Innovative Pflegekonzepte für Morgen

Führung in der Pflege: Weniger Hierarchie, mehr Freiraum

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Führung in der Pflege: Weniger Hierarchie, mehr Freiraum
© Getty Images/Hispanolistic

Eine zukunftsorientierte Pflege braucht neue Führungs- und Organisationsstrukturen, um sich aus sich heraus eigenständig entwickeln zu können. Kompetenzen und Methoden, die aus dem eigenen Selbstverständnis erwachsen, helfen, heutigen und künftigen Herausforderungen zu begegnen.

Führung in der Pflege müsse neu gedacht werden, sagte die Vorsitzende des Bundesverbands Pflegemanagement und Referentin der Medizinischen und Pflegerischen Direktion der Knappschaft Kliniken, Sarah Lukuc, auf dem DRG|Forum 2024. So sei zu überlegen, wie sich die Pflege strategisch aufstellen könne, um Prozesse zu optimieren und Projekte zu implementieren. Denn vielfach werde in den „oberen Ebenen“ gedacht und „unten“ werde gemacht. Diese veralteten Strukturen gelte es aufzubrechen. Denn bei all diesen Überlegungen werde oft vergessen, die Mitarbeitenden zu fragen, ob sie die Vorgaben von „oben“ überhaupt wollten. Nachhaltige Personalentwicklung und Teamentwicklung kämen so oft zu kurz.

„Mit dieser hierarchischen Gliederung kommen wir künftig nicht mehr weiter. Wir müssen alle Mitarbeiter in die Entscheidungsprozesse einbinden, um zukunftsorientiert gestalten zu können“, sagte Lukuc.

Wichtig sei, Mitarbeitenden Aufgaben zu übertragen und sie an der Entwicklung teilhaben lassen. Das sei ein bedeutender Motivationsfaktor, um Führung neu aufzustellen. Moderne Führungskräfte sollten die Mitarbeitenden individuell fördern und diese auch Verantwortung übernehmen lassen. Das bedinge natürlich einen Haltungswechsel seitens der Führungskräfte, die erst lernen müssten, Verantwortung abzugeben. Umgekehrt seien die Mitarbeitenden zu motivieren und zu fördern, damit sie Verantwortung übernehmen können und wollen. Dafür nötig sei ein „geführter Prozess“.

40 Unternehmen auf dem Weg zur Pflegeattraktivität

Wie es gelingen könne, Verantwortung zu übertragen, einen Veränderungsprozess herbeizuführen und die Mitarbeitenden zu binden, zeige das Konzept „Pflegeattraktiv“, das der Bundesverband Pflegemanagement gemeinsam mit den Knappschaft Kliniken vor zwei Jahren entwickelt habe. In einem sechsmonatigen Vorbereitungsprozess würden Mitarbeitende in vielen einzelnen kleinen Workshops darauf vorbereitet, Projekte selbstständig umzusetzen.

Ein Unternehmen sei attraktiv für seine Mitarbeitenden, wenn Geschäftsführung und Pflegedirektion diese in die Lage versetzten, selbst zu überlegen, was sie in ihrem Unternehmen verändern wollten. In den Workshops entschieden daher die Mitarbeitenden, welche Projekte in den nächsten drei Jahren umzusetzen seien. „Das können Projekte sein, an die die Pflegedirektion möglicherweise noch gar nicht gedacht hat oder die die Unternehmensleitung unter Umständen auch gar nicht gewollt hat. Insofern erfordert der Schritt hin zu solchen Prozessen auch Mut“, so Lukuc.  

Deutschlandweit seien 40 Unternehmen auf dem Weg, „pflegeattraktiv“ zu werden. Es sei Aufgabe der Unternehmen, die Potenziale ihrer Mitarbeitenden zu erkennen und zu fördern.

Pflege müsse nicht nur mitgestalten, Pflege müsse sich auch selbst gestalten, erklärte Pflegewissenschaftlerin Nadine Loth, Referentin des Zentralbereichs Pflege der Marienhaus Gruppe. Das neu gestaltete Traineeprogramm der Marienhaus Gruppe sei ein Weg, um dem Fach- und Führungskräftemangel in der Pflege entgegenzuwirken.

Vor vier Jahren sei der „Zentralbereich Pflege“ eingerichtet worden, eine allen Kliniken und Altenhilfe-Einrichtungen übergeordnete Stelle, um der Pflege zu ermöglichen, sich selbst zu organisieren und selbst mitzugestalten. Der Zentralbereich verantworte die Planung, Steuerung und Evaluierung zentraler Projekte. Neben politischen Themen gehörten dazu die Erstellung und Implementierung von Tätigkeitsprofilen für die akademisierte Pflege und die Mitgestaltung des Pflegecontrollings.

Der Zentralbereich habe darüber hinaus Netzwerke innerhalb der Krankenhausgruppe installiert, um gemeinsam mit den jeweiligen Leitungskräften in den einzelnen Standorten pflegerische Themen wie Zentrale Notaufnahme, Intensiv-, Psychiatrie- und Pädiatriepflege, Wundmanagement und OP zu besprechen. Darüber helfe das Vernetzen, einheitliche Einarbeitungskonzepte zu schaffen, einheitliche Vergütungsstrukturen zu etablieren, einen einheitlichen Einkauf für pflegerische Produkte und Kompetenzen zu nutzen und voneinander zu lernen. Arbeitszeitmodelle wie die Vier-Tage-Woche und Job-Sharing-Modelle seien gerade in der Erprobungsphase.

Traineeprogramm für Pflegefachkräfte

Ein besonderes und kostenintensives Projekt sei die Führungskräfteentwicklung, die aus „Pflegeattraktiv“ entstanden sei. In den vergangenen zwei Jahren hätten alle Führungskräfte ein Führungskräfteentwicklungsprogramm (FEP) durchlaufen, mit dem Ziel, die transformationale Führung im Unternehmen zu stärken. Das FEP sei ins Leben gerufen worden, da es aufgrund des Fachkräftemangels innerhalb der Marienhaus Gruppe zunehmend schwieriger geworden sei, vakante Fach- und Führungspositionen zu besetzen. So blieben Stellen in Leistungspositionen bis zu neun Monate vakant.

„Wir haben daher ein Pflege-Traineeprogramm aufgesetzt, das sich an Pflegefachkräfte richtet, die nach ihrem Examen vor der Entscheidung stehen, eine Fach- oder Führungskarriere einzuschlagen“, sagte Loth. Das Traineeprogramm dauere 14 Monate und beinhalte sechs ein bis drei Monate dauernde spartenübergreifende Einsätze. Flankiert von verschiedenen Soft-Skill-Trainings, zum Beispiel Selbstorganisation. Darüber hinaus werde jeder und jede Trainee von einer zugewiesenen Mentorin oder einem Mentor individuell durch das ganze Programm begleitet. Wichtig sei, dass beide in keinem direkten Arbeitskontext zueinander stehen und durch mindestens zwei Hierarchiestrufen voneinander getrennt sind. Für die Entwicklungsbegleitung seien zudem fest definierte Entwicklungsgespräche vorgesehen, die den Trainees bei der Wahl des vertiefenden Einsatzes sowie bei der Wahl des Karrierewegs helfen sollen. Sowohl der Führungs- als auch der Fachkarriereweg würden durch das FEP begleitet.

Mit dem Traineeprogramm wolle die Marienhaus Gruppe einen Wettbewerbsfaktor für externe Bewerbungen schaffen und gleichzeitig ihren internen Mitarbeitenden ein Personalentwicklungs- und Mitarbeiterbindungsinstrument an die Hand geben.

„Hauptziel ist: Grow your own – also entwickle deine eigenen Mitarbeiter. Das bedeutet, wir möchten den Trainees ein Verständnis über Organisations- und Entscheidungsstrukturen eines großen Gesundheitsunternehmens vermitteln und ihre Kompetenzen in unternehmerischem Denken und Handeln stärken“, erklärte Loth.

Mit dem FEP und dem Traineeprogramm gehe der Zentralbereich Pflege einen eigen- und nicht fremdbestimmten Weg, um Pflege zukunftsorientiert zu entwickeln und dem Fachkräftemangel zu begegnen.

Neben den Kernproblemen in der Pflege – Personalknappheit und Arbeitsverdichtung, unzuverlässige und ineffiziente Arbeitsbedingungen sowie fehlende Wertschätzung und Kollegialität – gebe es oft instabile Arbeitsabläufe für die Patientenversorgung, das führe wiederum zu Qualitätsmängeln und höheren Kosten. Umgekehrt seien Mitarbeitende oftmals überarbeitet, unzufrieden, krank oder verließen den Beruf. Die Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Hochschule Osnabrück, Julia Oswald, macht dafür Strukturdefizite sowohl im Gesundheitswesen als auch in den Krankenhäusern selbst verantwortlich.

Die Berufsgruppe der Pflege finde sich oftmals ineffizient in der Gesamtorganisation Krankenhaus verankert. Auch die Organisationsprozesse in der Pflege selbst seien meist uneinheitlich und inadäquat. Zudem seien die Qualifikationsstrukturen unzureichend, um die akademisierten und nichtakademisierten Pflegefachkräfte einzubinden. Auch fehle innerhalb der Häuser vielfach ein Verständnis dafür, was die Pflege leiste. „Eine entsprechende Transparenz würde somit die Wertschätzung fördern“, mahnte Oswald.

„Musterwechsel der Unternehmensführung“

Moderne Führungsinstrumente seien zwar gut, kompensierten jedoch keine ineffizienten Strukturen und Prozesse in der Pflege. Der kritische Erfolgsfaktor für eine adäquate Führung sei die Organisation. Als Steuerungsansatz nannte Oswald, die auch als wissenschaftliche Beraterin im Fachausschuss Betriebswirtschaft des Verbandes der Krankenhausdirektoren tätig ist, qualitativ und quantitativ verlässliche Arbeitsabläufe. Dazu benötige Pflege allerdings mehr Partizipation in der Strukturierung und Steuerung der Behandlungsprozesse.

Zur Stärkung der Pflege sei ein „Musterwechsel der Unternehmensführung“ erforderlich: zentral steuern, dezentral führen. Für eine neu zu gestaltende Leitungsstruktur sei zu hinterfragen, ob die Managementaufgaben und -kompetenzen der Pflege adäquat abgebildet seien, ob die Management- und Führungsprozesse richtig definiert und gestaltet seien und inwiefern die Pflege Finanzverantwortung haben solle.

Dazu Oswald: „Wenn man als Krankenhaus dezentralisieren will, muss man wissen, wie man diese drei Verantwortungsbereiche ausgestalten will.“

Krankenhäuser sollten daher überlegen, wie die Organisation der Pflege in die Gesamtorganisation integriert werden könne. Die Häuser sollten auf der Unternehmens- wie auf der Bereichsebene eine effektive Pflegeorganisation festlegen. Für die Management- und Führungsprozesse in der Pflege seien die Verantwortlichkeiten zwischen Bereichs- und Leitungsebene zu definieren. Außerdem seien Strukturen zur Qualifizierung der Pflege zu etablieren. „Wenn wir von der Pflege mehr Management- oder Führungsverantwortung einfordern, dann müssen wir sie dafür auch qualifizieren“, sagte Oswald.

Und schließlich müsse ein möglichst breiter Wertekonsens erreicht werden. Dafür sei die Unternehmenskultur bedeutsam. Denn Kultur sei ein intrinsisches Motivations- und Integrationsinstrument.

Autor

 Mark Sleziona

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