Wenn die Kasse das Klinikum auswählt

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  • 01.03.2008

Wenn die Krankenkassen nur noch mit bestimmten Kliniken Verträge aushandeln (selektives Kontrahieren), dann kann das enorme wirtschaftliche und personelle Auswirkungen auf die deutsche Kliniklandschaft haben. Obwohl ein entsprechender Gesetzesentwurf noch nicht vorliegt, sei es überlebenswichtig, sich darüber bereits heute Gedanken zu machen, sagt Dr. Thomas Mansky.

Der Gesetzgeber will mehr Wettbewerb zwischen den Kliniken. Dazu sollen nach Vorstellung der Politik Einkaufsmodelle beitragen. Einzelne Kassen sollen mit einzelnen Leistungsanbietern oder mit freiwilligen Zusammenschlüssen mehrerer Anbieter individuell Verträge aushandeln können. Damit verbunden sind zwei wesentliche Änderungen zur bisherigen Organisationsform im Gesundheitswesen: Die Kassen müssen nicht mehr „einheitlich und gemeinsam“ verhandeln (wie bisher im stationären Sektor), und sie müssen auch nicht mehr mit allen Leistungsanbietern Verträge schließen. Ein derartiger Vertragsabschluss nennt sich im Sozialversicherungsdeutsch Kontraktion. Bisher müssen alle Kassen mit allen zugelassenen Krankenhäusern kontrahieren. Demnächst sollen Kassen und Kliniken für bestimmte, gesetzlich definierte Leistungsbereiche selektiv kontrahieren können, also frei wählbare Verträge schließen.

Der Kontrahierungszwang wird also für diese Bereiche aufgehoben. Allerdings sind der genaue Zeitpunkt der Umstellung und vor allem der Umfang des Katalogs der frei aushandelbaren Leistungen noch fraglich. Bisher existiert noch kein veröffentlichter Katalog. Bekannt ist nur, dass er sich zunächst auf „planbare Leistungen“ erstrecken soll. Das sagte Dr. Thomas Mansky, Leiter der Abteilung „Medizinische Entwicklung“ beim Klinikkonzern Helios. Wie der Gesetzgeber künftig elektive Leistungen – also vorausplanbare Eingriffe, für die es keine medizinisch eindeutige Definition gibt – genau beschreibe, „ist allerdings noch ein riesiges Fragezeichen“, so der Helios-Prokurist. Je nach Sichtweise und Fachgebiet könnten vorher „planbare“ Operationen durchaus bis zu 50 Prozent des Gesamtbudgets der Kliniken beziehungsweise der Fachabteilungen ausmachen.

Zehn bis 20 Prozent des Gesamtbudgets werden kontrahiert

Es dürfte in der Anfangsphase allerdings eher mit einem enger gefassten Katalog zu rechnen sein. Lege man die im vergangenen Jahr von Vertretern der Politik öffentlich genannten Leistungsgebiete zugrunde (unter anderem Hernien, Endoprothesen und Katarakte), so ergäben Simulationen der Helios-Kliniken eine Größenordnung von zehn bis 20 Prozent des Gesamtbudgets. In einzelnen Fachgebieten und Fachkliniken könne der Anteil bedeutend höher sein, beispielsweise in der Orthopädie bei Einschluss der Hüft- und Knieprothesen bis über 60 Prozent. Genaueres ließe sich aber erst sagen, wenn ein erster Gesetzesentwurf vorliege, sagt Mansky. Eine DRG könne sowohl vorher planbare (elektive) als auch Notfallleistungen enthalten. Als Beispiel nennt Internist Mansky Hernienoperationen (also beispielsweise Leistenbruchoperationen).

Es gebe hier sowohl die planbare Leistung (dies sei die Mehrzahl), aber auch Notfalleingriffe bei „eingeklemmten“ Hernien, die beide in der gleichen DRG abgerechnet werden könnten. Kliniken zögen zur Identifizierung der planbaren Leistungen daher neben der DRG vielfach auch die Diagnose nach der Internationalen Klassifizierung von Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (ICD-Diagnose) als Ein- oder Ausschlusskriterium heran. Für die Wirksamkeit des Kataloges seien nicht nur der Umfang, sondern ganz besonders die Rahmenbedingungen außerordentlich wichtig.

Es sei zurzeit unter anderem noch nicht genau bekannt, welche Möglichkeiten zur Steuerung der Patientenströme die Kassen erhielten, wie die Versorgungsbereiche und damit die zulässigen Entfernungen zum nächsten Vertragskrankenhaus definiert würden und wie Leistungen in Krankenhäusern ohne Vertrag abgerechnet werden könnten. Davon hänge aber ab, welche Wirkungen das System in der Praxis habe. Wenn ein Krankenhaus für elektive Leistungen keinen Vertrag beispielsweise mit der AOK abschließen könne, habe dies möglicherweise erhebliche Konsequenzen. Häuser, die beispielsweise für die Orthopädie oder Unfallchirurgie keinen Vertrag für planbare Leistungen bekämen, könnten eventuell auch die personelle Mindestbesetzung für Notfallleistungen nicht finanzieren.

Planbare Operationen finanzieren die Notfall-Versorgung

Denn die Anzahl beispielsweise der Schenkelhalsfrakturen, die notfallmäßig und sofort behandelt werden müssten, sei in jeder Klinik gering. Gleiches gelte für Linksherz-Katheterisierungen. Wer als Folge nur noch akute Herzinfarkte behandeln dürfe, elektive Leistungen aber nicht mehr, erreiche oft die wirtschaftlich und medizinisch notwendigen Mindestmengen nicht. Die 24-Stunden- Versorgung müsse durch elektive Leistungen mitfinanziert werden: „Die Notfallversorgung alleine ist oft nicht wirtschaftlich“, sagt der Helios-Manager.

Ein weiterer, negativer Effekt bei Wegfall elektiver Leistungen: Wer keine geplanten Hüftoperationen mehr machen dürfe, dem gehe in der Regel auch die Weiterbildungsermächtigung verloren – mit der Folge, dass gutes ärztliches Personal sich gezwungenermaßen neue Arbeitgeber suchen müsse. Auch entschieden sich viele Patienten dann vermutlich eher für ein anderes Haus. Niemand würde sich eine neue Hüfte von einem Operateur einsetzen lassen, der das nur noch notfallmäßig und sehr begrenzt elektiv machen könne, sagt Mansky. Auch wer zu den Gewinnern gehöre, also einen Vertrag für bestimmte, elektive Eingriffe bekomme, könnte vor ungeahnten Schwierigkeiten stehen: Wenn „größere Mengen verschoben“, bestimmte Operationen also mit der vermeintlich glücklichen Klinik vereinbart würden, müsse diese möglicherweise zunächst in neue Operationssäle investieren, um die stark gestiegenen Patientenzahlen überhaupt versorgen zu können. Der Vertragszeitraum wäre aber – bei eher geringerer Marge – kaum mit dem Amortisationszeitraum für erforderliche Investitionen deckungsgleich. Derartige Investitionen seien daher äußerst riskant.

„Nach drei Jahren könnte ihnen eine große Kasse durchaus sagen, das Nachbarkrankenhaus ist besser oder schöner. Was dann?“ Kassen würden, wenn das neue System wirken solle, im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben versuchen, ihren Kunden ihre Vertragskliniken schmackhaft zu machen, erläutert Mansky. Denkbar sei, dass Kassen Bonussysteme einrichteten. Für den Patienten bedeute dies, er bekäme Vorteile eingeräumt, sofern er sich für ein von der Kasse vorgegebenes Klinikum entschiede.

Patienten erhalten Boni oder Zuzahlungsbefreiungen

Derartige Vorteile für Patienten könnten Befreiungen von Zuzahlungen oder Bonus-Zahlungen zum Jahresende sein. Dass sich die Politik für Malussysteme entscheide, hält Mansky für weniger wahrscheinlich. Denn dann müsste der Kranke zuzahlen, wenn er in ein Haus seiner Wahl ginge, mit dem die Kasse nicht kontrahiert habe. Dies sei schwieriger durchsetzbar. Kassen müssten in dem neuen System auch versuchen, eine Einweiser- Steuerung über die niedergelassenen Ärzte umzusetzen. Hausarzt-Verträge, die es schon gibt, seien beispielsweise ein Instrument, um einer solchen Einweiser- Steuerung den Weg zu ebnen. Um als Krankenhaus erkennen zu können, wie das selektive Kontrahieren ablaufen könnte, sollten sich die Klinik-Chefs Ausschreibungen für Versorgungsverträge im hausärztlichen Bereich anschauen, wie sie derzeit beispielsweise in Baden-Württemberg angestrebt werden, rät Mansky. „So ähnlich könnte es auch für die Kliniken kommen.

Aber Genaues wissen wir erst, wenn der Gesetzentwurf vorliegt“, sagt er. Wer nachdenke, wie die Zukunft der Klinik- Einweisungen aussehen könnte, komme zu dem Schluss: Der einweif sende Arzt werde keine Zeit haben, stundenlang darüber nachzudenken, in welches Krankenhaus er welchen Patienten schicke. Wenn die TK beispielsweise für bestimmte Herzschrittmacher ein bestimmtes Klinikum präferiere, dann würde der Einweiser tendenziell vermutlich alle kardiologisch beziehungsweise rhythmologisch zu versorgenden TK-Patienten in dieses bestimmte Haus einweisen – zumal Einweiser oft vorher nicht wissen könnten, ob überhaupt und welchen Schrittmacher-Typus das Klinikum einsetze.

„Oft kann erst in der Klinik nach erfolgter Diagnostik die genaue Behandlungsindikation gestellt werden“, sagt Mansky. Um keinen Fehler zu begehen, würde der Niedergelassene dann vermutlich alle Patienten mit Rhythmusstörungen in die Vertragsklinik einweisen. „Das faktisch gesteuerte Honorarvolumen für die Kliniken kann somit wesentlich größer sein als das nach gesetzlichem Katalog im Vertragstext vereinbarte.“ Laut Mansky seien derzeit auch viele Detailregelungen noch unklar: Wie weit darf der für den Patienten maximal zumutbare Weg zum Vertragskrankenhaus sein? Es könnte also durchaus noch heftige Diskussionen geben, ob jemand aus Essen nach Düsseldorf ins Krankenhaus müsse, prophezeit der Privatdozent, der für medizinische Informatik sowie medizinische Entwicklung bei Helios verantwortlich zeichnet. Kassen könnten ferner auch Kliniken verpflichten, bestimmte Qualitätssicherungsverfahren einzuführen, um in den Pool derer zu kommen, mit denen Verträge abgeschlossen werden. „Im Prinzip ist dies sicher sinnvoll.“

Geht es um Qualität oder um den Preis?

Im Extremfall könne es aber auch dazu führen, dass ein Klinikum verschiedene völlig unterschiedliche Qualitätssicherungsverfahren benötige. Dies würde erheblichen bürokratischen Aufwand verursachen und würde die Qualitätssicherung schwächen. Das wäre äußerst bedauerlich, „da wir in Deutschland gerade dabei sind, einheitliche und damit vergleichbare Qualitätsmessungen aufzubauen“. Die derzeit in Mode gekommenen Zertifikate seien ferner oft kein ausreichender Nachweis für tatsächliche Ergebnisqualität. „Wir wissen daher heute noch nicht, ob beim selektiven Kontrahieren die Qualität wirklich wichtiges Kriterium wird oder letztlich doch nur der Preis.“

Selektives Kontrahieren sei faktisch auch ein massiver Eingriff in die Planungshoheit der Länder. Was nutze eine im Planverfahren zugelassene Augenabteilung, wenn die Kassen dieser Abteilung keinen Vertrag gäben, sondern mit dem Nachbarkrankenhaus, eventuell sogar im Nachbar-Bundesland kontrahierten? Aus prinzipiellen Überlegungen heraus könnten die Universitätskliniken weniger vom selektiven Kontrahieren betroffen sein. Sie würden möglicherweise unter Verweis auf die Notwendigkeiten, die sich aus Forschung und Lehre ergäben, Verträge mit allen Kassen bekommen. Somit könnten Unikliniken „geborene Gewinner einer Vertragsumstellung hin zum selektiven Kontrahieren“ sein.

Aufsichtsgremien der Kassen oft politisch besetzt Daher sei unter den Klinik-Managern die Einstellung zum Thema Kassenverträge je nach Krankenhaustypus höchst unterschiedlich. Fraglich sei auch, ob die gesetzlichen Krankenkassen angesichts politisch besetzter Aufsichtsgremien immer unabhängig in ihrer Entscheidung seien oder beispielsweise nicht doch gelegentlich öffentlichen Kliniken anstelle von Freigemeinnützigen oder Privaten den Vorzug bei Verträgen geben könnten. In jedem Fall werde die Einführung des selektiven Kontrahierens für Deutschlands Kliniken „viel stärkere Veränderungen bringen als die Einführung der DRG.

Dass es um diese Veränderungen ein Jahr vor der Umstellung so ruhig ist und sich offenbar nur wenige Kliniken konkret darum Gedanken machen, verstehe ich angesichts der Brisanz dieses Themas nicht“, sagt Mansky. Möglicherweise könne das Gesetz erst im Jahr 2010 wirksam werden – also nach der Bundestagswahl. Weil die neuen Verhandlungsverfahren aber auf jeden Fall erhebliche Wirkungen haben könnten, seien alle Kliniken gut beraten, wenn sie sich darauf schon jetzt strategisch vorbereiteten. Mansky: „Die konkrete Ausgestaltung im Gesetzentwurf erwarten wir mit Spannung.“

Thomas Grether ist freier Wirtschaftsjournalist in Bad Homburg

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