Klinische Daten ermöglichen mehr Transparenz und beschleunigen die Transformation hin zu einer patientenzentrierten Gesundheitsversorgung. Jedoch stoßen Qualität und Quantität der Daten schnell an ihre Grenzen, verlässliche Erkenntnisse zu generieren. Warum der klinische Mehrwert den hohen Aufwand überwiegt, sei eine entscheidende Frage der Digitalisierung des Gesundheitssystems, sagt unser Autor.
Kliniken erheben und dokumentieren tagtäglich Unmengen an Daten. Die Bandbreite der Daten reicht dabei von administrativen Daten und patienten- bezogenen Informationen über Behandlungsverläufe bis hin zur Leistungs- abrechnung. Zur Speicherung und Verarbeitung dieser enormen Menge an Daten nutzen Krankenhäuser und ihre Abteilungen verschiedene IT-Systeme, die mehr oder weniger interoperabel miteinander agieren.
Aus den Potenzialen schöpfen
Prinzipiell ist daher bereits eine große Datenbasis vorhanden, auf deren Grundlage die Krankenhausverwaltung, Mediziner oder andere direkt oder indirekt an der Versorgung beteiligte Berufsgruppen ihre Aktivitäten und Entscheidungen ausrichten. Durch die zunehmenden technologischen Möglichkeiten, Daten schnell und effektiv auszuwerten, zu teilen und miteinander zu verknüpfen, ergeben sich neue Dienstleistungen für Patienten, Innovationsansätze für die Medizin sowie noch nicht da gewesene Nutzenpotenziale für Kliniken.
Für Patienten kann eine Neuausrichtung des Umgangs mit klinischen Daten eine Verbesserung der Behandlungstransparenz zur Folge haben. Durch umfassende Dokumentationen von Krankheits- und Behandlungsverläufen über die Lebenszeit hinweg lassen sich beispielsweise Doppelbehandlungen oder Nebeneffekte von Interventionen vermeiden. Eine transparente Darstellung der klinischen Daten erlaubt den Patienten zudem Vergleiche von Gesundheitseinrichtungen anhand von Merkmalen wie der vorhandenen praktischen Erfahrung, Qualität sowie Effizienz, ähnlich wie es in anderen Branchen die Regel ist.
Personalisierte Patientenversorgung
Der medizinische Wert der Daten zeigt sich durch personalisierte Angebote entlang der Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge. Das medizinische Personal wird darin unterstützt, evidenzbasierte Entscheidungen für die Behandlung von Erkrankungen zu treffen, die Wirkung von Arzneimitteln zu erkennen oder den konkreten Verlauf einer Intervention nachzuverfolgen.
Durch diese Entscheidungsunterstützung können klinische Prozesse im Ergebnis nicht nur zu einer höheren Behandlungsqualität führen, sondern durch den Zugang zu relevanten Informationen auch die Wertschöpfung des Krankenhauses verbessern.
Einige umgesetzte Digitalisierungsvorhaben zeigen bereits in der Praxis, dass die kontinuierliche datenbasierte Steuerung klinischer Abläufe Warte- und Behandlungszeiten reduziert und Leerzeiten sowie redundante Arbeiten verhindert.
Nachvollziehbares Misstrauen
Voraussetzung, um diese Potenziale nachhaltig in die klinische Realität zu überführen, ist, die aktuell noch sehr heterogenen Daten intelligent miteinander zu verknüpfen. Ein Großteil der Deutschen steht laut einer repräsentativen Umfrage den hierfür notwendigen Maßnahmen zur systematischen Verarbeitung, Bereitstellung und Nutzung von medizinischen Daten positiv gegenüber. Trotz dieser verbreiteten gesellschaft- lichen Zustimmung scheiterte in der jüngsten Vergangenheit eine Vielzahl von digitalen Initiativen an vielfältigen, historisch gewachsenen Herausforderungen.
Vor allem unterschiedliche datenschutzrechtliche Bestimmungen untergraben Bemühungen und Visionen einer möglichst transparenten Datenverwendung im Klinikbereich. Je nach Art und Ort der erhebenden Institution gelten diesbezüglich unterschiedliche Gesetze und Verordnungen, von der EU-Datenschutz-Grundverordnung bis herunter gebrochen auf das kirchliche Datenschutzrecht. Zusätzlich besitzen Krankenhäuser oft noch unflexible digitale Infrastrukturen, die eine strukturierte Erhebung, Speicherung und Verarbeitung der Daten schwierig bis unmöglich machen, denn diese befinden sich in der Regel aufgrund komplexer IT-Landschaften in Silos, die entlang organisatorischer oder semantischer Grenzen verlaufen. Fehlende Schnittstellen und unterschiedliche Dateiformate tun ihr Übriges und führen bei heterogenen Systemlandschaften häufig zu pflegeintensiven Insellösungen.
Zu den regulatorischen und technischen Limitationen bei der Datennutzung, kommt häufig noch der Faktor Mensch. Im Versorgungsalltag liegen viele Daten noch ausschließlich auf Papier vor. Auch beim notwendigen Übertragen der analogen Daten in eine digitale Form passieren Fehler und entstehen Datenlücken. Die unzureichende Qualität und geringe Transparenz von isolierten Datensammlungen führen in der Folge nachvollziehbarerweise zu Skepsis in der Belegschaft und aufgrund von fehlendem Vertrauen gegebenenfalls zur Ablehnung von neuen datengetriebenen Anwendungen.
Realitätscheck beim Nachbarn
Die Umsetzung der notwendigen technischen, organisatorischen und kulturellen Veränderungen hat Dänemark bereits zu großen Teilen vollzogen. Seit Jahrzehnten werden systematisch von allen Akteuren im Gesundheitswesen Versorgungsdaten erhoben und für die Behandlung und Forschung genutzt.
Die dänischen Bürger haben Zugang zur nationalen Gesundheitsplattform, wodurch sie Zugriff auf alle relevanten Gesundheitsdaten von der Geburt bis zur letzten Lebensphase haben. Auch die Gesundheitseinrichtungen arbeiten mit dem nationalen Portal, durch das sie auf mehr als 100 verschiedene Datenquellen zugreifen und Informationen mit anderen Gesundheitsdienstleistern und Patienten austauschen können.
In den Kliniken werden Gesundheitsdaten vorrangig zur Sicherstellung eines universellen Zugangs zu effizienten, wirksamen und modernen Versorgungsleistungen verwendet. Ein entscheidendes Instrument sind Patientenflowsysteme, die in allen dänischen Krankenhäusern in Betrieb sind. Diese Systeme ermöglichen auf Basis der Versorgungsdaten die Steuerung von Patientenpfaden, die Vernetzung des beteiligten Personals und die Schaffung einer durchgängigen Prozesstransparenz. Allein durch die Bereitstellung relevanter Informationen entfallen zahlreiche Telefonate, was Zeit für andere Tätigkeiten rund um die Patientenversorgung schafft. Des Weiteren führt die Koordination zwischen den Abteilungen auf Basis von Echtzeit- daten zu einer verbesserten Entscheidungsfindung in der Ressourcenplanung.
Die systemische Verknüpfung liefert Informationen über regional verfügbare Kapazitäten zu allen wichtigen Versorgungsbereichen, wie der Notfall- oder Intensivversorgung. Zwischen den Krankenhäusern besteht somit die Möglichkeit, sich über Kapazitäten datenbasiert auszutauschen, was besonders in der Pandemie enorm an Bedeutung zunahm.
Wertvolle Infrastrukturen schaffen
Das Beispiel Dänemark zeigt, dass eine ganzheitliche Betrachtung der Digitalisierung und eine Ausrichtung aller Aufgaben an eine einheitliche Zielsetzung zu Mehrwerten für Gesellschaft und Gesundheit führen können. Der notwendige Wandel hin zu einer datenorientierten Gesundheitsversorgung ist jedoch mit einem schwer abschätzbaren Aufwand für die Entwicklung der notwendigen digitalen Infrastrukturen sowie der Veränderung der Abläufe und Organisationsstrukturen verbunden, was die Frage des tatsächlichen Nutzens dieser Transformation für die Leistungserbringer aufwirft, die einen Großteil der Aufwände tragen müssen.
Aufseiten der Krankenhäuser gilt es, den Wert der klinischen Daten für die eigenen Versorgungsprozesse zu erkennen. Vor allem vor dem Hintergrund des anhaltenden Fachkräftemangels wird es perspektivisch immer relevanter, verfügbare Möglichkeiten zur Entlastung der Mitarbeitenden zu nutzen. Digitale Anwendungen zur Kommunikation, datengestützte Planungsprozesse oder (teil)automatisierte Dokumentation geben dem medizinischen Personal mehr Zeit für die patientenbezogene Kern- arbeit. Die wichtigste Voraussetzung hierfür ist neben der generellen Veränderungsbereitschaft auch die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel.
Messwerte ändern, Blickwinkel nachschärfen
Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) schafft hier zwar kurzfristige Finanzierungsmöglichkeiten für die Umsetzung vorgegebener digitaler Anwendungsfelder. Da der regulatorische Rahmen und die strukturellen Voraussetzungen innerhalb der Kliniken jedoch unverändert sind, bleibt es fraglich, wie viele dieser Digitalisierungsvorhaben den für die Transformation notwendigen Nutzen aufseiten der Leistungserbringer generieren werden. Hierzu wäre es sinnvoll, sich nicht an dem Reifegrad digitaler Prozesse zu orientieren, sondern an möglichst konkreten und individuellen Zielen, die mit diesen digitalen Prozessen erreicht werden sollen.
Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit, Verbesserung der Lebensqualität der Patienten, Reduzierung der Dokumentationszeiten, verbesserte Ressourcenauslastung – das sind Nutzenversprechen, an denen sich die digitale Transformation des Gesundheitssystems messen lassen muss. Herausforderungen, die die Umsetzung dieser Potenziale verhindern – wie beispielsweise der heterogene Datenschutz oder die fehlende Interoperabilität – müssen regulatorisch adressiert werden, um einen Rahmen zu schaffen, in dem die Digitalisierung Mehrwerte für die Gesundheitsversorgung erzeugt und somit die Veränderungsbereitschaft im System nachhaltig positiv beeinflusst.