Unter dem Label "New Work" zieht auch das Duzen in immer mehr Krankenhäuser ein. Was Klinikmanager dabei beachten sollten.
Von Vera Starker
„Hallo, ich bin Kai.“
Das verkündet Kai Hankeln, CEO der Asklepios Kliniken, seit Kurzem in den sozialen Medien. Das Du ist im Management großer Kliniken angekommen.
Die Anredeformen Du und Sie sind fester Bestandteil der deutschen Sprache und Ausdruck der gesellschaftlichen Hierarchie sowie des Umgangs miteinander. Auch in Organisationen gibt das Sie als verlässliche Größe Auskunft zur Position in der Hierarchie. Der Wandel der Anredekultur, zunächst vor allem in Wirtschaftsorganisationen, ist in diesem Rahmen ein Spiegelbild der sich verändernden Gesellschaft.
Die Einführung einer unternehmensweiten Duz-Kultur wird in vielen Wirtschaftsorganisationen als strategischer Schritt, als Ausdruck von flachen Hierarchien und partnerschaftlicher Zusammenarbeit – und häufig auch als Mittel gegen den Fachkräftemangel – eingesetzt, nicht selten unter der Überschrift „New Work“. Die Philosophie des Neuen Arbeitens, die auf Eigenverantwortung und Flexibilität basiert, geht allerdings weit über derartige Maßnahmen hinaus.
Viele Managementetagen in den Kliniken überlegen nun, ob sie eine klinikweite Duz-Kultur implementieren wollen. Die Vor- und Nachteile dieses Schritts gilt es abzuwägen, da die Änderung der Anredeform einen gezielten Eingriff in die Unternehmenskultur darstellt und ihr Erfolg von spezifischen Randbedingungen abhängt.
Studie: Viele Beschäftigte bevorzugen das Siezen
Die Studie „Auswirkungen der Anrede auf die Unternehmenskultur: Triangulation von Methoden und Daten“ kommt zu dem Ergebnis, dass die Anredeform signifikante Auswirkungen auf verschiedene Dimensionen der Unternehmenskultur wie Identifikation, Führung, Kommunikation, Innovation und Teamorientierung haben kann. Das Sie wird häufiger mit Beständigkeit, aber auch mit Distanz, Konservatismus und weniger Entscheidungsmöglichkeiten der Mitarbeiter assoziiert, während das Du beziehungsweise die Mischform mit Teamwork verbunden wird. Das heißt, es kann keine eindeutige wissenschaftliche Empfehlung gegeben werden.
In der Tat signalisiert das Du Nähe und Vertrautheit, was die Zusammenarbeit und das Arbeitsklima positiv beeinflussen kann, wie viele Wirtschaftsorganisationen bestätigen, die diesen Schritt unternehmensweit gegangen sind.
Insgesamt ergibt sich jedoch auch in der Praxis ein sehr heterogenes Bild über die Berufsgruppen und Hierarchieebenen hinweg. Interessanterweise ist die größte Sorge der Verlust einer Distanz, die als Voraussetzung für objektive Kritik gesehen wird: das Du als Hemmung, klare Worte zu sprechen, obwohl es doch Nähe und Vertrauen fördern soll. Und nicht wenige Befragte betrachten das Sie als wichtigen Ausdruck von Respekt und angenehmer Distanz, während das Du als zu locker und sogar unprofessionell empfunden wird.
Duzen mit Kollegen und Patienten
Auch im Krankenhaussektor gibt es die gesamte Bandbreite von der Kultur des Sie – man duzt sich innerhalb der meisten Berufsgruppen und auf den gleichen Hierarchieebenen, aber nicht über diese hinweg – bis hin zu Kliniken, in denen grundsätzlich geduzt und das Du sogar den Patienten angetragen wird, um Vertrauen zu fördern. Die (intuitive) Grenze für das Duzen ist in klassischen Klinikorganisationen offensichtlich sowohl in der Hierarchie der Positionen als auch in der der Professionen zu finden. Daher ist die Frage nach der Einführung der Duz-Kultur untrennbar mit der Überlegung verbunden, ob man Führung auf Augenhöhe und multiprofessionelles Arbeiten in Teams aktiv fördern will. Beides birgt großes Potenzial im Hinblick auf Ressourcenaktivierung, Bindung und Selbstverantwortung.
Es gibt, wenn man es zuspitzen will, zwei Lager im Hinblick auf die Einführung einer Duz-Kultur. Neben den Asklepios Kliniken beschäftigen sich auch andere Häuser konkret mit der Strategie. Im Interview illustriert Gundolf Thurm, der mit Regina Hein bei den zu Sana gehörenden Regio Kliniken die Geschäftsführung innehat, zur klinikweiten Einführung des Du den Weg von der Idee zur Umsetzung.

"Prozess und Ausgestaltung lagen bei den Führungskräften"
Gundolf Thurm, Teil des Geschäftsführungsduos der Regio Kliniken, erklärt, wie er seinen Beschäftigten das Du angeboten hat
Herr Thurm, gab es ein Initial für die Einführung des Du?
Wir haben uns im Zusammenhang mit der Analyse der Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung zum Ziel gesetzt, das individuelle Erleben von Wertschätzung und sozialer Eingebundenheit in den Kliniken zu stärken. Hier sind einerseits natürlich die Führungskraft und die Unternehmensleitung gefragt. Viel alltäglicher und damit ausschlaggebender sind aber die zahlreichen täglichen Kontaktpunkte mit Kollegen. Fühle ich mich dabei gesehen und ernst genommen, erlebe ich einen Kontakt auf Augenhöhe, gerade auch mit anderen Berufsgruppen, Teams und Hierarchiestufen? Vielfach wurde innerhalb des Teams beziehungsweise der Berufsgruppe geduzt, zwischen Berufsgruppen und Hierarchiestufen aber gesiezt. Wir haben darin die Manifestation einer traditionellen organisatorischen Barriere gesehen, die kaum jemand möchte und die nicht zu unserem Unternehmensselbstpasst, die aber durch das routinemäßige tägliche Siezen immer wieder neu gefestigt wurde. Wir wollten daher einen Impuls setzen, um diese Barriere aktiv zu hinterfragen und möglichst abzubauen.
Wie haben Sie dieses Thema innerhalb des Teams der Krankenhausleitung adressiert?
Wir haben die Duz-Kultur innerhalb der erweiterten Geschäftsleitung – Geschäftsführung, kaufmännische Leitung, Personalleitung, pflegerische Leitung, ärztliche Direktoren – diskutiert und beschlossen. Dann haben wir als Geschäftsführer auf der Strategietagung unseren Führungskräften das Du angeboten. Anschließend haben wir einen Brief für unsere Mitarbeiter-App und unser Intranet verfasst, in dem wir allen Kollegen das Du angeboten haben. Diesen haben wir dann an die Führungskräfte geschickt, um sie auf die Veröffentlichung vorzubereiten. Am Tag darauf wurde der Artikel veröffentlicht.
Haben Sie den Führungspersonen Ihrer Klinik weitere Tipps zur Umsetzung gegeben?
Den Prozess und die konkrete Ausgestaltung haben wir aus zwei Gründen bewusst in die Hände der Führungspersonen gelegt: Zum einen hat Kommunikation ja auch eine sehr persönliche Komponente, die sie behalten soll, damit sie authentisch bleibt. Und zweitens ist es uns wichtig, Menschen zu stärken – unter anderem durch das Erleben von Selbstwirksamkeit. Daher wollten wir den Prozess nicht zu sehr steuern, sondern ganz bewusst Gestaltungsspielräume und damit auch Unsicherheiten und den individuellen Umgang damit zulassen.
Messen oder erfassen Sie irgendetwas rund um die Einführung des Du?
Eine systematische Messung gibt es nicht. Wir haben aber bewusst die Strategietagung als Zeitpunkt der erstmaligen Thematisierung gewählt, um direktes Feedback der Führungspersonen zu erhalten und in den Dialog gehen zu können. Außerdem haben wir in der Woche der Veröffentlichung unseres Briefes in der App besonders viel mit Kollegen unserer Klinik gesprochen. Und schließlich war auch das Feedback in unserer App hilfreich.
Gab es auch kritische Rückmeldungen?
Grundsätzliche Kritik wurde kaum geäußert. Einzelne Personen haben für sich entschieden, erst mal beim Sie zu bleiben, weil sie es so gelernt haben oder weil für sie das Du etwas Privates ist. Das ist für uns auch völlig in Ordnung und wird nach Beobachtung der Geschäftsführung auch allgemein akzeptiert. Grundsätzlich war zu beobachten, dass die Einführung des Duzens durch viel Fröhlichkeit und Kommunikation geprägt war: Es wurde viel über das Du gesprochen, man hat sich neu vorgestellt, Unsicherheiten erlebt, darüber gemeinsam gelacht. Manch einer berichtete mir, dass er bei dem Thema zunächst ein Unbehagen gespürt und daraufhin darüber nachgedacht habe, woher dieses Unbehagen eigentlich käme, um schließlich festzustellen, dass es unbegründet ist und ein hierarchiereduzierter und lockererer Umgang mit dem eigenen Team genauso gut oder besser funktionieren könne. Gerade diese Rückmeldung hat mich sehr gefreut, denn es war ja ein Ziel, zum Nachdenken über den Umgang untereinander anzuregen.
Die Duz-Kultur muss zum Unternehmen passen
Die Verwendung von Du oder Sie ist eine komplexe Frage, die im Management diskutiert werden sollte, da es weitere begleitende Maßnahmen braucht, um die Organisation in Richtung Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu entwickeln. Wenn die Einführung einer Duz-Kultur nur anfangs ein Aufbrechen der Hierarchiestrukturen vorspiegelt und sich keine sonstige (Führungs-)Verhaltensänderung ergibt, entsteht eine demotivierende Wirkung. Dieses Phänomen wurde auch von Experten im Rahmen der qualitativen Untersuchung der genannten Studie beschrieben.
Gleichzeitig braucht es klare Führungssignale, da die Einhaltung der Entscheidungskette weiterhin elementar bleibt. In der Praxis gab es Beispiele, wo Mitarbeiter das Du zum Anlass nahmen, an etablierten Strukturen vorbei Themen beim Vorstand direkt zu platzieren. Überdies bleibt der Umstand, dass Menschen unterschiedliche Präferenzen haben und das Du nicht immer angemessen finden, bestehen, sodass auch mit kritischem Feedback zu rechnen ist.
Ein gleichberechtigtes Miteinander über die Berufs- und Hierarchiegrenzen hinweg ist auch ohne Duzen möglich, solange es einen offenen und respektvollen Dialog gibt. Die Anredekultur sollte in jedem Fall zur aktuellen oder angestrebten Unternehmenskultur passen und nicht lediglich zur Sprachvorgabe für Mitarbeiter und Führungskräfte werden. Und das Du darf nicht zur symbolischen Maßnahme verkommen, weil es keine echte Bereitschaft gibt, das hierarchische, monoprofessionelle, abgrenzende Verhalten zu verändern.
Im Hinblick auf crosshierarchische und multiprofessionelle Zusammenarbeit können die Vorteile der Duz-Kultur genutzt werden, wenn es begleitend zur multiprofessionellen Teamentwicklung eingesetzt wird. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass die Anredeform nur ein kleiner Teil zwischenmenschlicher Beziehungen ist. Der wahre Wert liegt darin, respektvoll miteinander umzugehen – unabhängig von der gewählten Anrede.
Praxistipps zur Einführung des Duzens im Krankenhaus
- Zuweilen kann eine einfache Pro- und Contra-Liste Entscheidungen vereinfachen. Erstellen Sie eine solche im Management und antizipieren Sie dabei mögliche Auswirkungen der Einführung der Duz-Kultur.
- Führen Sie das klinikweite Du nur ein, wenn Sie ernsthaft an crosshierarchischer Kommunikation auf Augenhöhe interessiert und auch bereit sind, alte hierarchische Verhaltensweisen abzubauen. Sonst passen Du und erlebtes Verhalten nicht zusammen, und die Initiative wird eine demotivierende Wirkung entfalten.
- Klären Sie innerhalb des Managements die mit der Einführung des Du verbundene Zielstellung und die unterschiedlichen Erwartungen, um Enttäuschungen zu vermeiden.
- Beziehen Sie die Stationsleitungen bei der Diskussion mit ein und integrieren Sie die Frage, ob das Du oder das Sie gewünscht ist, in bestehende Mitarbeiterbefragungen. Das ermöglicht Ihnen ein gutes Stimmungsbild.
- Akzeptieren Sie, wenn Kollegen nicht an der Initiative teilnehmen wollen.
- Reflektieren Sie, ob begleitend weitere Verhaltensweisen verändert werden können, die zu einem eher traditionell geprägten und monoprofessionellem Verständnis gehören.
- Beobachten und reflektieren Sie die Entwicklung. Führung heißt Wirkung erzielen und Auswirkungen prüfen, um korrigierend eingreifen zu können