Richtlinie zur Notfallversorgung

"Das kann zu heftigen Konflikten führen"

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"Das kann zu heftigen Konflikten führen"
Michael A. Weber © Regina Sablotny

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die Richtlinie zur Ersteinschätzung in der Notfallversorgung beschlossen. Kliniken können so gezwungen werden, Patienten abzuweisen. Im Interview kritisiert Michael A. Weber, Präsidenten des Verbands leitender Ärztinnen und -ärzte Deutschlands (VLK), diese Richtlinie scharf.

Herr Weber, in den Notaufnahmen der Kliniken landen zu viele Fälle. Viele der Patienten sind nicht akut gefährdet und könnten auch in einer KV-Praxis behandelt werden. Deshalb hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Richtlinie verabschiedet, laut der in einer vorgeschalteten Triage geklärt wird, ob der Patient stationär oder ambulant behandelt werden muss. Was haben Sie daran auszusetzen?

Eine bessere Patientensteuerung in der Notfallversorgung ist ein wichtiger Punkt, um die Notaufnahmen der Klinken von Bagatellfällen zu entlasten. Hierzu ist eine telefonische Ersteinschätzung durch eine integrierte Leitstelle geeignet und unumstritten. Probleme bereiten die Patienten, die bereits in der Notaufnahme gelandet sind und die nach einer Ersteinschätzung im Konzept des G-BA abgewiesen und an KV-Praxen verwiesen werden sollen. Das geht, wenn eine KV-Praxis in der Notaufnahme vor Ort ist, macht aber große Probleme, wenn die Patienten an eine KV-Praxis außerhalb verwiesen werden müssen mit einem Termin erst einige Tage später. Wer trägt die Verantwortung, wenn eine kritische Erkrankung mit banalen Symptomen übersehen wird?  Wer diskutiert und begründet die Abweisung an die Betroffenen, für die ihre eigene Situation ja offensichtlich ein Problem beinhaltet. Das kann zu heftigen Auseinandersetzungen führen, die bei Menschen mit Migrationshintergrund zusätzlich durch Sprachbarrieren verstärkt werden.

Genannt wird gerne der potenzielle Herzinfarktpatient, dessen Erkrankung nicht erkannt wird. Wie sähe aus ihrer Sicht eine Neuerung aus, mit der eine systematische Auswahl der Notfallpatienten und damit eine Entlastung für das System Krankenhaus zu erreichen wäre?

Bisher gibt es leider kein evidenzbasiertes elektronisches System, das mit ausreichender Sicherheit alle Problemfälle erkennt. Die Systeme können lediglich unterstützen. Auch eine in der Notfallversorgung besonders geschulte Fachkraft kann leicht etwas übersehen. Entsprechende Einzelfälle liegen mit leider tödlichem Ausgang bereits vor. Letztendlich ist die Erstabklärung mit wenigen diagnostischen Maßnahmen am Ende sicherer und kaum zeitaufwändiger.

Sie kritisieren auch, dass die Triage von einer Pflegekraft vorgenommen werden soll. Muss jeder Notfallpatient von einem Arzt gesehen werden? Ist die Delegation ärztlicher Tätigkeiten angesichts des Personalmangels nicht angebracht?

Der Beschluss sieht vor, dass eine besonders geschulte Fachkraft die Einschätzung vornehmen soll. Die kann das mit dem genannten Restrisiko, sie ist aber bei weitem nicht überall für 24/7 in ausreichender Zahl vorhanden. Hier schaffen wir einen neuen Engpass in unserer eh schon prekären Personalsituation.

Die Richtlinie des G-BA setzt auf eine Kombination aus Krankenhaus und KV-Praxis – und räumt für diese Strukturentwicklung Übergangsfristen ein. Ist diese Kombination nicht sinnvoll und die Richtlinie in dieser Hinsicht ein guter Anstoß?

Die Kombination von Notfallambulanz des Krankenhauses und KV-Notfallpraxis am gleichen Ort, der berühmte gemeinsame Tresen, ist ideal. Aber wo es das nicht gibt, sollen die Patienten vor Ort in der Notfallambulanz versorgt können und nicht in die Terminwarteschlange verschoben werden. So sieht es der 4. Bericht der Regierungskommission auch vor und entsprechend ist der Zusatz im Pflegeunterstützungs- und entlastenden Gesetz auch formuliert. Der hätte an sich den G-BA stoppen sollen, diesen Beschluss noch zu fassen. Nun kann man nur hoffen, dass das BMG die rechtliche Unbedenklichkeit dieses Beschlusses ablehnt.

Sie kritisieren, dass die niedergelassenen Ärzte nicht die Kapazitäten für die Behandlungen der Notfälle haben. Können Sie das belegen?

Die Kapazität für Notfallbehandlungen in KV-Praxen ist so offensichtlich nicht ausreichend vorhanden, dass es dafür keinen besonderen Beleg benötigt. Das bestätigt jeder, der mal die 116 117 angerufen hat.

Welche Wirkung würde die Richtlinie aus Ihrer Sicht entfalten, wenn Sie vom Bundesgesundheitsminister bestätigt wird?

Sie provoziert weitere Personalengpässe in den Notaufnahmen, da die geforderte Qualifikation nicht aus dem Hut zu zaubern ist und noch mehr Bürokratie und Streit vor Ort. Gleichzeitig wird die Zahl der von niedergelassenen Ärzten behandelten Notfallpatienten nicht steigen. 

Autor

 Jens Mau

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