Der flächendeckende Einsatz von Telemedizin werde die Qualität der Gesundheitsversorgung neu definieren und vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen sichern, sagen unsere Autoren. Lange Anfahrtswege und Wartezeiten fallen weg, Daten und Informationen werden dank telemedizinischer Anwendungen schneller ausgetauscht.
Die Telemedizin ist seit der Pandemie stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Aufgrund der damaligen Hygieneregeln und Kontaktbeschränkungen in Krankenhäusern kamen bei chronischen Krankheiten immer häufiger auch telemedizinische Diagnostik, Therapie und Rehabilitation via Internet und Smartphone zum Einsatz. Spezialwissen der an der Versorgung Beteiligten kann untereinander geteilt werden, um so eine bessere und effektivere Behandlung zu ermöglichen. Besonders bei komplexen Krankheitsbildern ist dieser Austausch wichtig, denn oft sind die Diagnosen verschiedener Fachärzte nötig, um Patienten individuelle Versorgung zu bieten, unabhängig vom Standort.
Die Anwendungen der Telemedizin sind vielfältig und schon heute in vielen Bereichen der ärztlichen Behandlung und Pflege möglich:
- Telepathologie: Interpretation und Befundung von fernübertragenen digitalisierten histologischen Schnitten oder Gewebeproben
- Teleradiologie: Digitale Übertragung und Befundung von radiologischen Bildern
- Telekardiologie: Übertragung und Überwachung (Telemonitoring) von kardiologischen Devices und Implantaten
- Teleintensiv: Intensivmedizinische Telekonsultation
- Telechirurgie: Unterstützung bei einem Eingriff durch Fachärzte per Telekonsil oder bei roboterassistierten Eingriffen
- Telerehabilitation: Nachsorge erfolgt zu Hause beim Patienten
- Telepsychiatrie: Therapie via Video-Online-Konferenz oder Smartphone-Anwendungen
- Teledermatologie: Diagnostik von Hauterkrankungen per Video oder Foto
- Teleneurologie: Fernuntersuchung und Befundung per Videokonferenz und digitaler Übertragung zerebraler Schnittbilder
- Telediabetologie: Überwachung und Management von relevanten Gesundheitsparametern mittels Sensorik
- Smart Homecare: Fernüberwachung und -diagnose über digitale Verbindungen in ein Telemonitoringzentrum zur Gesundheitsversorgung in der Fläche
Besonders chronischen Patienten bietet die Telemedizin viele Chancen. Die Sana Kliniken AG hat im September 2022 das erste Telemonitoringzentrum (TMZ) für Herzinsuffizienz am Sana Gesundheitszentrum Berlin-Brandenburg eröffnet. Um herauszufinden, welche Möglichkeiten Telemedizin chronisch kranken Patienten bieten kann, wurden folgende Indikatoren definiert und Hypothesen zu deren Beeinflussung durch die Telemedizin aufgestellt:
- Senkung kritischer Messwerte, zum Beispiel systolischer/diastolischer Blutdruck
- Reduktion der Mortalität
- Verringerung der Zahl der Krankenhausaufenthalte
- Einsparung von Behandlungskosten
- Erhöhung der Patientencompliance, zum Beispiel bei der Arzneimitteladhärenz
- Hohe Patientenakzeptanz
- Niederschwellige und ortsunabhängige Erreichbarkeit der Versorgung
Anschließend wurden diese Indikatoren mit empirischen Erfahrungen aus dem TMZ verglichen.
Klare Rollenverteilungen
An der Versorgung sind neben dem Patienten der primär behandelnde Arzt und das Sana TMZ beteiligt. Die Daten werden in einer Patientenmanagement-Plattform erfasst, überwacht und für die Behandlung genutzt. Diese Plattform ist nach den Regeln der europäischen Medizinprodukte-Verordnung zertifiziert und von der Kassenärztlichen Vereinigung zugelassen. Die Kriterien für eine Teilnahme der Patienten sind in der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses vorgegeben. Es handelt sich um Patienten, die entweder ein Implantat tragen oder innerhalb des letzten Jahres wegen dekompensierter Herzinsuffizienz stationär behandelt wurden. Bei Letzterer sind alle Fähigkeiten des Körpers, die Herzschwäche auszugleichen, erschöpft. Die Leistung des Herzens reicht nicht mehr aus, um genügend Blut aufzunehmen und in den Körper zu pumpen. Ein weiteres Kriterium für die Teilnahme ist eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion von kleiner 40 Prozent. Sie beschreibt, wie viel Blut die linke Herzkammer bei einem Herzschlag verlässt, bei diesem Kriterium also weniger als 40 Prozent.
Der Patient erhält neben dem Implantat verschiedene Geräte und Sensoren sowie ein Tablet zur Erfassung der Daten. Er kann somit eigenständig tägliche Messungen tätigen, die über einen LTE-Hub an die Plattform übertragen werden. So werden unter anderem Blutdruck, Elektrokardiogramm, Gewicht und das allgemeine Befinden erhoben. Bei definierten Abweichungen der Messwerte von der Norm wird im Sana TMZ eine Warnmeldung ausgelöst, die innerhalb von 24 Stunden gesichtet werden muss. Unter der Woche wird der behandelnde Arzt informiert, am Wochenende oder bei Nichterreichbarkeit des Arztes nimmt das Sana TMZ direkt Kontakt zum Patienten auf.
Wichtig ist in der grundsätzlichen Rollenaufteilung zwischen dem behandelnden Arzt und dem Sana TMZ, dass der Arzt für die leitliniengerechte Versorgung verantwortlich ist und für die aus dem Telemonitoring resultierenden Maßnahmen. Das TMZ ist primär als Dienstleister des Arztes für das Telemonitoring zu verstehen und nur sekundär, zum Beispiel bei Nichterreichbarkeit oder Abwesenheit des Arztes, in die Behandlung eingebunden. Das Zentrum muss jedoch hohe inhalt- liche Anforderungen entsprechend der Qualitätssicherungsvereinbarungen zu Rhythmusimplantat-Kontrollen und zum Telemonitoring bei Herzinsuffizienz erfüllen und nachweisen.
Kosten und Nutzen
Daneben konnte der Nutzen von Telemedizin bei vielen weiteren chronischen Erkrankungen außerhalb der Herzmedizin bestätigt werden, unter anderem für Diabetes, rheumatoide Arthritis und chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD). Interessant sind die Verbesserungen durch digitale Medizin bei der Einhaltung des Medikationsschemas, wie die Dosis des Arzneimittels oder die Behandlungsdauer. Gerade bei chronischen Erkrankungen gibt es in der Versorgungsrealität chronischer Erkrankungen bei der Einhaltung oft große Probleme.
Besonders durch die Vermeidung stationärer Aufenthalte können telemedizinische Verfahren im Vergleich zur isolierten konventionellen Therapie Kosten einsparen. Für Telemonitoringpatienten bei Herzinsuffizienz konnten Kosteneffekte im Umfang von zehn Prozent pro Patientenjahr in Deutschland nachgewiesen werden, 35 Prozent in Dänemark und bis zu 66 Prozent in Italien.
Die hohe Akzeptanz der Telemedizin bei Patienten konnte für verschiedene chronische Krankheitsbilder nachgewiesen werden, beispielsweise bei Herzinsuffizienz, COPD oder Schmerz. Aus Patientensicht stehen dabei neben der Teilhabe die vereinfachte Erreichbarkeit der Versorgung und die Sicherheit einer Überwachung im Vordergrund, beispielsweise bei Krebspatienten.
Auf Bedarfe abgestimmt
Für die Versorgungspfade chronisch kranker Patienten, die häufig hospitalisiert werden und einen hohen Medikamentenverbrauch haben, sind Telemonitoringansätze, kombiniert mit Telekonsultationen, ideal. Sie können über ein TMZ realisiert werden. Aufgrund der sehr guten Studiendaten zur Verbesserung des Outcomes und zur Reduktion der Kosten wurde in Deutschland ein Rechts- und Finanzierungsrahmen für das Monitoring der Herzinsuffizienz geschaffen, der seit 1. April 2022 gilt.
Die wichtigsten Meilensteine des Sana TMZ:
- Suche nach dem TMZ-Arzt und der Pflegefachkraft für Herzinsuffizienz,
- Auswahl eines technischen Dienstleisters,
- Realisierung der IT-Schnittstellen,
- Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung Berlin,
- Zusammenstellung der Informationsmaterialien und
- Ansprache der primär behandelnden Ärzte und der Patienten.
Diese Schritte deckten gleichzeitig die wichtigsten bekannten Erfolgsfaktoren einer Implementierung von telemedizinischen Lösungen bei chronischen Erkrankungen ab. Aufgrund der bisher kurzen Betriebszeit war zum Redaktionsschluss keine Beurteilung der Patientendaten im Verlauf möglich. Erste Patienten- und Mitarbeiterrückmeldungen sind positiv. Der Business Case geht von moderat positiven Betriebsergebnissen in der Zukunft aus.
Die Recherche und die Erfahrungen im Sana TMZ zur Herzinsuffizienz ergeben große Chancen für die Versorgung weiterer chronischer Krankheiten durch Telemedizin, beispielsweise für die Versorgung von Diabetes und COPD. Jedoch müssen für eine erfolgreiche regulatorische Umsetzung der Nutzen und die Kosten intensiver eva- luiert und nachgewiesen werden, da die Datenbasis noch sehr heterogen ist. Ebenso sollten die Daten aus den Telemonitoringzentren für Herzinsuffizienz noch gesundheitsökonomisch evaluiert werden, bevor das Modell für andere Krankheiten angewandt wird.
Handlungsdruck steigt
Hierfür bleibt nicht mehr viel Zeit. Der Handlungsdruck auf die Versorgung weiterer chronischer Krankheiten durch Telemedizin steigt aufgrund von drei wesentlichen Faktoren: Zum einen wird der demografische Wandel zu einer deutlichen Zunahme chronischer Erkrankungen führen. Der steigenden Behandlungslast steht zum Zweiten der Mangel an Fachkräften gegenüber. In Brandenburg sind mit einer Ausnahme alle 46 Mittelbereiche der Kassenärztlichen Vereinigung für Zulassungen von Hausärzten offen, aber es fehlen Hausärzte. Der dritte Faktor ist der technologische Wandel mit den disruptiven Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI) in Richtung datenbasierter, personalisierter Präzisionsmedizin. Nur durch ihn wird die steigende Behandlungslast bei gleichzeitigem Fachkräftemangel bewältigt werden können.
Die Telemedizin birgt große Vorteile: eine bessere Versorgung in strukturschwachen Regionen, eine engmaschige Rund-um-die-Uhr-Versorgung von gefährdeten Patientengruppen, eine inter- und intrasektorale Vernetzung und eine auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte Versorgung mithilfe von KI-gestützten Daten. Risikofaktoren können schneller erkannt, die Forschung kann verbessert werden. Zudem eröffnet die Telemedizin neue Geschäftsfelder für Leistungserbringer und wird in Zukunft eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Und: Telemedizinzentren werden schon bald wichtige Versorgungsanker für chronisch Erkrankte werden und Versorgungslücken in strukturschwachen Regionen der Flächenländer schließen.