Digitalstrategie

Selbst ist das Krankenhaus

  • Innovation
  • Technologie
  • 27.05.2022

f&w

Ausgabe 6/2022

Seite 580

Jared Sebhatu

Die Digitalisierung birgt für Krankenhäuser das Risiko, den Anschluss gegenüber alten und neuen Wettbewerbern zu verlieren, aber auch die Chance, die eigene Zukunftsfähigkeit zu verbessern. Jetzt gilt es, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Transformation zu schaffen. 

Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens nimmt immer weiter Fahrt auf. Staatliche Finanzierungsprogramme, vereinfachter Marktzugang und der fortlaufende technologische Fortschritt sorgen für eine anhaltende Dynamik. Immer mehr Anwendungsfelder entstehen und wetteifern um eine priorisierte Umsetzung. Um sie zu bewerten, lohnt sich der Blick in andere Branchen, die in der digitalen Transformation bereits weiter fortgeschritten sind.

Indem die Digitalisierung die Koordination erleichtert und den ortsunabhängigen Zugriff auf Informationen ermöglicht, laufen bereits vielerorts komplexe Arbeitsabläufe reibungsloser ab. Dies gilt nachgewiesenermaßen für Logistik und Administration, aber ebenfalls für die Organisation von Dienstleistungen. Auch im Gesundheitswesen hat eine Vielzahl von Projekten dieses Potenzial bereits aufgezeigt, beispielsweise im OP-Bereich, wo durch eine verbesserte Koordination administrativer und logistischer Prozesse und die digitale Steuerung dieser Abläufe die Produktivität relevant gesteigert werden kann.

Hoher Umsetzungsdruck

Nichtsdestotrotz hinkt Deutschland beim Digitalisierungsgrad der Krankenhäuser anderen Ländern hinterher – nicht nur weit entfernten Gesundheitssystemen wie in den USA oder Singapur, sondern auch unseren europäischen Nachbarn wie Frankreich oder den Niederlanden. Die Gründe hierfür sind vielfältig. In einer Umfrage unter deutschen Experten für digitale Gesundheit über die aktuellen Herausforderungen wurden neben der Finanzierung auch strikte Datenschutzforderungen, fehlende Interoperabilität, Kompetenz- und Ressourcenmangel, die Sektorengrenzen sowie fehlende Mitarbeiter- und Patientenakzeptanz genannt. Das zeigt, dass es ohne ein umfassendes Veränderungsmanagement nicht möglich sein wird, digitale Prozesse in der klinischen Praxis zu etablieren.

Der Gesetzgeber hat im Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) bis zu 4,3 Milliarden Euro für die Digitalisierung der Krankenhäuser zur Verfügung gestellt. Das heißt, dass wir in den kommenden Jahren eine Vielzahl an Digitalisierungsvorhaben beginnen werden – und zwar unter erheblichem Zeit- und Umsetzungsdruck. Die Finanzierung löst somit den Investitionsstau auf. Dennoch besteht die Gefahr, dass das Potenzial der Digitalisierung zur Verbesserung der klinischen Prozesse nur unzureichend genutzt wird. Es kommt nicht nur darauf an, diese Vorhaben fristgerecht umzusetzen. Für die Beteiligten muss sich aus ihrer Nutzung auch ein langfristiger Mehrwert ergeben.

Das zweite große Versprechen der Digitalisierung im Gesundheitswesen ist die Umsetzung von Versorgungsformen, die ohne den technologischen Fortschritt nicht möglich wären. Dies betrifft auf der einen Seite neue Diagnose- oder Therapieformen, beispielsweise mittels künstlicher Intelligenz oder mithilfe von Sensorik. Diese haben aufgrund hoher regulatorischer Hürden und komplizierter Geschäftsmodelle jedoch noch einen langen Weg vor sich. Auf der anderen Seite zeigen vielversprechende Erfahrungen anderer Gesundheitssysteme, dass die Digitalisierung auch innovative Versorgungsmodelle ermöglichen kann, die die Lebensqualität der zu behandelnden Personen positiv beeinflussen und gleichzeitig die Gesamtkosten reduzieren können. Der britische National Health Service (NHS) hat hierzu im Rahmen des Right-Care-Programms für ausgewählte chronische Krankheiten die aktuelle Versorgungssituation koordinierten Versorgungsmodellen gegenübergestellt – mit dem Ergebnis, dass die koordinierten Versorgungsmodelle hinsichtlich Qualität und Kosten signifikant besser abschneiden.

Neue Konkurrenten

Auch in Deutschland kommt zusehends Bewegung in die Thematik: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ermöglicht seit Beginn dieses Jahres die telemedizinische Betreuung von Betroffenen mit Herzinsuffizienz, und auch die im Koalitionsvertrag angekündigten Gesundheitsregionen entwickeln sich möglicherweise in eine solche Richtung. Langfristig besteht jedoch das Risiko, dass bei der Umsetzung solcher Versorgungsmodelle etablierte Strukturen in einen Wettbewerb mit patientenorientierten Plattformen kommen, die die Leistungen koordinieren oder gegebenenfalls sogar selbst erbringen können.

Wie bereits in einigen anderen Branchen zu beobachten, könnten Leistungserbringer somit teilweise zu Zulieferern von (medizinischen) Leistungen werden – eine Rolle, die im Widerspruch zum Selbstbild der aktuellen Versorgungslandschaft steht. Daher wird es für Krankenhäuser immer wichtiger, digitale Möglichkeiten in der Koordination der Behandlung frühzeitig zu nutzen. Frühzeitige Erfahrungen in perspektivisch relevanten Kompetenzbereichen wie beispielsweise patientenorientierter Qualitätsmessung, dem Aufbau und Management telemedizinischer Strukturen, der Nutzung von Daten in der intersektoralen Entscheidungsfindung und der Förderung der Beteiligung von Patienten im Behandlungsverlauf können Krankenhäusern helfen, in den kommenden Jahren die eigene Rolle im Rahmen der digitalen Transformation des Gesundheitswesens aktiv zu gestalten.

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