Es ist schon erstaunlich, wie sich die Debatte um die Erweiterung von Heilkunde auf Pflegefachpersonen ändert, wenn statt „Aufwertung von Pflege“ auf einmal die „Arztentlastung“ im Vordergrund steht. Zum einen schließt das eine das andere nicht aus, zum anderen ist die Arztentlastung für Pflegekräfte nicht der Hauptgrund, Heilkunde ausüben zu wollen.
Aus der jüngeren Vergangenheit war dieser Diskurs intensiv bei den Notfallsanitäter:innen zu beobachten, derzeit wird er im Rhamen des Community Health Nursing bzw. dem §64d geführt. Da wird bereits heute darauf hingewiesen, dass man keine Versorgung light oder „ständig neue Konzepte“ haben möchte, während gleichzeitig das nächste Modellprojekt „Hausbesuche durch nicht-ärztliche Berufe“ startet und auch die Physician Assistance weiter vorangetrieben wird. Der feine Unterschied: Es bleibt eben bei der Letztentscheidung durch den Arztberuf, in der Entscheidungsbefugnis ist man eben gerne unter sich.
Bei der Heilkundeübertragung für Pflegekräfte sollen Tätigkeiten auf Pflegekräfte übergehen, die vielfach sowieso ihrem Aufgabenspektrum entsprechen. Für die Pflegendienst ist es eine Aufwertung, indem sie mehr Selbstständigkeit in ihre eigenständige berufliche Tätigkeit bekommen. Beispiel: Es lässt sich nur mutmaßen wie die Impfkampagne ausgesehen hätte, wenn Pflegekräfte hätten impfen dürfen, was sie bekanntlich bereits in der Ausbildung erlernen. Schlichtweg: Es fehlt an der gesetzgeberischen Erlaubnis. Hätte man haben können, wollte man nicht.
Mit dieser Übertragung wird die Gesundheitsversorgung besser. Dieser Schritt ist längst überfällig, hierzu braucht es nur den Blick ins Ausland. Wo Arztmangel herrscht, kann die Heilkunde im ambulanten Setting Versorgungslücken schließen. Heilkundeübertragung verstehen Pflegekräfte aber nicht als Arztentlastung, sondern als eigenständigen Beitrag zur Gesundheitsversorgung, den es zu beschreiben gilt und für den dann natürlich ebenso alle rechtlichen Folgen gelten.
Ganz besonders interessant wird dieser Diskurs auch im Krankenhaus sein. Hier gilt es Konzepte für die Heilkundeübertragung zu entwickeln, denn es besteht die Gefahr, dass Kolleg:innen dorthin abwandern, wo sie ihren Beruf breitflächiger und selbstständiger ausüben können. Die Generalisten sind bereits in ihrer Ausbildung in allen Settings unterwegs und werden dort Möglichkeiten und Unterschiede kennenlernen. Auch im Krankenhaus steht die Arztentlastung daher nicht im Vordergrund, sie wird aber auch dort diesen Effekt haben. Der Ton macht die Musik: Wer die Heilkunde als Arztentlastung statt Entwicklung der Profession Pflege angeht, begeht schon bei der Implementierung einen Fehler.
Bei aller Kritik an Äußerungen und beim Kampf für oder gegen eine Sache, hilft übrigens zumeist der erdende Blick in das Gesetz: Es ist auch das Ziel, Erkenntnisse für die interdisziplinäre Zusammenarbeit und Standards zu entwickeln. Entlastung für alle durch Zusammenarbeit. Darauf kann man sich doch gut verständigen, oder nicht?