Orientierungswert

Primärarztsystem ist nur ein Baustein 

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Primärarztsystem ist nur ein Baustein 
Die Regierungskoalition kündigt die Einführung eines Primärarztsystems an. Andreas Beivers erklärt, warum allein damit noch nicht viel gewonnen ist. © GettyImages/masterzphotois

Der Koalitionsvertrag ist nun beschlossene Sache, einer Regierungsbildung scheint nichts mehr im Weg zu stehen. Im Bereich Gesundheit sind im Koalitionsvertrag viele wichtige und sinnvolle Dinge enthalten, die es Detail auszuarbeiten gilt. Insbesondere die Ankündigung, ein Primärarztsystem bei freier Arztwahl einführen zu wollen, hat für Aufsehen gesorgt. Das ist aus gesundheitsökonomischer Sicht richtig. Die Nachfrage im System muss neu koordiniert und die Patientensteuerung in den Mittelpunkt gestellt werden. Gerade vor dem Hintergrund knapper werdenden personeller Ressourcen in Kombination mit einer steigenden Nachfrage aufgrund des demografischen Wandels muss alles unternommen werden, um unnötiges Nachfrageverhalten zu verhindern. Auf Primärarztsysteme zurückzugreifen ist – betrachtet man unsere europäischen Nachbarn – sinnvoll. So zeigen sich positive Effekte wie eine bessere Koordination, die Vermeidung von Doppeluntersuchungen, klare Behandlungswege, mehr Kosteneffizienz, längerfristige Arzt-Patienten-Beziehungen, mehr Fokus auf Prävention und Früherkennung sowie eine Entlastung des Facharztsystems. 

Nicht nur auf Hausärzte setzen

Allen ist bekannt, dass eines der größten Nadelöhre unserer Versorgungslandschaft die hausärztliche Versorgung darstellt. Doch gerade Hausärzte finden oft keinen Nachfolger. Strukturschwache, ländliche Gebiete sind dabei besonders betroffen. In städtischen Regionen ist es besser, doch auch hier beklagen viele Hausärzte Überlastung. Sich allein auf die Hausärzte im Status quo zu fokussieren, reicht also nicht aus. Es braucht ein ganzes Bündel an Maßnahmen, damit Patientensteuerung über alle Versorgungsbereich hinwegfunktioniert. Dabei muss die Notfallversorgung unbedingt mitgedacht werden, ebenso wie ein ganzheitliches Case-Management über den Versorgungspfad hinweg. Hausärzte können hier sicherlich einen wichtigen Beitrag leisten, müssen dafür jedoch von bürokratischen Hürden entlastet werden. 

Aber: Wer muss hier noch mitmachen, damit diese Mammutaufgabe stemmbar wird? Ist es nicht denkbar, dass gerade in den Regionen, in denen die hauärztliche Versorgung bedroht ist, die neuen sektorenübergreifenden Versorger gemäß Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) eine bedeutende Rolle spielen? Wie kann generell die ärztliche Kompetenz der stationären Versorgung mit einbezogen werden? Wie steht es um die neuen Gesundheitsfachberufe wie Physician Assistants oder qualifiziertes pflegerisches Personal? Können nicht auch sie eine Steuerungsfunktion übernehmen? Welche Rolle spielen telefonische und digitale Unterstützungsangebote, am besten unterstützt mit künstlicher Intelligenz? Können auch die Kostenträger hier eine Rolle spielen? Das führt zum nächsten wichtigen Punkt: Wie steht es um die Eigenverantwortung der Versicherten? Kann die Idee der Patientensteuerung nicht auch in den Versicherungsvertrag integriert werden? Patienten, die sich steuern lassen, könnten andere Tarife erhalten als diejenigen, die nach wie vor den freien Direktzugang wünschen. Doch hier ist Vorsicht geboten, da in der Gesetzlichen Krankenversicherung die Beitragssätze prozentual erhoben werden und es für all diejenigen, die mehr in das System einzahlen ein Direktzugang besonders teuer werden würde, wohingegen für all diejenigen, die wenig bis nichts in das System einzahlen die Möglichkeiten einer gänzlich freien Wahl quasi umsonst wäre. Dies hätte verteilungspolitisch wie auch gerechtigkeitsspezifische Probleme und kann den Solidargedanken gefährden. Daher könnte man hier auch über einen absoluten Euro-Betrag nachdenken. Im besten Fall sind jedoch die Steuerungssysteme so attraktiv, dass die Steuerung die präferierte Variante wird. All diese Dinge sollten unbedingt mitgedacht werden. 

Evidenz-Orientierung muss Maßstab sein

Auch müssen negative Effekte, die aus einem Primärarztsystem entstehen - wie Zugangsbeschränkung, ausgeprägte Abhängigkeit von Hausarzt, Bürokratie und Wartezeiten sowie Stadt-Land-Verteilungsprobleme - gleich von Beginn an mitgedacht werden. Es wird neben der Bereitstellung der Steuerungskapazitäten von entscheidender Bedeutung sein, auch ein standardisiertes Steuerungskonzept zu entwickeln, das auf klaren (sozial-)medizinischen und pflegerischen Kriterien beruht, um hier strukturiert und qualitätsorientiert vorzugehen. Evidenz-Orientierung muss auch hier vor Eminenz-Orientierung stehen. Das wiederum passt dann auch in die Logik der Qualitätsdiskussion des KHVVG. Fazit: Gute Idee, nun aber bitte an die Arbeit für gelingende Konzepte! 

Autor

Prof. Dr. Andreas Beivers

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