Interview mit Manne Lucha

„Was sind unsere Krankenhauspläne noch wert?“

  • Politik
  • Titel
  • 12.06.2024

f&w

Ausgabe 6/2024

Seite 512

Manne Lucha (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit 2016 Minister für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg.

Zu praxisfern, zu starr: Vieles stört Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha am G-BA. Unter den Landesministern ist er der stärkste Kritiker der Selbstverwaltung. Statt der dauernden Vorgaben sollten die Länder in ihrer Krankenhausplanung wieder kreativer sein dürfen, sagt er im Interview.

Das Interview mit Manne Lucha ist Teil der Titelstrecke der Juni-Ausgabe von f&w "Warum der G-BA an Bedeutung verliert". Abonnenten können die vollständige Ausgabe als ePaper lesen. Wenn Sie noch kein Abonnent sind, können Sie hier ein Abo abschließen.

Herr Lucha, Sie wurden vor nicht allzu langer Zeit mit der Aussage zitiert, man müsse „das Dinosauriergremium G-BA überwinden“. Was stört Sie so an der Selbstverwaltung, wie sie jetzt ist?

Über den G-BA habe ich mich schon des Öfteren kritisch geäußert. Das hat mehrere Gründe: Zum einen bezweifele ich dessen demokratische Legitimation, zum anderen habe ich Bedenken, ob die im Sozialgesetzbuch V (SGB V) geregelten Ermächtigungsgrundlagen des G-BA die Planungshoheit der Länder ausreichend berücksichtigen. Darüber hinaus bezweifle ich die Praxistauglichkeit der kleinteiligen und starren Regelungen des G-BA selbst. Und schließlich halte ich es für höchst befremdlich, dass die Entscheidung letztlich von der 13. Stimme, also vom Vorsitzenden des G-BA, Josef Hecken, abhängt (Leseempfehlung der Redaktion: zum Interview mit Josef Hecken zum selben Thema).

Der Gesetzgeber beruft sich aufgrund einer Annexkompetenz darauf, dass die Regelungen zu den Qualitätsvorgaben auch den Regelungen zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser zuzurechnen seien. Hier habe ich aber große Bedenken, da sich unter Qualitätsvorgaben bei ausreichender Begründung so gut wie alles fassen lässt, was die Krankenhausversorgung betrifft. Denn als Ausfluss des Sozialstaatsprinzips sind die Länder für die Daseinsvorsorge, also auch für die Krankenhausversorgung zuständig. Vieles, was der G-BA beschließt, ist aber nicht mit den Krankenhausplänen und den Versorgungszielen der Länder kompatibel. Daraus entstehen viele Probleme, wie sie zum Beispiel in den Zentren mit besonderen Aufgaben zutage getreten sind. Die Länder weisen bestimmte Zentrensarten aus, die für die Krankenhausversorgung besondere Aufgaben übernehmen und die auf ihr zu versorgendes Gebiet abgestimmt sind. Der G-BA konkretisiert aufgrund bundesrechtlicher Regelungen die besonderen Aufgaben, setzt sich dabei aber zu wenig mit den Ausweisungen der Länder und deren Versorgungszielen auseinander. Für mich stellt sich auch die Frage, was die Krankenhauspläne der Länder noch wert sind. Darüber hinaus werden die Folgen für die Beteiligten in der Lebenswirklichkeit vom G-BA nicht in dem Maße überblickt, wie es erforderlich wäre.

Was wäre in Ihren Augen eine echte Alternative, um die Versorgung zu regeln? Oder wären nur bestimmte Punkte in der Selbstverwaltung reformbedürftig, zum Beispiel die Zusammensetzung oder Aufgabenfelder?

Ich würde es vorziehen, wieder kreativer sein zu dürfen und passgenauere Krankenhauspläne sowie Fortschreibungen zu entwickeln, die alle Beteiligten mitnehmen und gut durchdacht sind – ohne dass ständig nachgebessert werden müsste und eine Flut von Vorgaben entsteht, die kaum noch zu überblicken ist. Und ohne immer wieder auf die Entscheidungen des G-BA reagieren zu müssen und Schadensbegrenzung zu betreiben. Das würde die Akzeptanz erhöhen und den Bürokratieaufwand deutlich verringern. Auch würde ich mir wünschen, dass die Länder dabei gut zusammenwirken und ihre Rechte nicht zu leicht dem Bund übertragen, obwohl sie den Sicherstellungsauftrag haben.

Also ein freies Spiel der Kräfte? Und welche Rolle käme dem G-BA mit seinen evidenzbasierten Entscheidungen dabei zu?

Nach derzeitigem Stand wird der G-BA zukünftig keine andere Rolle als bisher spielen, sodass sich voraussichtlich auch nichts an meiner kritischen Einschätzung hinsichtlich seiner kleinteiligen und starren Vorgaben ändern wird. Für eine tatsächlich bedarfsorientierte Versorgung, die von den Patienten aus denkt, braucht es eine sektorenübergreifende Versorgungsplanung. Die bislang streng getrennten Sektoren der ambulanten und der stationären Versorgung sowie der präventiven, rehabilitativen und pflegerischen Angebote müssen zusammengedacht und geplant werden. Im ersten Schritt bedeutet dies, dass die ambulante Bedarfsplanung, die in der Zuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigungen liegt, und die Krankenhausplanung, die in der Zuständigkeit der Länder liegt, verzahnt werden müssten. Notwendige Bedingung dafür ist ein sektorenübergreifendes Vergütungssystem. Die bereits eingeführten Hybrid-DRG können hier ein erster Schritt sein.

Ende vergangenen Jahres hieß es, Sie wollen eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Mindestmengenregelung des G-BA zur Frühchen- versorgung vorbereiten. Wie weit ist das gediehen?

Das Land Baden-Württemberg lässt derzeit gutachterlich die Erfolgsaussichten einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht unter anderem hinsichtlich der Mindestmengenregelung des G-BA überprüfen. Über die gutachterliche Prüfung soll geklärt werden, ob die Mindestmengenrichtlinie mit ihren Rechtsfolgen in die Planungshoheit der Länder eingreift. Das Gutachten wird dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration in den nächsten Wochen vorliegen. Auf dieser Grundlage wird dann entschieden, ob das Bundesverfassungsgericht tatsächlich angerufen wird.

Mindestmengen sorgen immer wieder für Zündstoff zwischen dem G-BA und den Ländern. Wie wirksam ist der Klageweg? Wenn sich grundsätzlich nichts ändert, bleibt es ein Pingpongspiel?

Der Klageweg wäre insofern wirkungsvoll, da das Bundesverfassungsgericht die Mindestmengenregelung des G-BA schon für nichtig erklären könnte, wenn nur eine einzige Vorschrift dieser Regelung nicht rechtmäßig wäre. Bisher sind bereits Prüfungen der Rechtmäßigkeit von G-BA-Richtlinien erfolgt, jedoch innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit, da die Richtlinien zu Leistungsverboten, Vergütungsabschlägen oder Vergütungswegfall hinsichtlich der Krankenhäuser führen können. Meines Erachtens sollte weniger über Konsequenzen für diejenigen nachgedacht werden, die die Mindestmengen gerade in der Frühgeborenenversorgung nicht einhalten können, sondern vielmehr darüber, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Qualität zu verbessern. Die Erhöhung der Mindestmenge im Bereich der Frühgeborenenversorgung von 14 auf 25 bringt keine Qualitätsverbesserungen. Die größeren Zentren haben dafür keine freien Kapazitäten und können diese auch nicht ohne Weiteres ausbauen.

Wird die Mindestmenge für die Behandlung von Brustkrebspatientinnen das nächste Konfliktthema sein?

Ab dem Jahr 2025 steht die Erhöhung der geforderten Mindestmenge für die chirurgische Behandlung des Brustkrebses von 50 auf 100 an. Dabei wird es nach meiner Einschätzung nicht zu gravierenden Auswirkungen auf die Versorgungslandschaft in Baden-Württemberg kommen. Fast alle Häuser, die diesen Eingriff vornehmen, erreichen schon jetzt die künftig geforderte, höhere Mindestmenge. Gegenwärtig führen 59 Krankenhausstandorte in Baden-Württemberg operative Eingriffe bei Brustkrebs durch. Nach der Fallzahl im Jahr 2022 erreichen nur sieben Standorte die Zielmenge von 100 Fällen pro Jahr nicht. Hinzu kommt: Dieser Eingriff ist – im Unterschied zur Mindestmenge Frühgeborenenversorgung – eine planbare Leistung. Das Risiko eines notfallmäßigen Verlaufs im Vorfeld des Eingriffs ist ausgeschlossen.

Auch beim Thema geriatrische Versorgung haben Sie den G-BA in jüngster Zeit kritisiert. Wo hakt es hier konkret, was müsste anders laufen?

Mit den G-BA Zentrums-Regelungen wurden Geriatrische Zentren und Schwerpunkte mit ihren besonderen Aufgaben ohne eigene Anlage bedacht. Auch eine Übergangsregelung ist inzwischen ausgelaufen. Daher haben die Länder unter Federführung von Baden-Württemberg im Rahmen ihres Mitberatungs- und Antragsrechts bereits mehrere Anträge beim G-BA auf Konkretisierung der besonderen Aufgaben Geriatrischer Zentren und Schwerpunkte gestellt, um die rechtliche Grundlage für die Finanzierung der besonderen Aufgaben durch Zuschläge darzustellen. Eine förmliche Ablehnung mit der Möglichkeit, dagegen vorgehen zu können, haben die Länder nicht erhalten. Stattdessen haben die Deutsche Gesellschaft Geriatrie und der Bundesverband Geriatrie nach einem gemeinsamen Schreiben an den G-BA von Hecken per E-Mail die Rückmeldung erhalten, dass er derzeit kein Gespräch führen möchte und weder aktuell noch in absehbarer Zeit Beratungen zu Geriatrischen Zentren beim G-BA stattfänden. Der Vorsitzende sieht offenbar keine Notwendigkeit für die Konkretisierung der besonderen Aufgaben Geriatrischer Zentren und Schwerpunkte, sondern wartet, bis der G-BA abstrakte Kriterien im Sinne einer Zentrumsdefinition erstellt hat, die meiner Ansicht nach wenig Aussicht auf Erfolg versprechen.

Autor

f&w führen und wirtschaften im Krankenhaus

Die Fachzeitschrift für das Management im Krankenhaus

Erscheinungsweise: monatlich

Zeitschriftencover

Klinik-Newsletter

Abonnieren Sie unseren kostenlosen täglichen Klinik-Newsletter und erhalten Sie alle News bequem per E-Mail.

* Durch Angabe meiner E-Mail-Adresse und Anklicken des Buttons „Anmelden“ erkläre ich mich damit einverstanden, dass der Bibliomed-Verlag mir regelmäßig News aus der Gesundheitswirtschaft zusendet. Dieser Newsletter kann werbliche Informationen beinhalten. Die E-Mail-Adressen werden nicht an Dritte weitergegeben. Meine Einwilligung kann ich jederzeit per Mail an info@bibliomed.de gegenüber dem Bibliomed-Verlag widerrufen. 

Kontakt zum Kundenservice

Rufen Sie an: 0 56 61 / 73 44-0
Mo - Fr 08:00 bis 17:00 Uhr

Senden Sie uns eine E-Mail:
info@bibliomedmanager.de

Häufige Fragen und Antworten finden Sie im Hilfe-Bereich