Das deutsche Gesundheitswesen steht unter Druck: Fachkräftemangel, Bürokratie und eine alternde Gesellschaft fordern schnelle und wirksame Reformen. Die neue Gesundheitsministerin Nina Warken verspricht Veränderung – doch reicht das aus? Ein Kommentar von Jochen A. Werner zur Lage und den dringend nötigen Maßnahmen.
Was man aktuell aus dem – neubesetzten – Gesundheitsministerium in Berlin hört, mag in den Ohren vieler wie Musik, ja geradezu nach Erlösung klingen, ein echtes Rundum-Wohlfühl-Paket. Das Pflegepersonal muss mehr in den Blick genommen werden, Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit sollen gestärkt werden. Ärztinnen und Ärzte sollten weniger Zeit für Bürokratie aufbringen müssen und stattdessen mehr Zeit für Patienten haben. Ineffiziente Strukturen, fehlende Nachhaltigkeit bei der Finanzierung, Fachkräftemangel und unzureichende Digitalisierung müssen angegangen werden.
Allesamt Struktur-Probleme, die ungefähr so überraschend daherkommen wie Weihnachten und über die schon genug geredet wurde. Nun braucht es Taten – und zwar schnell!
Denn – und auch das ist längst bekannt – die demografische Welle bricht mit dem Ausscheiden der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aus dem Mikrozensus 2021 werden 12,9 Millionen Erwerbspersonen bis 2036 das Renteneintrittsalter überschritten haben. Dies entspricht knapp 30 Prozent der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Erwerbspersonen, bezogen auf das Berichtsjahr 2021.
Zeitgleich hat sich die finanzielle Lage der gesetzlichen Krankenversicherung dramatisch verschlechtert, so dass der Bund den Gesundheitsfonds ganz aktuell mit einer Finanzspritze von 800 Millionen Euro stützen muss – eine Nachricht, die zwischen Papstwahl und Zoll-Wahnsinn etwas untergegangen ist, aber den alarmierenden Zustand des Gesundheitssystems unterstreicht.
Expertenkommission für Pflegereform – wieder einmal
Was allerdings fassungslos macht: Zur Stabilisierung der Beitragssätze soll nun (einmal mehr) eine Expertenkommission eingesetzt werden. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll noch in diesem Jahr zudem eine große Pflegereform erarbeiten. Im Ernst?
Wie viele Expertenmeinungen braucht es denn noch? Es ist doch schon alles gesagt zu den strukturellen Problemen des Gesundheitswesens, die seit Jahren, eigentlich schon seit Jahrzehnten bekannt und deren Ursachen und Lösungsansätze ausreichend besprochen sind. Konkrete Zielvorgaben und Projekte? Fehlanzeige. Getan ist eben noch nichts. Aus „sollen, müssen, wollen“ muss endlich ein „machen“ werden.
Dafür, dass man schnell machen kann, gibt es mittlerweile gute Beispiele in anderen Politikbereichen sowie auch im trägen Gesundheitswesen – in Arztpraxen genauso wie in Kliniken, die das Warten auf digitale Strukturen irgendwann aufgegeben haben. Ganz zu schweigen von nicht wenigen Startups, die ebenso die Digitalisierung im Gesundheitswesen – eines der zentralen Handlungsfelder – sinnvoll vorantreiben.
Gesundheitsministerin Warken: Neustart mit unvoreingenommenem Blick
Weil ich von Grund auf optimistisch bin, habe ich immer noch die Hoffnung, dass sich nun auch endlich die Politik bewegen wird. Nicht nur symbolisch, sondern ganz konkret und vor allem maximal und im besten Sinne rücksichtslos lösungsorientiert sowie mit ordentlich Tempo. Vielleicht ist es an dieser Stelle dann sogar hilfreich, dass nun mit Nina Warken eine fachfremde Person an der Spitze des Bundesministeriums für Gesundheit steht, die unbefangen, unvoreingenommen sowie frei von den klassischen Bedenken der Interessensvertreter in der Gesundheitsversorgung ist.
Frau Warken hat die zunehmend desaströse Lage der Gesundheitsversorgung nicht zu verantworten. Aber sie hat die Herkulesaufgabe, Lösungen zu suchen – und zwar schnell, wirksam und nachhaltig. Insofern sind die aktuellen Ankündigungen hoffentlich keine Folklore zur allgemeinen Beruhigung, sondern Signal und Ouvertüre zum echten Aufbruch.