Viele Menschen machen sich Sorgen um die Gesundheitsversorgung. Trotzdem spielten Ärztemangel, Krankenhaus- und Pflegeversorgung im Wahlkampf bis Mitte Januar kaum eine Rolle. Dann trat Wirtschaftsminister Robert Habeck auf den Plan. Seine Forderung, auch Kapitalerträge zur Finanzierung des Gesundheitswesens heranzuziehen, schlug hohe Wellen.
Unabhängig davon, wie man zu diesem Vorstoß steht und dass es ihm sowohl an soliden Berechnungen als auch an kommunikativem Geschick mangelte: Man muss Habeck dankbar sein. Denn er hat ein Thema auf die Tagesordnung gesetzt, vor dem sich die anderen Parteien bisher gedrückt haben: die Finanzierung des immer teurer werdenden Gesundheitswesens. Es war schon erstaunlich, wenn nicht gar erschütternd, wie leicht es der Politik zuletzt über die Lippen kam, steigende Sozialbeiträge zu verkünden. So hoch wie heute (41,9 Prozent) waren die Lohnnebenkosten zuletzt 2006 – getrieben vor allem von Gesundheit und Pflege. Steigende Sozialabgaben verteuern den Faktor Arbeit und mindern die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland. In Zeiten, in denen die einst magische 40-Prozent-Marke bei den Lohnnebenkosten hemmungslos gerissen wird, ist eine Debatte über die Finanzierung des Systems überfällig.
Was die Befürworter der Bürgerversicherung und aus Sicht vieler Branchenexperten auch Robert Habeck allerdings verkennen: Dem System fehlt es nicht nur an Geld, sondern vor allem an Effizienz. So warnt der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, dass Deutschland schon heute eines der teuersten Gesundheitssysteme in Europa habe, ohne die besten Ergebnisse zu erzielen. Sein Rat an den Bundeswirtschaftsminister: „Wir sollten weniger darüber nachdenken, wie wir den Versicherten noch mehr Geld abnehmen, sondern viel mehr darüber, wie wir diese Mittel klüger einsetzen können.“
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder hält die von Habeck angestoßene Diskussion für richtig, aber als Wahlkampfthema für ungeeignet (Seite 112). Er rechnet mit der Einsetzung einer weiteren Kommission nach der Wahl – und ermutigt die Parteien, das Gesundheits- ressort nicht als Problem-, sondern als Zukunftsministerium zu begreifen. Mit welchen Vorschlägen Parteien, DKG und GKV in den Wahlkampf ziehen, lesen Sie ab Seite 116. Was davon im Koalitionsvertrag landet, ist ungewiss. Klar ist aber, dass sich die Gesundheitspolitik auf einige neue Gesichter freuen darf. Denn viele erfahrene Fachpolitiker treten nach dieser Wahl ab (Seite 110). Viele in der Szene werden erleichtert sein, dass auch die Ära Lauterbach endet. Sie sollten sich nicht zu früh freuen. Denn der eigensinnige Minister hat bereits signalisiert, dass er gerne weitermachen würde. Die hohen Ausgaben sind ein Erbe, das Lauterbach hinterlässt – auch wenn er und seine politischen Verbündeten gerne auf seinen Vorgänger Jens Spahn verweisen. Wie die Bilanz des Reformministers insgesamt zu bewerten ist, analysiert Jens Mau (Seite 107).