"Wir haben es in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich geschafft, die Pflege zu Tode zu dokumentieren“, machte die Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR), Christine Vogler, bei der Spitzenrunde zum Thema Pflegepolitik am Freitagmorgen deutlich. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Sandra Mehmecke, wissenschaftliche Leiterin der "Fachkommission Pflegepersonalbemessungsinstrument“ des Deutschen Pflegerats (DPR). Mit Ausgliederung der Pflege aus den DRG sind diese zum Kostenfaktor verbannt worden. Gleichzeitig seien die unterstützenden Tätigkeiten im DRG-System verblieben. Der Zuwachs an Pflegepersonal sei im Jahr 2003 stehengeblieben – obwohl die Fallzahl deutlich in die Höhe geschnellt sei. „Wir haben nun ein System, das so starr ist, dass nur noch in Kontroll- und Finanzierungssystemen gedacht wird“, sagte Vogler. Das Pflegebudget bedeute einen unglaublich hohen Dokumentationsaufwand. Der Pflegequotient biete überhaupt keine Vergleichbarkeit, die Sinnhaftigkeit für Pflegende fehle komplett. Letztlich fokussierten die genannten Instrumente nur die Abrechenbarkeit von Dokumentation, verlören aber den Blick auf die Pflegequalität.
Keine Unterstützung für die Pflege
Auch der Pflegedienstleiter des St. Josefs-Hospital Wiesbaden, Arne Evers, konstatierte: "Wir regulieren an der Pflege vorbei.“ Weder Pflegepersonaluntergrenzen noch Pflegepersonalquotienten sagten etwas aus. Auch für die Verordnung der Pflegepersonaluntergrenzen brauche es „nur ein paar dressierte Affen“, die Daten eingeben – Unterstützung für die Pflege sei jedoch nicht zu erkennen.
Für Jürgen Malzahn liegt ein Problem darin, dass jene Themen, mit denen etwas bewirkt werden könne, in der Krankenhausversorgung nicht vorangebracht werden. Der Fokus müsse auf Krankenhausleistungen gelegt werden, zeigte sich der Leiter der Abteilung stationäre Versorgung und Rehabilitation im AOK-Bundesverband überzeugt. Der Pflegebedarf sei zu messen und Pflegeleistungen gegenüberzustellen. Pflege müsse aus der Rolle des Kostenfaktors herauskommen. Gleichzeitig gab er aber vor dem Hintergrund des eklatanten Fachpersonalmangels in der Pflege auch zu bedenken: "Kein Instrument schafft eine zusätzliche Pflegekraft.“
Seit Jahren sei an der Pflege gespart worden, bekannte auch die Abteilungsleiterin Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung im Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Sonja Optendrenk. Schuld sei die Unterfinanzierung bei den Investitionskosten. Deshalb müsse genau an dieser Stellschraube angesetzt werden, um Ursachen zu bekämpfen und nicht nur Symptome zu behandeln, wie die bisherigen Instrumente. „Eine große Krankenhausstrukturreform in dieser Legislaturperiode wäre die beste Lösung, davon profitiert dann auch die Pflege.“
Die Pflege brauche nicht noch mehr Überregulierung, betonte der Vorstandsvorsitzende der Sana Kliniken, Thomas Lemke. Derzeit entwickelten sich Pflege- und Gesundheitssystem in Richtung planwirtschaftliche Systeme, die bekanntlich noch nie funktioniert hätten. Am Beispiel Pflegebudget verwies Lemke auf die Wichtigkeit, neue Instrumente in einer Testphase zunächst zu erproben.
Warten auf PPR 2.0
Mit Blick auf die von der Profession Pflege erwartete Entscheidung, wie und wann es nun mit der PPR 2.0 weitergehe, verwies BMG-Mitarbeiterin Optendrenk auf „ihren“ Minister, Karl Lauterbach. Das Instrument solle als Übergangslösung implementiert werden. Die Diskussionen dazu seien jedoch noch nicht abgeschlossen, daher könne es noch etwas dauern. Ähnlich hatte sich auch BMG-Staatssekretär Edgar Franke auf dem Krankenhausgipfel der Deutschen Krankenhausgesellschaft am Mittwoch in Berlin geäußert.
Für DPR-Präsidentin Vogler ist die PPR 2.0 besonders wichtig, denn sie könne erstmals abbilden, was pflegerische Versorgung aus Patientensicht brauche und welches Pflegepersonal dabei für eine gute Pflege notwendig sei.
Pflegedienstleiter Evers hat die PPR 2.0 in seinem Haus getestet. Seiner Meinung nach sollte sie so schnell wie möglich flächendeckend umgesetzt werden. Die Implementierung sei nicht schwierig. Evers mahnte: "Es verrinnt zu viel Zeit und die haben wir definitiv nicht!“
Um Prozesse zu beschleunigen und zu klären, wo Pflege sich überhaupt hinentwickeln will und muss, rief Evers zu einem Pflegegipfel auf und fragte provokant: "Wollen wir die dienende Pflegekraft oder die professionell akademische Pflegefachperson?“ Aktuell stehe Pflege am Scheideweg, an dem sie abhängig sei von Entscheidungen, die auf Bundesebene zu treffen seien.
Auch Lemke fehlt ein strategischer Weitblick. Jetzige Instrumente seien zu kurzfristig und operativ gedacht.