Die Krankenhausreform bewirkt das Gegenteil von „Entökonomisierung“, erklärt Gerald Gaß im Interview. Der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft schätzt auch, dass die Rechtsnachfolger geschlossener Kliniken gegen den Staat klagen werden.
Herr Dr. Gaß, glauben Sie, wir werden Anfang 2025 ein Gesetz zur Krankenhausreform haben?
Die Chancen stehen 50:50. Ich denke, am Ende wird es zwischen Bund und Ländern ein „Schwarzer-Peter-Spiel“ geben, wer am Scheitern der Reform schuld ist.
80 Prozent der Klinken stehen in den roten Zahlen, nur sieben Prozent gehen von einer Verbesserung ihrer Lage aus. Das ist das Ergebnis einer DKG-Umfrage unter Klinikmanagern. Welchen Einfluss haben diese Zahlen auf den Klinikmarkt und die Krankenhausversorgung?
Die Insolvenzverfahren von mittlerweile 53 Standorten seit Sommer 2022 sind nur die Spitze des Eisbergs. Wir sehen, wie derzeit viele Kliniken konsolidieren und immer häufiger auch ihre Angebote reduzieren müssen. Träger schließen dann – um zu überleben – zum Beispiel die Geburtshilfe oder die Geriatrie, obwohl diese Abteilungen in der Region unverzichtbar sind. Planvoll ist das nicht. Auch die Kindermedizin gilt als unwirtschaftlicher Streichkandidat für viele Klinikträger, weil der Aufwand und die saisonalen Schwankungen im DRG-System nur schwer abzubilden sind.
Derzeit melden vor allem freigemeinnützige Kliniken Insolvenz an. Glauben Sie, dass die Kommunen ihre defizitären Häuser noch lange stützen können?
Ich gehe davon aus, dass die Insolvenzwelle spätestens im kommenden Jahr auch auf die kommunalen Kliniken überspringt. Schon die bisherigen Insolvenzen des Jahres 2024 betreffen zur Hälfte öffentlich getragene Kliniken. Die finanzielle Lage der Kommunen ist so angespannt, dass sie die Unterfinanzierung ihrer Kliniken nicht mehr ausgleichen können. Das Krankenhaus konkurriert dann mit originären kommunalen Aufgaben im Haushalt.
Klinikverkäufe an private Klinikketten sind selten geworden. Woran liegt das?
Heute kann ein Landkreis froh sein, wenn er für seine defizitären Kliniken noch den symbolischen Euro bekommt. Häufig müssen noch Investitionsgarantieren dazugegeben werden. Angesichts der Unsicherheit über die Rahmenbedingungen und die mittlerweile eklatante Unterfinanzierung der Betriebskosten sind Übernahmen unattraktiv geworden.
Der Bundesgesundheitsminister will Krankenhausträger zum Tausch von Leistungen animieren – diese Prozesse seien schon in Gang, auf Planungsebene aber auch in der betriebswirtschaftlichen Planung. Was hören Sie aus dem Markt?
In der Realität passiert solch ein Tausch derzeit überwiegend nur innerhalb eines Unternehmens. Geben Träger jetzt Leistungsvolumen ab, laufen sie in die Gefahr, mit der Einführung der Vorhaltepauschale massiv Geld zu verlieren. Denn bei der Pauschale zählt allein der Status quo der stationären Leistungen. Das macht kein Unternehmen guten Gewissens. Derzeit versucht jeder Klinikträger, alles was wirtschaftlich möglich ist an Bord zu halten – als Verhandlungsmasse für später.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach will im Herbst die umstrittene Einteilung der Kliniken in Level in seinen Klinikatlas integrieren. Sie sagen, auch der Klinikatlas trägt zu dieser Lähmung des Markts bei. Können Sie das erklären?
Gibt ein Krankenhaus jetzt Leistungen ab, kann es schnell passieren, dass es sich im Klinikatlas selbst „herunterlevelt“. Denn die Level basieren bekanntlich auf der Anzahl an Leistungsgruppen des einzelnen Standorts. Diese Herabstufung wollen Kliniken natürlich vermeiden, denn ein niedriges Level wird von der Bevölkerung und bei potenziellen Bewerbern als geringer wertig wahrgenommen.
Die DKG fordert seit Monaten einen Inflationsausgleich für Kliniken. Die Kassenlobby warnt hingegen davor, weiter mit der „Gießkanne“ zu finanzieren. Dieser Begriff ärgert Sie. Können Sie sagen warum?
Der Begriff Gießkanne passt nicht auf die Forderungen der Krankenhäuser. Er ist eine Verunglimpfung. Es geht nicht darum, Geld zu verschenken oder generös über uns auszugießen, sondern um den rechtlichen Anspruch der Kliniken auf Erstattung der durchschnittlichen Kosten der Patientenbehandlung. Wenn wir aus den Kalkulationsdaten des Instituts für das Entgeltwesen im Krankenhaus (InEK) sehen, dass die Kosten des Durchschnittsfalls um sechs Prozent unter dem Landesbasisfallwert liegen, dann sind die Erlöse schlicht nicht kostendeckend. Die laufenden Kosten nicht zu decken, kommt einer stillen Enteignung der Krankenhausträger gleich. So zwingt man Kliniken politisch in die Knie und aus dem Markt.
Es herrscht Konsens darüber, dass die Krankenhauslandschaft weniger Standorte braucht. Ein Hebel soll der Transformationsfonds sein. Wie könnte dieser Milliarden-Topf zum Erfolg werden?
Wir werden an vielen Orten in der Republik Klinikneubauten brauchen, die zwei oder mehr Standorte fusionieren. Dafür braucht es die Mittel aus dem Transformationsfonds. Gleichzeitig entstehen auch Schließungskosten bei der Stilllegung von Standorten, die aus dem Fonds finanziert werden müssen. Das Ganze muss jetzt schnellgehen. Die Projekte sollten bei den Bundesländern angemeldet werden und dann mit einem vorzeitigen Maßnahmenbeginn förderunschädlich starten können.
Was erwarten die Klinikträger, wenn sie Krankenhäuser vom Markt nehmen?
Krankenhäuser entstehen nicht einfach so, wie eine Tankstelle um die Ecke. Sie sind das Ergebnis staatlicher Krankenhausplanung und erhalten in der Folge hoheitliche Feststellungsbescheide über Umfang und Art der zu erbringenden Patientenversorgung. Wenn in anderen Branchen der Rückbau von Ressourcen gefordert wird, die bisher vom Staat beauftragt wurden, muss der Staat die Eigentümer entschädigen. Beim Atomausstieg waren das beispielsweise 40 Milliarden Euro. Ich gehe davon aus, dass die Träger, die Häuser schließen müssen, einen Teil ihres Schadens, so zum Beispiel ihre Eigenmittelinvestitionen, vom Staat wiederbekommen wollen. Gut möglich, dass die Rechtsnachfolger von geschlossenen Kliniken klagen, schließlich haben sie viel investiert.
Gegen wen und auf welcher Basis könnten diese Klagen eingereicht werden?
Das können der Bund oder die Länder sein, möglicherweise auch beide staatlichen Ebenen. Basis sind die Feststellungsbescheide der Bundesländer, die die Krankenhausträger mit der Versorgung beauftragen und die Basis für die Investitionsentscheidungen sind.