„Es darf nicht so weit kommen, dass die Krankenhausreform scheitert. Wir brauchen eine tragfähige Lösung mit inhaltlichen Kompromissen zwischen Bund und Ländern“, sagte Gastgeber Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) auf dem Krankenhausgipfel in Berlin.
Gaß ging in seiner Ansprache auf Minister Karl Lauterbachs Besuche von Krankenhausstandorten in den zurückliegenden Wochen ein. „Die Deutschlandreise des Gesundheitsministers – ein Sommermärchen“, nannte Gaß die Reise. Denn überall, wo der Minister war, sagte er der gastgebenden Klinik eine rosige Zukunft voraus. Im brandenburgischen Bad Belzig etwa versprach der Minister dem dort ansässigen Grundversorger eine sichere Zukunft, weil die Vorhaltepauschale 60 Prozent der heutigen Einnahmen garantiere. Die dortigen Mitarbeiter seien froh, durch die Reform aus dem Hamsterrad zu kommen, kommentierte Lauterbach in den sozialen Medien. Gaß entgegnete: „Kleine Häuser wie Bad Belzig werden weder die vorgesehenen Mindestzahlen noch die Strukturvorgaben vorweisen können. Krankenhäuser wie Bad Belzig werden die Reform nicht überleben können.“ Auch die Versprechen des Ministers bei seinen Besuchen in Hamburg und Mainz würden sich bei genauerem Betrachten in Luft auflösen, resümierte Gaß.
Gürpinar: „Vorhaltepauschale ist eine nachgelagerte DRG“
Der DKG-Chef unterstrich, dass Kliniken in Zukunft durch die Vorhaltepauschale abgestraft würden, wenn sie mehr Leistung machen als bisher. Es sei denn, sie erreichen eine Leistungssteigerung von mehr als 20 Prozent. Der Anreiz der Reform gehe eher in die andere Richtung, nämlich „19,5 Prozent weniger Leistung zu erreichen“, so Gaß. Damit bliebe eine Klinik noch im unteren Fallzahlkorridor und bekommen weiter den Status quo an Vorhaltepauschale. Das werde passieren, denn die Häuser seien gezwungen, ökonomisch zu denken, so Gaß. Das führe letztlich zu einem schrumpfenden Angebot.
Edgar Franke, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG) gab Gaß zum Teil Recht. „Die Vorjahreszahlen sind Maßstab für die Vorhaltepauschale. Es wird keine Entökonomisierung geben“, so Franke (SPD). „Mit der Pauschale soll der wirtschaftliche Druck von Kliniken genommen werden, damit sie nicht mehr in die Menge gehen müssen.“ Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hingegen sieht den 20-Prozent-Korridor bei der Vorhaltepauschale nicht als Problem. „Würden 20 Prozent weniger Eingriffe gemacht, wäre das ein Segen für die Ambulantisierung“, so der Gesundheitsminister auf dem Krankenhausgipfel. Das würde auch die stationäre Versorgung nicht gefährden, denn „wir sind in den Krankenhäusern weit von einer Wartelistenmedizin entfernt“, so Lauterbach. Lauterbach verwies darauf, dass die Länder Planfallzahlen vergeben könnten und so entscheiden, wer welchen Korridor hat. Allerdings dürfen die Fallzahlen insgesamt nicht steigen. Alle drei Jahre – so die Theorie des Gesetzentwurfs – sollen die Korridore neu berechnet werden.
Ates Gürpinar (Linke) monierte auf dem Krankenhausgipfel, dass 90 Prozent der Social-Media-Tweets von Minister Lauterbach reine PR seien – das zeige sich besonders am Schlagwort „Entökonomisierung“. Die Linke befürworte eine Vorhaltepauschale, doch was das Bundesgesundheitsministerium (BMG) plane, sei im Grunde nur eine „nachgelagerte DRG“. Die Krankenhauslandschaft befinde sich in einem kalten Strukturwandel, den auch wichtige Klinikstandorte nicht überleben werden. Karl Lauterbach bekräftigte derweil, dass eine Reduktion der Krankenhausstandorte unabdingbar sei. „Wenn wir die PPR 2.0 [Pflegepersonalbemessung, Anm. d. Red.] einführen, werden wir sehen, dass die Kliniken 60 oder 70 Prozent der Vorgaben erfüllen, aber es werden nirgends 80 Prozent oder mehr sein“, so der Minister. Das Personal für 1.700 Kliniken sei nicht da. Mit dem Abgang der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt werde der Mangel noch steigen, unterstrich Lauterbach.
Sorge: Ohne Zugeständnisse scheitert Lauterbach
Der Bundestagsabgeordnete Tino Sorge (CDU) forderte das BMG auf, mit den Ländern über Öffnungsklauseln zu verhandeln, daran führe kein Weg vorbei. Generell fehle der Klinikreform ein Ziel. Sorge malte ein düsteres Bild. Die Reform werde im Vermittlungsausschuss landen, und wenn der Minister den Ländern dann nicht entgegenkomme, werde die Reform scheitern.
Lauterbachs Äußerungen zu diesem Sachverhalt klingt so: „Ideal wäre es, wenn sich Bund und Länder einigen würden, weil Vermittlungsausschüsse oft erratisch sind.“ Denn in dem Gremium säßen viele fachfremde Parlamentarier, was fachlich gute Lösungen erschwere. „Deshalb ist es für uns wichtig, den Versuch zu unternehmen, einen Vermittlungsausschuss zu vermeiden“ formulierte Lauterbach.
Zugeständnisse versprach der Minister bei der Einordnung von Fachkliniken und Kinderkliniken. Die geforderten Ausnahmeregelungen für die Länder und weitere Finanzhilfen für Kliniken erwähnte der Minister mit keiner Silbe. Bekommt der Minister einen Kompromiss mit den Ländern hin, warten Anfang 2024 schon die nächsten Hürden. Denn im Nachgang zum Gesetz müssen Bund und Länder drei zustimmungspflichtige Rechtsverordnungen zu Mindestzahlen, Transformationsfonds und Leistungsgruppen auf den Weg bringen.
Probleme mit dem Leistungsgruppengrupper
Die zweite Lesung des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) soll am 2. November stattfinden. Spätestens dann müsse auch der Leistungsgruppen-Grouper da sein, erklärte Staatssekretär Franke – damit die Parlamentarier wüssten, woran sie bei der Reform sind. Diesen erarbeitet das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK). Der Grouper beinhaltet die Definition der Leistungsgruppen des Bundes und außerdem – im Vergleich zum NRW-System – fünf weitere Leistungsgruppen. Dieser Grouper ist maßgeblich für die Verteilung der geplanten Vorhaltepauschale.
„Mit zwei bis drei Leistungsgruppen haben wir Schwierigkeiten“, verriet Minister Lauterbach auf dem Krankenhausgipfel. „Ob wir das schaffen, ist unklar – wenn nicht würden wir uns näher am NRW-Korpus orientieren.“ Lauterbach nannte die Leistungsgruppe Kinderchirurgie als möglichen Ausfallkandidat. Ebenfalls sehr problematisch dürfte aber auch die Leistungsgruppe Notfallversorgung sein. Zu dieser äußerte sich Lauterbach allerdings nicht. Beim Spitzengespräch in der vergangenen Woche hatte InEK-Chef Frank Heimig dem Vernehmen nach deutlich gemacht, dass es mit vier der fünf neuen Leistungsgruppen Probleme gebe.
Ein Entbürokratisierungsgesetz, so der Minister auf Nachfrage, wolle er noch im Herbst als Entwurf vorstellen.