Wer sich im Wettbewerb der Kliniken durchsetzen will, braucht Transparenz. Dazu gehören Warenwirtschaftssysteme und vereinfachte Prozesse, die Arbeitsabläufe standardisieren. Darin waren sich die Referenten im Workshop „Strategische Partnerschaften – Innovationsbremsen lösen“ während des 7. Nationalen DRG-Forums plus einig.
In der Wortwahl sind wir schon sehr weit, in der Umsetzung leider noch nicht“, sagt Prof. Heinz Lohmann. Inzwischen sei das Wort „Gesundheitswirtschaft“ – das für den Abbau von Monopolen und für freie Marktwirtschaft stehe, die helfe, Innovationsbremsen zu lösen – zwar in aller Munde. Die Praxis freilich sei noch nicht so weit, so Lohmann, der eine Unternehmensberatung betreibt, die Firmen aus der Gesundheitswirtschaft bei Umstrukturierungsprozessen hilft. Die größten Bremser im alten Gesundheitswesen seien die Ängstlichen, die um ihre Sonderstellungen fürchteten.
Transparenz bringt neuen Nachfrager-Markt
Diese Bremser – Lohmanns Meinung nach oft Funktionäre niedergelassener Ärzte – hätten in der Vergangenheit zumeist leichtes Spiel gehabt. Denn die Angebotsseite habe früher aufgrund ihrer Informationshoheit über die Nachfragerseite, also den Patienten, dominiert. Aufgeweicht werde dies durch einen neuen Nachfrager-Markt. Ärzte-Rankings und Klinik-Führer informierten und bewerteten Mediziner und Krankenhäuser. Parallel zu diesem Mehr an Transparenz nehme die Bereitschaft zu, außerhalb von Krankenkassenbeiträgen Geld für Gesundheit und Fitness auszugeben. Dafür hätten die Deutschen im vergangenen Jahr 60 Milliarden Euro auf den Tisch geblättert – mit steigender Tendenz. Krankenkassen würben mehr um ihre Zusatzleistungen, entdeckten die Medizin als entscheidendes Erfolgskriterium im Wettbewerb.
Die Krankenhäuser brauchen starke Partner
Kliniken müssten sich starke Partner suchen, die auf ihrem Gebiet Spezialisten seien, um im Wettbewerb um den Patienten zu gewinnen. Wenn Krankenhäuser in der Vergangenheit Räume vermietet hatten, dann sei die Vertragsgestaltung oft zu Lasten des Klinikums ausgefallen: weil schlichtweg, wie bei einer großen Uniklinik, die Verwaltungsleitung vergessen hatte, Kautionen der Mieter bei Einzug zu vereinbaren, sagt Lohmann. „Für so etwas braucht ein Krankenhaus Experten von außerhalb.“ Solche Partner könnten Systempartner sein, die auf eigenes Risiko wirtschafteten. Einkaufszentren böten schon heute ihren Einzelhandelskun- den Mietverträge an, die das Immobilienunternehmen nicht mehr mit einer Fixmiete, sondern abhängig vom Umsatz des Geschäfts bezahlten.
Kliniken müssten mehr zu solchen Geschäftsmodellen kommen, weil sie so weniger selbst investieren müssten. „In den vergangenen Jahren habe ich Medizin-Technologiehersteller erlebt, die ganz unruhig wurden, wenn Klinikchefs solche Systempartnerschaften anregten. Denn dann ging es plötzlich nicht mehr darum, einfach eine Kiste mit Wartungsvertrag zu verkaufen, sondern um den wirtschaftlichen Erfolg des Partners damit“, sagt Lohmann. „Umdenken Richtung ,Pay per Case‘ ist gefragt.“ Wenn die Deutschen so Auto führen, wie sie Medizin machten, könnten sich nur zehn Prozent überhaupt einen Wagen leisten. Und diese Bürger steuerten dann einen Wartburg oder Trabant. Industrialisierung und internationaler Wettbewerb seien für den enormen Erfolg der deutschen Automobilindustrie verantwortlich. „Das brauchen wir auch dringend in der Medizin.“
Hemmschuh: Umsatzsteuerbefreiung
Die Umsatzsteuerbefreiung von Medizinanbietern habe sich schon als Wachstumshemmschuh der Kliniklandschaft erwiesen. Denn weil von der Mehrwertsteuer befreite Kliniken auch die Vorsteuer für hinzu gekaufte Leistungen nicht abführen dürften, sei die fremde Leistung dadurch 19 Prozent teurer (siehe auch Die Gesundheitswirtschaft 2/08, „Ein Steuervorteil wird zum Nachteil.“). Deswegen plädiert Lohmann für einen für die gesamte Gesundheitswirtschaft ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent. Das hatte auch Prof. Dr. Günter Neubauer, Chef des Instituts für Gesundheitsökonomik (IfG), gefordert. Allerdings ergibt sich aus den Berechnungen des IfG-Chefs auch, dass Kliniken erst von einer Umsatzsteuer und deren Vorabzug profitieren, wenn sie ihren Sachkostenanteil erhöhen. Dieser Wert liegt derzeit bei durchschnittlich 34,7 Prozent – durch die enorm hohen Personalkosten. Erst wenn der Sachkostenanteil im Krankenhaus durch Outsourcing und Systempartnerschaft auf 48 Prozent klettert, lohnt sich eine Umsatzsteuer, errechnete das IfG.
Hohe Vorleistungsquote überlebensnotwendig
Eine derart hohe Vorleistungsquote sei aber für die deutschen Kliniken auf Dauer „überlebensnotwendig“, argumentiert Lohmann. Anleihen nimmt er aus anderen Branchen. Die Sportwagen-Schmiede Porsche wurde durch ihre hohe Vorleistungsquote von bis zu 90 Prozent zur profitabelsten Automobilfirma der Welt. Ganze Komponenten wie das komplette Armaturenbrett inklusive Instrumenten, Schaltern, Lenkrad und Airbags werden von Komponenten- Herstellern wie VDO, Bosch oder Continental Teves „on demand“ und „just in time“ zugeliefert. In der Industrie wird derlei Outsourcing auch als „Verringerung der Fertigungstiefe“ bezeichnet. Eine Fertigungstiefe von null Prozent bedeutet, dass ein Unternehmen weder selbst produziert noch Produkte veredelt, sondern sie nur handelt. Eine Fertigungstiefe von 100 Prozent hätte ein Unternehmen, wenn es ohne Zukauf in den eigenen Minen Erz abbaut, Metall herstellt und schließlich selbst daraus Kochtöpfe herstellt. Porsche beispielsweise hat eine Fertigungstiefe, die bei den Sportwagenmodellen 911 und Boxster etwa 20 Prozent und beim Cayenne zehn Prozent ausmacht.
Diese geringe Fertigungstiefe sei einer der Hauptgründe für den wirtschaftlichen Erfolg der luxuriösen Fahrzeuge, verkündet Porsche-Chef Wendelin Wiedeking immer wieder. Kliniken haben in Deutschland einen Vorleistungsanteil bei den Sachkosten von rund 34 Prozent, sagt Robert Schrödel, Vorstandsvorsitzender der Vanguard AG. Arbeitsteilung habe weltweit die Industrialisierung erst möglich gemacht; eine derartige Professionalisierung sei auch in Kliniken der einzige und richtige Weg, Kosten zu senken. „Es ist teilweise unverständlich, weshalb deutsche Krankenhäuser nicht öfter Spezialisten mit innovativer Prozesstechnologie nutzen“, so Schrödel. In Deutschland habe sein Unternehmen Logistik-Zentren aufgebaut, von denen jedes mehrere Kliniken versorgt. Beispielsweise kümmere sich Vanguard in Berlin um die neun Vivantes-Kliniken, die bis zu dreimal täglich beliefert werden. Dabei würden in 24 Stunden 450 000 chirurgische Instrumente geliefert und ebenso viele wieder abgeholt.
OP-Logistik birgt enorme Einsparpotenziale
Moderne Computersysteme analysierten immer wieder: „Logistische Prozesse laufen in vielen Kliniken nicht ausreichend systematisch“, so Schrödel. Prozess-Spezialisten stellten im Krankenhaus noch fünf bis sechs zusätzliche „Logistik-Schleusen in den OP-Saal“ fest: für Abdeck-Artikel, Blutprodukte, Gebrauchsprodukte und Pharmaka. Sie alle würden von verschiedenen Klinikbeschäftigten in unterschiedlichen Lagern verwaltet, vorsortiertund nach einer Operation oder während der Reinigung des Saales einsortiert. „Durch eine Optimierung des Bestell- und Lagerwesens könnten Krankenhäuser enorme Kapitalbindungs- und Lagerhaltungskosten einsparen.“ Denn 70 Prozent aller Operationen seien planbar. Anhand des Falles könnten das notwendige OP-Instrumentarium sowie alle Materialien vorher zusammengestellt werden und dann „on demand“ und „nahezu just in time“ zum anästhesierten Patienten geliefert werden. Eine Zwischenlagerhaltung entfalle so komplett. Da Vanguard-Mitarbeiter in ihren Logistikzentren bereits so genannte „Fallwagen“ mit allen für die Eingriffe erforderlichen Instrumenten und Medizinprodukten zusammenstellten, entlaste dies Klinikpersonal von logistischen Tätigkeiten. Die könnten sich so auf ihre eigentlichen Kernkompetenzen konzentrieren.
Mit Airport-IT gegen „Leerminuten“ im OP
In deutschen Operationssälen gebe es zu viele „Leerminuten“, also Zeiten, in denen OPs neu bestückt und gereinigt werden. Schrödel: „Im OP wird das Geld verdient.“ Jede Minute, in der im OP nicht operiert wird, koste deutsche Kliniken durchschnittlich 125 Euro. IT-Spezialisten des Unternehmens hatten sich vor etwa zehn Jahren gefragt, wo es denn ähnlich komplexe Abläufe wie im OP gebe. Man sei auf das Slotmanagement von Großflughäfen gekommen. Das müsse mit Verspätungen und früheren Ankünften genauso zurechtkommen wie mit hohen sicherheitstechnischen Anforderungen. Die Fluggesellschaften, also die Kunden des Airports, drängten auf kurze Standzeiten, weil sie nur in der Luft Geld verdienten. Genauso laufe das Klinik- Business. In einer Pilotklinik, in der Vanguard die aus der Luftfahrt adaptierte IT zur Auslastungsverbesserung der Säle betreibt, konnte laut Schrödel binnen eines Jahres die Anzahl der Operationen pro Saal auf 3 300 selektive Eingriffe erhöht werden. Im Bundesdurchschnitt liege dieser Wert bei 1 750 Operationen. „Hier sind ganz enorme Effizienzsteigerungen möglich“, sagt Schrödel.
Sein Unternehmen habe auch innovative Finanzierungsformen in den Markt gestellt – etwa wenn Kliniken für gelieferte Geräte nur pro Benutzung („Pay per Use“) zahlten und somit quasi das wirtschaftliche Risiko outsourcten. Diese Einsparungen könnten Krankenhäuser dann wieder für neue Investitionen nutzen. In einer Zeit, in der von Klinikchefs erwartet werde, die Prozesse in ihren Häusern zu verschlanken, um Geld sparen zu können, müsse man den Managern aber auch die gleichen Instrumente in die Hand geben, wie sie in der freien Wirtschaft zur Hand seien, fordert Schrödel. Ebenso plädiert er deswegen für den einheitlichen, reduzierten Mehrwertsteuersatz – auch für Kliniken. Durch die Mehrwertsteuererhöhung seien alle fremd hinzugekauften Leistungen um drei Prozent teurer geworden. Zwar gründeten Kliniken oft so genannte Organschaften, um Vorsteuer abziehen zu können. Diese fungierten als Einkaufs-Tochtergesellschaften der Kliniken, die umsatzsteuerpflichtig seien. „Aber das ist ein steiniger und komplizierter Weg“, sagt Schrödel.
Mit Barcodes und Funktechnik automatisch nachbestellen
Enormes Optimierungspotenzial sieht er in den klinikinternen Arbeitsabläufen. „Klinikchefs haben bislang nur unzureichend in Prozesstechnik investiert – anders als andere Branchen schon vor 15 Jahren“, stellt Schrödel fest. Weil kein transparentes Warenwirtschaftssystem verfügbar sei, gebe es noch zu viele Zwischenlager, die sehr kostspielig seien. Diese Zwischenlager abzubauen, gelänge mit Barcodes auf Instrumenten und RFID-Technik. Funkchips meldeten dem Rechner im Operationssaal schon, dass neue Ware eintrifft, wenn sie noch auf dem Weg in die Chirurgie sei. Den Original-Barcode auf der Kunststoffverpackung von Verbrauchsund Einmalartikeln läsen die OPSchwestern direkt vor dem Öffnen ein; das Warenwirtschaftssystem meldete dann ans Logistikzentrum, wenn Instrumente fehlten.
Die IT bestelle automatisch nach. Auch für das Krankenhaus-Informationssystem (KIS) seien die Logistik-Daten wichtig. Wenn die Hüftprothese der Verpackung entnommen sei, könne das KIS schon automatisch dokumentieren, um welches Implantat es sich handele. Das medizinische Personal werde so von einer großen Menge an Dokumentationspflichten entlastet, die eine gute Klinik-IT automatisiere. Alle verwendeten Materialien und deren Kosten wanderten zudem automatisch in die DRG-Abrechnung. „Nur wer seine IT so vernetzt, wird als Klinikum die Kostenführerschaft erringen“, formuliert Schrödel. Doch dazu bedürfe es zunächst betriebswirtschaftlicher Transparenz. „Die fehlt noch sehr vielen Kliniken.“
Thomas Grether ist freier Wirtschaftsjournalist in Bad Homburg