Nicht nur die Personalkosten der Pflege, sondern auch die der Ärzte sollten aus dem DRG-System ausgegliedert werden, fordert die neue 1. Vorsitzende des Marburger Bundes. Die Pläne von Jens Spahn für die ambulante Notfallversorgung kritisiert sie scharf.
Das Jahr 2020 hat in krankenhauspolitischer Hinsicht mit zwei Paukenschlägen begonnen. Zunächst teilte das Deutsche Krankenhaus-Institut (DKI) in seinem Krankenhausbarometer 2019 mit, dass 17.000 Pflegestellen in den Kliniken nicht besetzt sind und 76 Prozent der Krankenhäuser dringend Ärztinnen und Ärzte suchen. Dann veröffentlichte am 10. Januar das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) seinen Referentenentwurf zur Reform der Notfallversorgung und machte auch in der grafischen Darstellung seiner Internetseite deutlich, welche Zielrichtung das Gesetz haben soll: Krankenhäuser kommen dort in der gesamten Notfallversorgung nicht mehr vor. Schon jetzt ist klar: Die Reform der Notfallversorgung und die Personalsituation der Krankenhäuser werden uns weit über das Jahr 2020 hinaus beschäftigen.
Der Personalnotstand insbesondere in der Pflege ist nicht vom Himmel gefallen. Seit der Einführung des DRG-Systems sind die Krankenhäuser einem ruinösen Kostenwettbewerb ausgesetzt. Der betriebswirtschaftlichen Logik des DRG-Systems folgend wurden über viele Jahre Personaleinsparungen zur Kostenreduktion eingesetzt. Dieses Personal arbeitet nun längst in anderen Bereichen und Berufen und lässt sich nicht so einfach zurückgewinnen. Die Konsequenzen kann man tagtäglich in den Krankenhäusern besichtigen: Personalnot, Überlastung, Bettenschließungen.
Grundproblem wurde nur verlagert
Die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den DRG ist also richtig, aber nicht konsequent. Denn das Grundproblem ist damit nicht behoben, sondern wird nur verlagert. Wenn der Krankenhausträger keine Einsparungen mehr durch knappe Pflegestellen erreichen kann, wird der DRG-immanente Einsparfokus auf andere gerichtet. Der gleiche Mechanismus – unzureichend kalkulierte DRG und unzureichende Investitionen –, der zum Abbau von Pflegepersonal geführt hat, würde zukünftig die Personalpolitik gegenüber Ärzten und anderen patientennahen Berufen im Krankenhaus bestimmen. Deshalb muss nun auf den ersten Schritt der zweite folgen: Die ärztlichen und alle anderen patientennahen Personalkosten müssen aus den Fallpauschalen ausgegliedert werden. Dann wäre das DRG-System im Wesentlichen ein Sachkostenvergütungssystem.
Der Marburger Bund plädiert für ein kombiniertes Vergütungssystem aus krankenhausindividuellen Personalausgaben und Vorhaltekosten, flankiert durch eine vollständige Investitionskostenfinanzierung durch die Länder. Zusätzlich sollten die Sach- und Betriebskosten pauschaliert abgerechnet werden. Das neue System muss eine ausreichende Finanzierung und Planungssicherheit gewährleisten und auch Kosten für Aus- und Weiterbildung berücksichtigen.
Pflegeberuf attraktiver machen
Gleichzeitig müssen Besonderheiten der Versorgung im ländlichen Raum sowie vermehrte Kosten bei Maximalversorgern wie Universitätskliniken abgebildet werden. Wir brauchen ein krisenfestes System, das den Fokus weg vom marktwirtschaftlichen Wettbewerb hin zu einer werteorientierten Patientenversorgung ermöglicht. Nur dann wird das Versprechen, das Ärztinnen und Ärzte bei ihrem Berufsantritt geben, nach bestem Wissen und Gewissen, mit Würde und im Einklang mit guter medizinischer Praxis ihren Beruf auszuüben, dauerhaft erfüllt werden können.
Notfallversorgung mit Kliniken organisieren
Ein neues Finanzierungssystem und eine ausreichende Bereitstellung von Investitionsmitteln durch die Länder wird aber kurzfristig nicht allein den akuten Mangel an qualifizierten Pflegekräften beseitigen. Der Beruf muss insgesamt wieder attraktiver werden, dazu gehört auch eine bessere Vergütung der Pflege. Nur wenn dem Beruf wieder die Wertschätzung zuteil wird, die er verdient, werden sich junge Menschen in größerer Zahl für ihn begeistern können.
Für Ärzte und Pflegende gleichermaßen dringend notwendig ist eine Entbürokratisierung der Arbeit. Durch gesetzliche Vorgaben und eine ausgeprägte Misstrauenskultur der Krankenkassen ist ein regelrechter Moloch entstanden. Es ist schlichtweg ein Skandal, wie viel Arbeitskraft und Arbeitszeit mit unnötiger Datenerfassung und Dokumentation vergeudet wird. Aus der bundesweiten Mitgliederbefragung MB-Monitor 2019 des Marburger Bundes geht hervor, dass 25 Prozent der angestellten Ärztinnen und Ärzte drei Stunden und sogar 35 Prozent vier und mehr Stunden pro Tag mit Verwaltungsarbeit und Organisation befasst sind, die über ihre eigentliche ärztliche Tätigkeit hinausgeht. Der Zeitaufwand für Datenerfassung und Dokumentation hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Im Jahr 2013 gaben nur acht Prozent der vom Marburger Bund befragten Mitglieder an, mehr als drei Stunden pro Tag mit Verwaltungstätigkeiten befasst zu sein.
Eine Entlastung der Krankenhausärzte ist aber leider auch in der Notfallversorgung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Schon jetzt ist es so, dass Krankenhausärzte einen relevanten Teil der Notdienste des ärztlichen Bereitschaftsdienstes (ÄBD) übernehmen. In Zukunft sollen Patienten unter fachlicher Aufsicht der KVen an 24 Stunden, sieben Tage in der Woche die neuen Integrierten Notfallzentren (INZ) als erste Anlaufstelle für die Notfallversorgung aufsuchen können, verspricht das Bundesministerium für Gesundheit. Woher aber sollen die Ärzte kommen, die eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung sicherstellen? Warum sollten erfahrene Klinikfachärzte ein Interesse haben, unter der fachlichen Aufsicht der KV zu arbeiten? Viele Klinikärzte sind gar nicht abkömmlich, weil vielfach Stellen nicht besetzt sind. Was liegt in einer solchen Situation also näher, als in enger ärztlicher Kooperation und mit institutioneller Einbindung der Krankenhäuser die Notfallversorgung zu organisieren? Diesen Weg haben Marburger Bund und Kassenärztliche Bundesvereinigung bereits im September 2017 vorgeschlagen.
Die Zentrierung der Strukturen und Koordinierung der Behandlung im INZ ist richtig, das Konzept von wirtschaftlich und organisatorisch abgetrennten Einrichtungen an den Kliniken schafft aber neue Versorgungsstrukturen, ohne dass die Krankenhausärzte an der Ausgestaltung beteiligt werden. Integrierte Notfallzentren in dieser Form führen zu neuen Schnittstellen, statt diese abzubauen. Anstatt den vorhandenen positiven Ansätzen und Erfahrungen in der Notfallversorgung einen gesetzlichen Rahmen zu geben, droht jetzt eine mindestens dreijährige Phase des Sillstandes. Denn so lange wird es dauern, bis der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Struktur- und Personalvoraussetzungen für die INZ beschlossen hat und sich dann die regionalen KVen mit den jeweiligen Krankenhäusern auf Verträge geeinigt haben.
Der Bundesgesundheitsminister hat bei verschiedenen Gelegenheiten darauf hingewiesen, dass er mit seiner Politik auf Strukturveränderungen in der Krankenhauslandschaft hinwirken will. Mit dem Reformentwurf zur Notfallversorgung hat er deutlich gemacht, dass man ihn auch in diesem Punkt beim Wort nehmen muss. Der Entwurf ist darauf gerichtet, den lang gehegten Wunsch der Krankenkassen zu erfüllen, auf Planungs- und Standortentscheidungen der Länder Einfluss zu nehmen. Sowohl im G-BA als auch in den erweiterten Landesausschüssen sind die Vertreter der Krankenhäuser in der Minderheit und die Kassen zusammen mit den KVen in der Mehrheit. Weitreichende krankenhauspolitische Entscheidungen sollen demnach künftig von denjenigen bestimmt werden, die zum einen primär an Kostenreduktion interessiert sind und zum anderen primär das Interesse ihrer Mitglieder im Blick behalten müssen. Diese Konstruktion hat eine Schieflage – das werden selbst diejenigen zugestehen, die davon profitieren.
An die Stelle dieser kalten Strukturbereinigung muss eine vernünftige Strukturpolitik treten, die dem Gedanken einer gleichmäßigen und gut erreichbaren Versorgung folgt. Welche Versorgung wo gebraucht wird, liegt in der Planungskompetenz der Länder. Dort gehört sie auch hin. Wir brauchen eine aktive Krankenhausplanung unter Beteiligung der jeweiligen Landesärztekammer. Der Fokus muss auf einer versorgungs- und qualitätsorientierten Gestaltung liegen. Dazu werden wir als Marburger Bund eigene Vorstellungen ausarbeiten und klarmachen, dass dabei die Abschaffung der Finanzierung über das DRG-System essenziell ist.