Der NRW-Gesundheitsminister will einen Sitz im G-BA für die Pflege. Seine Forderung zeigt, dass das Gremium überfrachtet ist. Nötiger wären vielmehr ein Sachverständigenrat Pflege und eine Generalreform des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Zugegeben, der Gedanke ist naheliegend: Wenn die Ärzte im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vertreten sind, dann muss dort auch die Pflege als größte Berufsgruppe ihre Stimme erheben können. Der Gesundheits- und Sozialminister aus Nordrhein-Westfalen (NRW), Karl-Josef Laumann (CDU), will die Pflege dort als vierte Bank etablieren. Doch im G-BA sitzt nicht die Bundesärztekammer (BÄK), sondern die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), also nicht die Standesorganisation, die das Pendant der Bundespflegekammer (BPK) ist, die Andreas Westerfellhaus – bis Mitte September Präsident des Deutschen Pflegerates (DPR) – mit Verve vorantreibt. Wenn die BPK in den G-BA soll, dann müsste auch die BÄK dort eine Bank werden.
Fünf Bänke im G-BA – die Abstimmungsmodalitäten würden dann noch komplizierter, die Sitzungen im Plenum womöglich noch aggressiver. Und das wäre nicht das Ende. Auch Apotheker, Heilberufe, Pharmaindustrie und Hilfsmittelproduzenten könnten dann mit gutem Recht einen Sitz für sich reklamieren.
Laumanns Vorstoß zielt also in die Irre. Er entspringt aber dem richtigen Gefühl, dass der G-BA weder Patienten noch die Akteure im Gesundheitswesen adäquat vertritt. Die demokratische Legitimation ist höchst zweifelhaft; es bleibt abzuwarten, zu welchem Urteil die entsprechenden juristischen Gutachten gelangen, die Ende des Jahres öffentlich werden sollen. Unabhängig von dem Urteil der Rechtswissenschaftler gilt jedoch: Nicht alles, was verfassungsrechtlich zulässig sein mag, ist aus ordnungspolitischer und demokratietheoretischer Sicht wünschenswert.
Um die Belange der Pflege und die anderer Akteure im Gesundheitswesen zurück in die politische Sphäre zu holen, ist ein anderer Weg nötig. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) muss eine stärkere Rolle spielen, wenn es um die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen geht – nicht nur, weil die demokratische Legitimation des G-BA strittig ist, sondern auch, weil das Gremium höchst intransparent arbeitet – man denke nur an die Geheimniskrämerei bei den Beschlussvorlagen für das Plenum. Noch stärker wiegt aber, dass der G-BA bei entscheidenden Fragen versagt. Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) wurde im G-BA bürokratisch so stark aufgeladen, dass der neue Versorgungssektor nicht in die Fläche kommt. Auch die sektorenübergreifende Qualitätssicherung stockt (Seite 912). Die planungsrelevanten Qualitätsindikatoren drohen an der Verzagtheit sämtlicher Bänke zu scheitern.
Was ist zu tun? Die Politik ist zu stärken. Ein entscheidender Schritt wäre beispielsweise, dass der Gesundheitsausschuss des Bundestages über sämtliche Beschlüsse des G-BA, die nicht einstimmig fallen, beschließt. Kassieren die Volksvertreter das Votum der Funktionäre in der Selbstverwaltung, kann das BMG eine Ersatzvornahme erlassen. Sinnvoll wäre es darüber hinaus, beim BMG einen Sachverständigenrat Pflege einzurichten. Dieser sollte nicht nur wie der Sachverständigenrat Gesundheit Vorschläge für Reformen erarbeiten können, sondern auch ein Veto-Recht gegenüber G-BA-Beschlüssen mit Bezug zur Pflege haben. Selbst wenn der G-BA einstimmig beschließt, würde ein Veto dazu führen, dass der Beschluss dem Bundestagsausschuss vorgelegt wird.
Perspektivisch ist zu prüfen, ob der G-BA nicht in ein Bundesinstitut überführt wird, das dem BMG untersteht. Der Einwand, dass dies die Zahl der Regierungsmitarbeiter aufblähen würde, greift dabei nicht. Schließlich könnten in gleichem Ausmaß die in den zurückliegenden Jahren aufgebauten Kapazitäten beim G-BA und anderen Körperschaften des Gesundheitswesens reduziert werden. Der große Vorteil: Es gäbe für alle gesundheitspolitischen Maßnahmen, die aus Sicht von Regierung und Parlament zentral für ganz Deutschland geregelt werden müssen, eine klare politische Verantwortlichkeit. Minister und Parteien könnten sich nicht mehr wegdrücken und auf die Selbstverwaltung verweisen. Statt eine Ständegesellschaft aus Kammern und Bänken zu entwickeln, würde das Parlament als Vertretung aller Bürger gestärkt.
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