Kooperieren und Teilen im Gesundheitswesen

Google & Apple klopfen schon an

  • GesundheitsWirtschaft
  • Titel: Politik
  • 01.03.2016

Gesundheits Wirtschaft

Ausgabe 3/2016

Neue Geschäftsfelder des Kooperierens, Teilens und Tauschens werden das Gesundheitswesen in den kommenden Jahren stark verändern, prognostiziert Professor Björn Maier. Ein Blick über den großen Teich lässt das Potenzial von Sharing-Economy-Konzepten erahnen.

Herr Professor Maier, wir erleben seit einigen Jahren in vielen Wirtschaftszweigen einen großen Hype um die Sharing Economy. Wie viel wirkliches Potenzial birgt das kommerzielle Teilen von Gütern und Dienstleistungen für die Gesundheitswirtschaft?

Die Sharing Economy hat in vielen Bereichen längst den Massenmarkt erreicht. Ich denke, wir sind momentan mittendrin in der Diskussion darüber, wie sie auch unsere Gesundheitswirtschaft verändern kann und welche Ansätze tragfähig sind. Wir sehen, dass die Entwicklungen beispielsweise in den USA schon weiter sind. Doch auch in Deutschland ist einiges in Bewegung, und ich bin fest davon überzeugt, dass Sharing-Konzepte unseren Gesundheitsmarkt bis ins Jahr 2030 stark verändern werden.

Mit welchen Folgen? Werden bewährte Strukturen aufgeweicht und einige Akteure gar verdrängt? Müssen Kliniken auf komplett neue Geschäftsmodelle umstellen?

Zumindest wird die Konkurrenz aus anderen Bereichen wachsen: Neue Geschäftsmodelle sind eng mit der fortschreitenden Digitalisierung verknüpft. Einerseits können Krankenhäuser da oft nicht so mitziehen, weil ihnen durch die – oft beklagte – nicht ausreichende Investitionsfinanzierung der Länder die Mittel fehlen. Andererseits merken Kliniken momentan, dass sie eingeholt werden, wenn große Strukturen wie Google oder Apple in den Healthcare-Markt eindringen. Sie sehen die Bedrohung, sind aber zögerlich, was Partnerschaften mit Unternehmen angeht. Sie fürchten die Umarmungsstrategie eines großen IT-Konzerns. Wenn wir uns in Deutschland die Pläne für eine Versorgung in der Fläche, in ländlichen Regionen, anschauen, dann werden diese vermutlich in Zukunft nicht greifen. Da braucht es neue Ideen und Geschäftsmodelle, die auf Sharing, dem gemeinsamen Nutzen von Ressourcen, aufbauen. Die Veränderungen werden sicher kommen; welche Akteure dann den Markt bestimmen werden, kann ich noch nicht einschätzen.

Wie können Krankenhäuser da ihre Position stärken?

Ich denke, Kooperationen zwischen stationärem und ambulantem Sektor, Verbundbildungen, Ärztenetze und telemedizinische Projekte sind erste Schritte in die richtige Richtung. Erst wenn ein eigenes Geschäftsmodell daraus entsteht, sprechen wir jedoch von Sharing Economy. Für Krankenhäuser geht es jetzt darum, die eigene Position im Gesundheitsmarkt einer gesamten Region zu sichern, Versorgung aus einer Hand anzubieten. Größeren privaten Klinikketten wird es vermutlich leichter fallen, den Sharing-Gedanken umzusetzen und beispielsweise in bestimmten Großräumen (zuBeispiel in Berlin) stärker in den ambulanten, aber auch den Reha-Sektor einzusteigen. Und wir haben das aktuelle Beispiel der Rhön-Klinikum AG, die mit IBM bei der Optimierung der Patientenbehandlung zusammenarbeiten wird. Ziel der Kooperation ist es, künftig bereits in der vorklinischen Phase eine datengestützte, versorgungsgerechte Patientennavigation in den ambulanten oder stationären Bereich sicherzustellen. Dadurch sollen zeit- und kostspielige Fehlzuweisungen vermieden werden. Zudem dient die Nutzbarmachung von Patientendaten dazu, weitergehende Behandlungsempfehlungen zu unterstützen. In der ersten Phase soll das „Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen" am Universitätsklinikum Marburg von einem kognitiven Assistenzsystem bei der arbeitsintensiven Bearbeitung dieser Fälle unterstützt werden. Auch Universitätskliniken mit ihrer besonderen Kompetenz werden gern gesehene Kooperationspartner für Konzerne sein. Letztlich geht es vor allem darum, die Qualität der Versorgung zu verbessern. Mit guter Qualität kann man sicherlich am meisten punkten.

Nun gestaltet sich die Debatte um das Festlegen geeigneter Qualitätsindikatoren für Krankenhäuser schon schwierig. Wie soll man sich das Finden von Qualitätsstandards für ein deutlich weiter gefasstes Angebot vorstellen, wie zum Beispiel die Vermittlung von Personal übers Internet? In den USA kann man sich zum Beispiel per App einen Doktor nach Hause ordern, anstatt den niedergelassenen Hausarzt aufzusuchen.

Tatsächlich sind es die niedrigschwelligen Zugänge übers Internet und Smartphones, die die Benutzung von Sharing-Systemen leicht machen. Doch in Deutschland sind wir noch nicht so weit. Dafür braucht es tatsächlich zunächst das Festlegen von Qualitätsstandards. Es geht um Fragen wie das rechtliche Schützen von Berufsbildern und Berufsplattformen. Mit der Sharing Economy generell sind noch viele offene Fragen verknüpft, im Gesundheitswesen noch mehr als in anderen Bereichen. Es ist schließlich ein großer Unterschied, ob ich, wie bei AirBnB, anderen Menschen vorübergehend meine Wohnung zur Verfügung stelle oder ob ich ihnen medizinische und pflegerische Hilfe oder medizinische Geräte anbiete. Hier geht es um Vertrauen und Verlässlichkeit – mit diesem Pfund können die bewährten Akteure der Branche wuchern. Ein anderes Thema ist die Vergütung: Bis vor Kurzem waren medizinische Leistungen aus dem Netz bei uns nicht abrechenbar. Seit dem 1. April wurden aber erste kardiologische Angebote in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgenommen. Das könnte ein Einstieg in Geschäftsmodelle wie das der Hausarzt-App in den USA werden. Ansonsten laufen zusätzliche Gesundheitsleistungen bei uns bislang fast nur über den zweiten Gesundheitsmarkt, also über Selbstzahlung der Patienten. Nehmen Sie das Beispiel der Gesundheitsarmbänder: Natürlich sammeln da die großen Konzerne schon Daten und Vitalparameter in Mengen. Sie hätten damit schon die Möglichkeit, den nächsten Schritt zu gehen und Gesundheitsversorgung anzubieten.

Bleibt die Frage des Datenschutzes, der Sicherheit.

Ja, dass es da viele unsichere Bereiche gibt, erleben wir bei unseren Hochschulexkursionen in die USA: Wer dort zum Beispiel bei Kaiser Permanente – Krankenversicherung, Klinikbetreiber, Ärzteorganisation und Apothekenkette in einem – versichert ist, hat im Internet Bilder von Hausärzten, die rund um die Uhr erreichbar sind und denen man jederzeit seine gesundheitlichen Probleme schildern kann. Das Ganze wird im Rahmen der im Versicherungsvertrag festgelegten Konditionen abgerechnet. Ein Teil unserer Studenten befürwortet diesen unkomplizierten Zugang zu medizinischem Rat. Der andere Teil kritisiert die mangelnde Sicherheit der Daten, die schlecht verschlüsselten Privatinfos. Sie verweisen auf die bewährte direkte Ansprache, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Beide Seiten haben sicher in gewisser Weise recht. Bei uns haben wir gute Ansätze im telemedizinischen Bereich, es fehlen jedoch standardisierte Verfahren. Insgesamt ist es in staatlich-steuerfinanzierten Gesundheitssystemen tendenziell leichter, Shared Services zu integrieren. Zum Beispiel ist man in Kanada gerade dabei, die Datenhaltung für alle Healthcare-Provider zu vereinheitlichen. Alle Anbieter sollen auf einen Datenpool, eine Cloud, zugreifen können. Diese Entwicklungen kommen bei uns in vielen Punkten zögerlicher.

Wo gibt es im Ausland weitere Sharing-Modelle, die auch für unser Gesundheitssystem interessant werden könnten?

Im angelsächsischen Raum ist das vor allem die Shared Economy im Business-to-Business-Bereich. Das heißt: Unternehmen gestalten gemeinsam Prozesse im Gesundheitswesen, sie dehnen ihre Wirtschaftskette im Rahmen des Supply Chain Management bis hin zum Kunden auf alle Bereiche aus, woraus neue Wertschöpfungsketten entstehen. Und sie übernehmen Aufgaben des Patientenmanagements bis hin zur Abrechnung. Oder beim Personalwesen, im Angebot von Personaldienstleistungen, der Abwicklung und Abrechnung. Solche Partnerschaften mit der Industrie, wo man beispielsweise einen ganzen Park an medizinischen Geräten kooperativ finanziert und nutzt, gibt es in Deutschland noch nicht. Auch hier würde natürlich die Qualitätssicherung der gesharten Anlagen eine große Rolle spielen. Auch Partnerschaften mit Unternehmen, die zum Beispiel komplette radiologische Einrichtungen betreiben, gibt es hier noch nicht. An der Ostküste der USA haben sich aber beispielsweise mehrere Ärzte, Versicherungen und Großgerätehersteller zusammengeschlossen, um in einem radiologischen Zentrum Leistungen für Patienten anzubieten. Für diesen Ansatz gibt es aber in Deutschland wahrscheinlich auch noch zu hohe regulative Hürden.

An welchen Stellschrauben müsste von politischer Seite gedreht werden, wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?

Eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung kann dauerhaft sicherlich nur finanziert und zur Verfügung gestellt werden, wenn die entsprechenden Möglichkeiten der digitalen Revolution genutzt werden. Das bedeutet, es müssten Investitionen in diesem Bereich gesondert gefördert und es müsste dabei natürlich auch das Thema Datensicherheit bedacht werden. Nur wenn es gelingt, technische Lösungen zu entwickeln und Ängste abzubauen, können die angebotenen Lösungen hilf- und erfolgreich sein.

Was würden Sie sagen: Ist Sharing Economy, das Wirtschaften durch geteilte Ressourcen und Leistungen, auf die eher konsummüden Gesellschaften in Europa und den USA begrenzt?

Na, so sicher bin ich mir nicht, was die Konsummüdigkeit der Gesellschaft angeht, aber ich glaube, über die Industrienationen hinaus gibt es gerade für Gesundheitsleistungen eine große Nachfrage nach Sharing-Konzepten. Das liegt mit Sicherheit auch an den besonderen Eigenschaften des Gutes Gesundheit.

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