Irgendetwas ist faul in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die Wogen rund um das Thema Kodierqualität und die Manipulationsvorwürfe gegenüber Ärzten und Krankenkassen sind nur das jüngste Beispiel. Der einzelne GKV-Versicherte ist schon lange unzufrieden.
Der aktuelle Jahresbericht des Bundesversicherungsamtes (BVA) fasst die Unzufriedenheit in Zahlen. Die Behörde rechnet vor: Die Zahl der Beschwerden, die Versicherte 2015 an das BVA richteten, sind gegenüber dem Vorjahr um 22 Prozent gestiegen. Über die Pflegekassen gingen sogar 58 Prozent mehr Beschwerden ein. Ein großer Teil der Beschwerden betraf übrigens die Versorgung mit Inkontinenzprodukten. Die war nämlich in der Breite so schlecht, dass jetzt der Gesetzgeber eingreift.
Woher kommt diese Unzufriedenheit? Am Beispiel der Inkontinenzversorgung sieht man sehr schön, was passiert war: Das Gros der Krankenkassen hatte seit Jahren ihre Qualitätsstandards nicht mehr angepasst. Rückmeldungen von Versicherten wurden scheinbar nicht gehört. In ihrer Not wandten sich die Versicherten an die Medien oder das BVA. Es brauchte erst mehrere TV-Berichte zur besten Sendezeit, ehe sich etwas änderte. Das stellt den Krankenkassen kein gutes Zeugnis aus: Sie haben offenbar die Nähe zu ihren Versicherten verloren. Ein Vertrauensverhältnis sieht anders aus.
Wenn die GKV die Nähe zu ihren Versicherten verliert, hat das ernste Folgen. Denn dann arbeitet sie an den Bedürfnissen der Kunden vorbei. Dabei bleibt nicht „nur" die Zufriedenheit auf der Strecke – es schadet der Qualität der Kassen. Denn sie sind – wie im Falle der Inkontinenzvorlagen – nicht mehr imstande, den Kunden eine ideale und passgenaue Dienstleistung zu bieten. In Zeiten steigender Zusatzbeiträge wird das aber ein wichtiger Wettbewerbsfaktor werden: Qualität schlägt sich auch bei Krankenkassen nieder, nämlich in der Erfüllung von Kundenerwartungen, nicht nur in der Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften. Und nur wer zufriedene Kunden hat, wird sich im Wettbewerb behaupten.
Auf dieses Kernziel müssen wir Kassen uns rückbesinnen: Wir brauchen zufriedene Kunden. Deswegen müssen wir mutig und offen über Qualitätsstandards in der GKV diskutieren. Die Krankenkassen brauchen aber auch die entsprechenden Rahmenbedingungen, damit sie Qualität bieten können. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (morbi-RSA), der große Geldverteilungsmechanismus der GKV, verhindert das jedoch: In seiner heutigen Ausprägung setzt er Anreize dazu, dass Kassen lieber darüber nachdenken, wie sie ihre Zuweisungen maximieren können, statt sich Gedanken darüber zu machen, wie sie ihre Kunden besser unterstützen können. Gefragt ist deshalb auch die Politik: Sie muss Reformen einleiten, damit sich die Kassen wieder auf das Wesentliche konzentrieren können. Derzeit geht wieder ein Aufschrei durch die Medien. Werden die Verantwortlichen nun endlich handeln?