen noch mehr Bürokratie hinzu. Als ein Beispiel hierfür kommt Dr. Georg Rüter sofort das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz in den Sinn, durch das die Pflegekosten aus den DRG ausgegliedert wurden. Rüter ist Sprecher der Geschäftsführung der Katholischen Hospitalvereinigung Ostwestfalen, einem Verbund von sechs Krankenhäusern mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Seit mehr als 30 Jahren ist er als Klinikgeschäftsführer tätig und hat seitdem immer wieder erlebt, wie sich neue Gesetze auf den Arbeitsalltag auswirken.
Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz trat neben das DRG-System ein zweites System zur Abrechnung der Pflegekosten. „Solch ein Vorhaben verursacht immer extreme Bürokratie“, sagt Rüter. So zeigte sich in den Kliniken beispielsweise schnell: Es ist gar nicht so leicht zu definieren, welches Personal gemäß der gesetzlichen Vorgaben zur Pflege zu zählen ist.
Zudem entstand ein neuer Kontrollaufwand für die Krankenkassen, der zu neuem Konfliktstoff geführt hat und die Budgetverhandlungen „massiv erschwert“, so Rüter. Für den Klinikmanager lässt sich daraus wieder einmal eine zentrale Lehre ziehen: „Wir müssen davon ablassen, Entwicklungen vorschnell zu planen und dabei die Komplexität der Realität zu übersehen.“ Insgesamt steht für ihn fest: „Wir haben das vernünftige Maß an Regulierung bei Weitem überschritten.“
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