Die Rolle des Bundeskartellamts im Krankenhaussektor ist umstritten. Präsident Andreas Mundt hält im f&w-Interview dagegen: Die Trägervielfalt sei ein hohes Gut, die konkreten Bedingungen vor Ort habe man stets im Blick.
Herr Mundt, der Fall Gütersloh hat in der Klinikbranche zuletzt für Aufsehen gesorgt. Nach einer informellen Voranfrage sei die dortige Fusion am Bundeskartellamt gescheitert, erklärten beide Träger. Wie passt das zum Willen der Politik, dass sich Klinken zusammenschließen und ihre Kräfte bündeln sollen?
Gleich vorweg: Zu Gütersloh werde ich keine konkreten Aussagen treffen, da der Fall bei uns noch anhängig werden könnte. Ganz allgemein gilt: Krankenhäuser sind Leistungserbringer und auch im Gesundheitssystem als wirtschaftlich Aktive tätig. Damit sind sie Unternehmen im Sinne des Kartellrechts. Wir werden oft gefragt, warum wir eigentlich in diesem Bereich kontrollieren, da doch alles geregelt sei, es gäbe schließlich keinen Preiswettbewerb. Wettbewerb schützt aber nicht nur den Preiswettbewerb, sondern auch den Qualitätswettbewerb. Und das ist ein wichtiger Faktor im Krankenhauswesen. Im Übrigen könnten in Zukunft auch mehr Preiselemente Einzug halten, wenn tatsächlich verstärkt Selektivverträge geschlossen würden.
Aber die Qualitätsstandards sind bereits vom Gesetzgeber festgelegt.
Das sind aber nur Mindestanforderungen. Krankenhäuser, die im Wettbewerb miteinander stehen, werden versuchen, über den Wettbewerb Patienten anzulocken. Es ist ein wesentlicher Treiber für Kliniken, gutes Personal zu bekommen, das Klinikgebäude zu sanieren und die Apparatetechnik auf dem neuesten Stand zu halten, um ihre Qualität zu verbessern und gegenüber anderen Wettbewerbern einen Vorsprung zu bekommen. Daher hat der Gesetzgeber sich auch aus guten Gründen dafür entschieden, dass Wettbewerb im Gesundheitswesen ein wichtiges Gut ist, das auch durchgesetzt werden soll.
Was verstehen Sie unter guter Qualität in einem Krankenhaus?
Es gibt ganz viele Parameter, die für Patienten wichtig sein können. Ganz oben steht selbstverständlich die Qualität der Behandlung. Wichtig ist auch die Frage der Pflege oder die Aufnahme von Reha-Möglichkeiten. Für die Auswahl eines Krankenhauses spielen aber auch weichere Faktoren wie die Erreichbarkeit zur Familie oder Ähnliches eine Rolle.
Um die Qualität im Krankenhaus zu verbessern, hat die Politik in den vergangenen Jahren viele neue Struktur-vorgaben gemacht, die man eigentlich nur in größeren Einheiten erreichen kann. Aber genau das versucht das Bundeskartellamt zu verhindern.
Das ist nicht richtig. Das Kartellrecht steht großen Krankenhäusern nicht im Wege. Es geht beim Wettbewerbsschutz um den Erhalt der Trägervielfalt. Das steht einer Konsolidierung erst einmal nicht entgegen. Wir sehen natürlich auch, dass zum Beispiel die Qualität der Behandlung auch unmittelbar mit der Größe eines Hauses und der hieraus resultierenden Erfahrung mit bestimmten Krankheitsbildern zusammenhängen können. Übersetzt ins Wettbewerbsrecht sprechen wir von Effizienzen, die wir im Rahmen unserer Bewertung berücksichtigen. Aber Zusammenschlüsse von vorher voneinander unabhängigen Krankenhäusern können auch dazu führen, dass es keine Ausweichmöglichkeit mehr gibt und wir es vor Ort mit einem quasi Monopolisten zu tun haben. Der fehlende Wettbewerb kann dann langfristig dazu führen, dass Effizienzen nicht genutzt werden und die mögliche positive Wirkung des Zusammenschlusses verpufft. Auch das hat es in der Praxis schon gegeben, und dieses Spannungsverhältnis müssen wir austarieren.
Was heißt das konkret für Häuser, die sich zusammenschließen wollen?
Das mag jetzt für den einen oder anderen Leser enttäuschend sein, aber das ist im Grunde immer nur im Rahmen einer Einzelfallprüfung zu klären. Denn selbstverständlich sieht das Kartellrecht auch eine Prüfung von Effizienzen vor. Wenn die Unternehmen unmittelbare Vorteile einer Fusion vortragen und belegen können, berücksichtigen wir sie auch. Das setzt eine tiefer gehende Prüfung voraus und ist zum Beispiel nicht im Rahmen eines informellen Vorverfahrens zu klären.
Viele Kliniken auf dem Land bemühen sich nicht nur um die besten Ärzte, sondern sind froh, wenn sie überhaupt noch welche finden. Findet auch dieser Aspekt bei Ihren Prüfungen Berücksichtigung?
In einem Fusionskontrollverfahren nehmen wir stets eine sehr umfassende Bewertung der Marktverhältnisse inklusive der konkreten Standortbedingungen vor.
Ist aus Ihrer Sicht ein gemeinnütziger Krankenhausträger anders zu bewerten als ein gewinnorientierter?
Ich wüsste nicht, warum man das tun sollte. Die Frage der Gemeinnützigkeit ist ein steuerrechtlicher und kein wettbewerbsrechtlicher Begriff. Voraussetzung für die Gemeinnützigkeit ist, dass die Einrichtungen ihre Gewinne nur für gemeinnützige Zwecke verwenden. Das heißt aber nicht, dass sie nicht im Wettbewerb zu anderen Trägern stehen.
Wir konnten zuletzt in der Tagespresse lesen, dass Sie nicht nur eine Fusion, sondern auch eine Kooperation und sogar Absprache zwischen zwei Kliniken untersagt hätten.
Um es in aller Klarheit zu sagen: Im Gegensatz zu Fusionen ist das Bundeskartellamt für Kooperationen zwischen Krankenhäusern in aller Regel gar nicht zuständig. Die Bewertung ist, wenn überhaupt, Sache der jeweiligen Landeskartellbehörde. Zunächst müssen aber die Krankenhäuser selbst beurteilen, ob eine Kooperation statthaft ist oder nicht. Es gibt keine Kooperation, die wir je formell untersagt hätten. Mitunter werden auch Einschätzungen im informellen Vorverfahren im Rahmen der Fusionskontrolle als „Untersagungen“ bezeichnet. Auch das ist falsch, da wir eine Untersagung allenfalls in einem formellen Prüfverfahren aussprechen könnten.
Sie prüfen also auch keine Abstimmung zwischen Krankenhäusern oder untersagen diese?
Für eine Zusammenarbeit ohne Fusion gibt es keine Anmeldepflicht der Unternehmen. Kooperationen können kartellrechtliche Fragen auslösen. Diese Fragen sind aber in der Regel lösbar, weil es viele denkbare Ausnahmen und Rechtfertigungen für solche Kooperationen gibt. Die Krankenhäuser müssten zunächst selbst, vielleicht auch mit fachlicher Unterstützung, eine Einschätzung treffen, ob eine Kooperation solche kartellrechtlichen Fragen aufwirft oder nicht. In Zweifelsfällen können auch die jeweiligen in der Regel zuständigen Landeskartell- behörden konsultiert werden. Wir prüfen mit der Fusionskontrolle aber nur echte und dauerhafte Zusammenschlüsse von Unternehmen. Das ist ein großer Unterschied. Das Bundeskartellamt hat seit 2003 über 300 Fusionsfälle von Krankenhäusern geprüft. In dieser Zeit haben wir in gerade einmal sieben Fällen ein Vorhaben untersagen müssen. Das ist eine Quote von rund zwei Prozent. Es ist also minichten so, dass das Wettbewerbsrecht immer im Wege steht.
Wie viele informelle Voranfragen haben Sie negativ bescheinigt?
Wie viele das genau waren, kann ich nicht sagen, wir behandeln diese Fälle auch auf Wunsch der Beteiligten ja vertraulich. Es gab auch Fälle, bei denen im Vorfeld Anfragen gestellt wurden, die wir in einer ersten Einschätzung skeptisch beurteilt haben und bei denen daraufhin eine Fusion abgesagt wurde. Aber: Im Rahmen einer Vorprüfung können wir wirklich immer nur eine erste Einschätzung abgeben. Mit dieser Praxis kommen wir dem Wunsch der Träger entgegen, frühzeitig einschätzen zu können, ob ein mögliches Verfahren beim Bundeskartellamt länger dauern und eventuell mit wettbewerblichen Bedenken behaftet sein könnte. Wir können uns relativ schnell auf der Basis der Patientendaten vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK), einen Überblick über die Marktanteile und die Patientenbewegungen in einer Region machen. Aber alle anderen Aspekte – das Thema Größe und Qualität oder weitere Punkte – können wir im Rahmen einer Vorprüfung noch gar nicht umfassend und mit der notwendigen Tiefe bewerten. Das wäre einem formellen Prüfverfahren vorbehalten. Wir erleben es auch gar nicht mal so selten, dass einer der beiden Partner nur halbherzig dabei ist und das Ergebnis der Voranfrage zum Vorwand nimmt auszusteigen.
Aber Sie schreiben auf Ihrer Website selbst, dass eine solche frühzeitige Vorprüfung in der Vergangenheit immer zu sehr verlässlichen Einschätzungen geführt habe, ob mit den geplanten Vorhaben wettbewerbsrechtliche Bedenken verbunden sind. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie im Hauptverfahren zu einer anderen Einschätzung kommen?
Das lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Es kommt auf den konkreten Einzelfall an.
Haben Sie eigentlich mit NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann gesprochen, bevor dieser seine Pläne für die Neuordnung der Krankenhauslandschaft veröffentlicht hat?
Wir sind jedenfalls mit dem Gesundheitsministerium NRW in der Umsetzung des Krankenhausstrukturfonds in engem Austausch. Aus unserer Sicht sind das auch gute Gespräche. Beide Seiten haben nach meiner Einschätzung das Bewusstsein, an ähnlichen Zielen mitzuwirken. Ich glaube auch, dass unsere Ziele und die der Krankenhausplaner gar nicht so weit auseinanderliegen. Was soll ein Planer denn planen, wenn es in einer Region nur noch ein einziges Krankenhaus gibt?
Die Autoren der Bertelsmann-Studie haben im Sommer eine radikale Reduzierung der Krankenhausstandorte vorgeschlagen. Wie bewerten Sie diese Ergebnisse?
Als Wettbewerbsrechtler würde ich mich nie auf eine Zahl festlegen. Das ist immer marktspezifisch. Im Bereich des Flugzeugbaus gibt es weltweit praktisch nur zwei Unternehmen, die den Markt beherrschen – und die sehr stark im Wettbewerb stehen. Die Zahl der Standorte allein ist wettbewerblich nicht von Bedeutung. Es kommt darauf an, ob in einer Region verschiedene Träger um die Patienten konkurrieren. Ob ein Krankenhausträger zu viele Standorte in einer Region betreibt und diese verringern sollte, ist keine kartellrechtliche Frage.
Wissenschaftler wie Professor Boris Augurzky haben vorgeschlagen, dass die Fusionsprüfung nicht anhand historische Daten der Inanspruchnahme einzelner Häuser geprüft werden sollte, sondern anhand der gesamten Auswahlmöglichkeiten der 30-Minuten-Erreichbarkeitsregelung, die beispielsweise auch der Gemeinsame Bundesausschuss zum Maßstab nimmt. Wäre das eine Überlegung wert?
Wenn es für die 30-Minuten-Regel belastbare Anhaltspunkte aus Patientensicht gibt, dann könnten wir das in unsere Überlegungen einzubeziehen. Wir stehen derzeit in Gesprächen mit dem Gesundheitsministerium NRW und versuchen, verschiedene Modelle zusammenzubekommen. Wir müssten allerdings prüfen, inwieweit das eine Größe ist, die den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Unserer Bewertung liegen immer neueste ökonomische Erkenntnisse zugrunde. Daher entwickeln wir unser Konzept auch ständig weiter. Und wir sind als Bundeskartellamt auch keine Einzelgänger. Schauen Sie in die USA, nach Großbritannien oder in die Niederlande: Überall wurden in den vergangenen Jahren regionale Krankenhauszusammenschlüsse untersagt.
Das Beispiel Dänemark mit seinen wenigen Superkliniken ist gerade sehr en vogue. Ein Albtraum für Sie als Wettbewerbshüter?
Es ist schwierig, dieses Beispiel mit Deutschland zu vergleichen. Die Monopolkommission fordert hierzulande ja sogar eine Verschärfung des Wettbewerbsrechts im Krankenhaussektor. Dem schließe ich mich ja gar nicht an. Mir ist bewusst, dass das ein komplexes Feld ist, weil wir hier kaum einen Preis-, sondern nur einen Qualitätswettbewerb haben. Und ja, es ist mitunter schwierig, allgemeines Wettbewerbsrecht und branchenspezifische Regulierung übereinanderzubringen. Aber das kann im Ergebnis ja auch nicht heißen, den Wettbewerb unterzupflügen. Jeder sollte sich fragen, was es bedeuten würde, wenn er in seiner erreichbaren Umgebung nur ein einziges Krankenhaus vorfinden würde und dem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert wäre. Ich bin mir ziemlich sicher, das würde niemand wollen.
Wie ist der Stand der Sektorenanalyse im Krankenhausbereich?
Die Untersuchung läuft noch. Ich denke, dass wir im kommenden Jahr Ergebnisse vorlegen können.