Das deutsche Gesundheitssystem steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Überlastete Kliniken, fehlende Pflegeplätze und lange Wartezeiten zeigen: So kann es nicht weitergehen. Die Lösung liegt in einer intelligenten Ambulantisierung – dafür wirft Heinz Lohmann einen Blick zurück auf die erfolgreiche Reform der Psychiatrie.
Eins ist inzwischen allen klar: Einfach so weitermachen funktioniert im Gesundheitssystem nicht mehr. Es gibt Regionen, in denen weit und breit kein Arzt mehr verfügbar ist. Um zur Apotheke zu gelangen, ist eine Weltreise erforderlich. Selbst in großen Städten werden die Wartelisten für spezielle medizinische Leistungen immer länger. Der Übergang ins Sozialsystem hakt an allen Ecken und Enden. Kurzzeitpflege zu ergattern, setzt eine gewaltige Portion Ausdauer voraus. Pflegeheimplätze werden immer rarer. Zu allem Überfluss stoßen auch die Finanzierungssysteme an ihre Grenzen. Krankenkassenbeiträge steigen dramatisch. Was ist zu tun?
Seit Ende des 19. Jahrhunderts galt die Regel, dass schwer kranke Patientinnen und Patienten stationär in Krankenhäusern und leichter Kranke in Praxen behandelt werden. Diese konsequente Trennung gibt es jedoch schon seit Jahren nicht mehr. Die Medizin kann heute auch schwer kranke Menschen ambulant versorgen.
Neustrukturierung der Gesundheits- und Sozialangebote erforderlich
Wenn aber die Ambulantisierung die gewünschten gesellschaftlichen Effekte erzielen soll, ist eine Neustrukturierung und Koordinierung der Gesundheits- und Sozialangebote zwingend erforderlich. Neben den stationären Leistungserbringern müssen vermehrt teilstationäre und ambulante Einrichtungen hinzukommen. Diese neue Angebotsstruktur muss intensiv vernetzt werden.
Die vor uns liegenden Herausforderungen zur Weiterentwicklung in der somatischen Medizin zeigen ein weitgehend identisches Zielbild, wie das der Reformbemühungen in der Psychiatrie vor 50 Jahren. Die Maßnahmen der damaligen Psychiatriereform können deshalb heute als Blaupause für die Reform des Gesundheitssystems insgesamt herangezogen werden. Die Psychiatrie musste häufig um ihre Anerkennung als gleichberechtigte Profession innerhalb der Medizin kämpfen. Sie wurde lange eher als Aschenputtel der Medizin angesehen.
Reform der Psychiatrie als Vorbild
Allerdings hat sie in den letzten 50 Jahren einen einzigartigen Veränderungsprozess durchlaufen. Während in der Vergangenheit psychisch Kranke in sehr großen stationären Einrichtungen weitestgehend verwahrt wurden, gibt es heute eine vernetzte Struktur von ambulanten, teilstationären und stationären Gesundheits- und Sozialangeboten. Diese bieten den Betroffenen abgestufte Behandlungs- und Betreuungsangebote. Die Reform der Psychiatrie ist deshalb eine hervorragende Blaupause für den anstehenden Wandel des gesamten Gesundheitssystems.