„Mehr Fortschritt wagen“ – so lautete das Ziel der Bundesregierung im Koalitionsvertrag 2021 und: „Wir wollen einen Aufbruch in eine moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik… und eine auf lange Sicht stabile Finanzierung des Gesundheitswesens und der Pflege.“
Leider wohl auf sehr lange Sicht. Mehr als die Hälfte der Legislaturperiode ist nun schon rum – und das Ergebnis eher dürftig. Die zentrale Aufgabe im Gesundheitswesen, die Krankenhausreform, ist nach wie vor nicht gelöst. Auch die dringende Frage der kurz- bis mittelfristigen Finanzierung der Kliniken – ungelöst. Stattdessen wird die Lage immer prekärer. In diesem Jahr erwartet das Gesundheitsministerium mehr als 100 Klinikinsolvenzen. Das Risiko weiterer steigt stetig.
Insbesondere, wenn ab April der Prognosezeitraum für die Liquidität von Kliniken wieder auf zwölf Monate angehoben wird und sich bei vielen Häusern die nächste Tranche aus dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes niederschlägt. Bisher musste der Staat schon Insolvenzausfallgeld von über 500 Millionen Euro bereitstellen; vermutlich wird der Betrag dieses Jahr die Milliardengrenze überschreiten.
Was ist, wenn über die Hälfte der Kliniken den Insolvenzweg beschreiten müssen? Dann wird ein Scheck in Höhe zweistelliger Milliardenbeträge fällig.
Das politische Zeitfenster für dringend notwendige Veränderungen im Gesundheitswesen, es wird immer enger. Der Druck steigt. Wichtig wäre bei der postulierten revolutionären Klinikreform eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und denen, die die Umsetzung vor Ort zu leisten haben. Stattdessen: Alleingänge, monatelanges Taktieren, Missachtung, öffentliches Framing. Die Ankündigung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, die Krankenhausreform – oder was davon übrig bleiben mag – nunmehr so zu gestalten, dass sie im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist, verstimmt die Gemüter erneut und kostet weiteres Vertrauen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass das nächste Heizungsgesetz auf den Weg gebracht wird. Und wie lange hätte dann eine solche „Reform“ Bestand? Muss sich wieder erst Karlsruhe einschalten, um auf den verfassungsrechtlichen Rahmen hinzuweisen?
Festhalten an Bewährtem
Höchste Zeit für ein neues Denken. Evolution statt Revolution lautet die Maxime. Nicht alles neu erfinden, sondern Bewährtes weiterentwickeln. Warum lösen wir die ressourcenbindenden Sektorengrenzen nicht sukzessive auf und begegnen damit sowohl dem demografischen Trend einerseits als auch den bevorzugten Arbeitsmodellen der nachwachsenden Generationen andererseits?
Statt neue Bürokratiemonster mit Vorhaltepauschalen zu erschaffen, die ihre Steuerungswirkung verfehlen, sollten wir die vorhandenen Instrumente nutzen, um bedarfsnotwendige Versorgung auf dem Land sicherzustellen. Und warum nicht von anderen Branchen lernen? Wenn die Politik propagiert, es sei kein Geld für Transformation und Investitionen vorhanden, dann ist Zeit, andere Wege einzuschlagen. Zum Beispiel über ein Anreizsystem, bei dem privates Kapital in die Gesundheitsinfrastruktur investiert werden kann, um im Gegenzug eine vom Regulator festgelegte jährliche Rendite zu erhalten. So wird es heute bereits beim Ausbau der Stromnetze praktiziert.
Die Ampelregierung hat noch anderthalb Jahre Zeit, nicht nur mehr zu wagen, sondern schlichtweg Fortschritte zu machen. Ansonsten wären es vier verlorene Jahre im Gesundheitswesen – die können wir uns einfach nicht leisten!