Die deutsche Wirtschaft wächst trotz niedriger Investitionen in Maschinen und Gebäude. Es scheint, als erlebten wir den Übergang zu einer Ökonomie, in der die Kompetenzen der Mitarbeiter wichtiger sind als das Anlagevermögen der Betriebe. Der Aus-, Weiter- und Fortbildung im Gesundheitswesen steht damit ein tief greifender Wandel bevor.
Es gibt es noch, das linke Amerika. Im Kampf um die Präsidentschaft verkörpert es der 64-jährige Bernie Sanders, der lange Jahre im Repräsentantenhaus saß und seit 2007 den Bundesstaat Vermont im Senat vertritt. Zwar dürfte es Sanders nicht schaffen, der ehemaligen First Lady Hillary Clinton die Nominierung als Präsidentschaftskandidat für die demokratische Partei streitig zu machen. Aber im Programm der Demokraten konnte er sichtbare Spuren hinterlassen. So tritt die Partei des amtierenden Präsidenten Barack Obama dafür ein, jedem amerikanischen Jugendlichen eine universitäre Ausbildung zu ermöglichen, unabhängig vom Einkommen der Eltern. „Das College ist das, was früher die Highschool war“, lautet Sanders’ Slogan in den Fernsehdebatten zu den Vorwahlen. Soll heißen: So wichtig, wie es vor einigen Jahrzehnten war, die Schulpflicht einzuführen und schulische Ausbildung kostenlos bereitzustellen, so bedeutsam ist es am Beginn des 21. Jahrhunderts, die Humankapitalbasis auf akademisches Niveau zu heben.
Was in Amerika gilt, ist in Deutschland nicht falsch. Über die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft entscheidet das Wissen und Können der Bevölkerung. Für das Gesundheitswesen gilt: Die Qualität der medizinischen Versorgung hängt künftig immer stärker an den Fähigkeiten von Ärzten, Pflegekräften und anderen Experten, ihre Patienten mit modernen Methoden zu behandeln und sich stetig weiterzubilden. Die Curricula und Ausbildungswege des 20. Jahrhunderts reichen hier oftmals nicht weit genug. In der gesundheitspolitischen Debatte wird allerdings noch immer zu viel über Gebäude und Betten diskutiert. Dabei zeigt der Blick auf die Gesamtwirtschaft, dass diese Formen des Anlagevermögens weniger bedeutend werden. Laut Daten des Flossbach von Storch Instituts ist die Investitionstätigkeit der 30 Unternehmen im Deutschen Aktienindex (Dax) im Zeitraum 2000 bis 2014 von 133 auf 97 Milliarden Euro gesunken. Die deutsche Wirtschaft weist sicher zahlreiche Schwächen auf, aber die niedrige Arbeitslosigkeit und die sprudelnden Steuereinnahmen überraschen angesichts der Zurückhaltung der Industrie bei Investitionsausgaben.
Quälende Debatte zur Pflegeausbildung
Dies ist ein Fingerzeig: In einer modernen Wirtschaft zählt das Know-how der Beschäftigten wieder mehr als der Umfang von Maschinen und Gebäuden. Software- lösungen und Sharing-Systeme ersetzen den Aufbau eigener Produktionsanlagen. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter die Kompetenzen haben, mit diesen umzugehen. Nicht anders im Gesundheitswesen: Vielleicht wird es künftig wichtiger, in der Notaufnahme die gespeicherten Gesundheitsdaten auf dem Smartphone des Patienten rasch auslesen und interpretieren zu können, als eigene medizinische Großgeräte vorzuhalten. Die Fähigkeit, mit Big Data umzugehen, gehört jedenfalls perspektivisch in jedes Krankenhaus.
Bildet Deutschland seinen medizinischen und pflegerischen Nachwuchs dafür angemessen aus? Schaffen wir es, qualifiziertes Personal im Ausland anzuwerben? Es bleiben Zweifel. Unternehmen klagen, dass sie Forschungsabteilungen im Ausland aufbauen, weil es in Deutschland zu wenig Bioinformatiker und Mediziner mit tiefen IT-Kenntnissen gibt. Die Republik leistet sich eine quälende Debatte über eine neue Struktur der Pflegeausbildung, für die es die zuständigen Ministerien für Familie und Gesundheit Ende des vergangenen Jahres gerade mal geschafft haben, einen Referentenentwurf vorzulegen, obwohl dieser bereits für das Jahr 2014 in Aussicht gestellt worden war. Was sich inhaltlich in der Ausbildung ändern soll, wird dabei kaum diskutiert. Die entscheidende Frage sollte dabei doch dieselbe sein, die sich analog in der Aus- und Weiterbildung von Medizinern stellt: Wie gelingt es, neue Erkenntnisse der Pflegewissenschaft rasch in der Praxis am Patientenbett umzusetzen, egal ob in der Kranken-, Kinderkranken- oder Altenpflege? Wie kann die Zusammenarbeit mit neuen Berufen, etwa dem Physician Assistant, aussehen? Welche Möglichkeiten der Delegation und Substitution bisher Ärzten vorbehaltener Aufgaben gibt es?
Entlarvend ist, dass die Zuständigkeit für die Pflegeausbildung zu einem erheblichen Teil noch immer beim Bundesfamilienministerium liegt, als gehe es hier nur um die Organisation von Betreuungsleistungen. Um international aufzuschließen, wäre daher ein Übergang in die Kompetenz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu diskutieren. Und inwieweit bereitet eine berufliche Ausbildung bei einem ambulanten Pflegedienst eigentlich wirklich auf den Umgang mit dem immer größeren Wissen in medizinischen und pflegerischen Fragen vor? Gilt hier nicht – in Analogie zu Sanders’ Slogan –, dass die akademische Ausbildung heute das ist, was die berufliche Lehre einst war?