Simone Borchardt möchte die Ambulantisierung im Gesundheitswesen vorantreiben. Sie hält DRG-Kürzungen für einen sinnvollen Anreiz und setzt sich für mehr Interaktionsmöglichkeiten in der elektronischen Patientenakte ein.
Frau Borchardt, Sie betonen, dass mehr Leistungen ambulant erbracht werden müssen. Mit welchen Anreizen lässt sich die Ambulantisierung zielführend voranbringen?
Die Ambulantisierung ist kein Selbstzweck – sie muss medizinisch sinnvoll, ökonomisch tragfähig und qualitativ hochwertig sein. Ein konkreter Ansatz wäre, dass der Arzt im Krankenhaus entscheidet, ob eine Leistung ambulant oder stationär erbracht wird. Wird sie ambulant durchgeführt, könnte die entsprechende DRG beispielsweise um 10 Prozent gekürzt werden. Das schafft einen doppelten Anreiz: Krankenhäuser sparen Kosten – etwa durch den Wegfall nächtlicher Pflege – und die Krankenkassen entlasten ihr Budget um 10 Prozent bei gleichbleibend guter Qualität. Solche intelligenten Steuerungsmodelle schaffen nicht nur Effizienz, sondern stärken auch das Prinzip: ambulant vor stationär – dort, wo es medizinisch möglich ist.
Welche Rolle haben die Krankenhäuser zukünftig in der ambulanten Versorgung – wo sollen sie sich weiterentwickeln?
Sie werden künftig stärker als Partner in der ambulanten Versorgung gefragt sein – insbesondere zur Sicherstellung schneller Facharzttermine. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag klar formuliert: Wenn die Kassenärztliche Vereinigung einen Termin nicht vermitteln kann, wird der Zugang zur fachärztlichen Versorgung im Krankenhaus ambulant ermöglicht. Genau hier sehe ich Entwicklungspotenzial. Es geht nicht um Verdrängung, sondern um Ergänzung – vor allem in strukturschwachen Regionen oder bei dringlichen Indikationen. Krankenhäuser müssen hierfür jedoch organisatorisch und personell gerüstet sein.
Welche digitalen Lösungen halten Sie für besonders geeignet, um die sektorenübergreifende Versorgung zu verbessern?
Digitalisierung muss konkret wirken. Besonders vielversprechend ist der bundesweite Medikationsplan, der helfen kann, Wechselwirkungen und Kontraindikationen frühzeitig zu erkennen und somit Patientensicherheit erhöht. Zusätzlich muss die elektronische Patientenakte (ePA) endlich weiterentwickelt werden – hin zu einem dynamischen, cloudbasierten System mit echten Interaktionsmöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte aller Sektoren. Nur wenn Hausärzte, Kliniken, Apotheken und Pflegeeinrichtungen in Echtzeit auf relevante Gesundheitsdaten zugreifen können, schaffen wir sektorenübergreifende Versorgung.
Viele Klinikleitungen beklagen eine zunehmende Bürokratisierung durch neue Vorgaben. Welche konkreten Entlastungen schlagen Sie vor, um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren?
Ich höre in vielen Gesprächen mit Klinikleitungen dasselbe: Der Frust über zunehmende Bürokratie wächst. Aktuell steht fest: Der sogenannte Klinikatlas erreicht sie Ziele nicht. Er bringt keinen Mehrwert für die Patientenversorgung, erzeugt aber erheblichen Erhebungs- und Verwaltungsaufwand. Außerdem setzen wir uns dafür ein, starre Quoten bei Pflegepersonal durch intelligente, praxisnahe Personalbemessung zu ersetzen – denn nicht jede Station, nicht jede Fachrichtung hat genügend Fachkraftaufgaben, sodass Fachkräfte häufig auch über einfache Tätigkeiten ausgelastet werden. Was wir brauchen, ist mehr Vertrauen in die Kompetenz der Häuser vor Ort – und weniger Misstrauensverwaltung von oben.
Wollen Sie den Klinikatlas von Gesundheitsminister Lauterbach ersatzlos entfallen?
Gute Versorgung lässt sich nicht allein durch Tabellen oder Rankings abbilden. Qualität kann man nicht herbeiprüfen. Natürlich brauchen wir Transparenz und Vergleichbarkeit – aber bitte mit Maß und Ziel. Statt fragwürdiger Qualitätsraster aus dem Ministerium setzen wir auf echte Qualitätsentwicklung vor Ort, etwa durch Fachgesellschaften, sektorenübergreifende Register oder gelebte Peer Reviews. Grundsätzlich müssen wir uns stärker an der Ergebnisqualität orientieren. Der Klinikatlas hingegen ist Symbol einer misstrauischen Überregulierung. Deshalb: Ja, er kann ersatzlos entfallen. Wir haben bereits mit dem deutschen Krankenhausverzeichnis eine fachlich sauber aufgearbeitete Informationsquelle, die den Bürgerinnen und Bürger vollumfänglich informiert und vor allem nicht in die Irre führt.