Deutschland braucht keine weitere Debatte über den Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft, schreibt Bernadette Rümmelin vom KKVD. Der richtige Impfstoff für die Krise ist vielmehr ein dezentrales Netz starker Kliniken.
Die Covid-19-Pandemie hat den Blick auf unser Gesundheitswesen verändert. Das gilt auch für die Krankenhausstrukturen. Bis vor kurzem gab es noch einen Überbietungswettbewerb, wie viele Kliniken geschlossen werden können. Angesichts der rasanten Ausbreitung von Covid-19 und den dramatischen Bildern von überforderten Intensivkapazitäten in unseren Nachbarländern, in denen die Krankenhauslandschaft durch Konzentration auf große Einrichtungen und zentralisierte Strukturen geprägt ist, wird deutlich, dass wirtschaftliche Rationalisierung und politische Kahlschlagsideen tödlich sein können. Im europäischen Vergleich zeigt sich, dass die deutsche Krankenhauslandschaft mit ihrer dezentralen, flächendeckenden Versorgungstruktur einen protektiven Effekt in der aktuellen Pandemiebekämpfung hat.
Kaum hat sich die Covid-19-Lage ein wenig entspannt, werden nun wieder die alten Rezepte für die Strukturreform auf den Tisch gelegt. Wenige Megakliniken auf der grünen Wiese hätten die Pandemie ebenso gut bewältigen können, heißt es. Und 2021 wird zum Jahr der Controller ausgerufen.
Die Debatte über die Krankenhausstrukturreform sollte nunmehr adjustiert werden. Leitfrage muss sein, welchem Zweck die Gesundheitsversorgung dient: der Gesundheit der Menschen in unserem Land. Gerade deshalb dürfen die gesammelten Erfahrungen der letzten Monate nicht leichtfertig beiseite gewischt werden.
Absprachen jenseits von Konkurrenzdenken
Unsere Krankenhauslandschaft hat sich als tragfähiges Netz erwiesen. Dank ihrer dezentralen Struktur war sie ausgesprochen reaktionsstark und regional anpassungsfähig. Öffentliche, kirchliche und private Träger haben sich jenseits von Konkurrenzdenken eng abgesprochen, um vor Ort die bestmögliche Versorgung der Patienten zu gewährleisten. So sprangen andere Kliniken ein, wenn der Schwerpunktversorger vor Ort überlastet oder wegen eines Covid-19-Ausbruchs zeitweise geschlossen war. Auch in Ballungsräumen hat sich das Nebeneinander mehrerer Einrichtungen daher bewährt. So konnten sogar Patienten aus Nachbarländern aufgenommen werden und Deutschland damit ein wichtiges Zeichen der europäischen Solidarität setzen.
Als nicht krisensicher erwiesen hat sich dabei das bisherige Finanzierungssystem für die Kliniken. Im Rahmen der DRG-Systematik sind gerade die für die Daseinsvorsorge wichtigen Vorhaltestrukturen der Grund- und Regelversorgung in der Fläche nicht auskömmlich abbildbar. Es gibt keine Puffer für Pandemieprophylaxestrukturen, stattdessen müssen Budgets auf Kante genäht werden. Wir wissen: Das System ist auf Effizienz getrimmt. Es setzt auf das Spiel der Marktkräfte im Rahmen eines Mengen- und Leistungswettbewerbes und zusehends auf einen kalten Strukturwandel, durch den Kapazitäten ohne bedarfsorientierte Planung und Versorgungsziele abgebaut werden. Bereits vor der Covid-19-Pandemie wurde deutlich, dass das heutige Modell aus Fallpauschalenvergütung und Investitionsmitteln der Länder in Schieflage geraten ist.
Vorhaltung muss besser finanziert werden
Die aktuelle Pandemie wirkt wie ein Brennglas und macht deutlich: Wir brauchen ein neues Finanzierungssystem, das die Krankenhäuser als wichtige Säule der Daseinsvorsorge versteht. Das bedeutet, dass die Vorhaltungen inklusive einem Personalkostenanteil für eine flächendeckende Grundversorgung pauschal und unabhängig von einem Leistungs- und Mengenbezug zu finanzieren sind. Sie spiegeln den konkreten Bedarf in einer Region wider und müssen auch eine sektorenübergreifende Versorgung ermöglichen. Außerdem sollten sie den notwendigen Vorsorgebedarf für Gefahrenlagen oder Epidemien berücksichtigen. Ebenso müssen die Investitionskosten für Infrastruktur, Gebäude und Großgeräte am regionalen Bedarf bemessen und von den Ländern pauschal erstattet werden.
Daneben sollte eine flexible leistungsbezogene, DRG-basierte Vergütung weiterhin den über die Grundversorgung hinausgehenden Behandlungsanteil abdecken, beispielsweise auch für zusätzliche Leistungen aufgrund von guter Qualität. So wird ein gesundes Maß an Wettbewerb unter den Kliniken erhalten.
Stärke, nicht Größe ist entscheidend
Der Katholische Krankenhausverband (KKVD) entwickelt derzeit ein solches Konzept für eine neue, bedarfsorientierte Krankenhausfinanzierung, das bei einer flächendeckenden Grund- und Regelversorgung gleichzeitig eine stärkere Konzentration der Spezialversorgung erreichen will. Schon heute spezialisieren sich Kliniken regional und sichern in Verbundstrukturen mit anderen Häusern eine Versorgung der Menschen auf qualitativ hohem Niveau. Dabei stehen die Stärken eines Krankenhauses im Fokus und nicht seine Größe. Nicht jeder muss in Zukunft mehr alles anbieten.
Finanzierungsreform und regionale, bedarfsorientierte Planung sollten Hand in Hand gehen, um die beiden Ziele mehr Qualität durch Spezialisierung einerseits und Sicherstellung einer wohnortnahen Krankenhausversorgung andererseits gemeinsam zu verwirklichen. Mit einem solchen Konzept könnte nach ersten Berechnungen des KKVD ein moderater Abbau von Überkapazitäten erreicht werden statt einen Kahlschlag in der Kliniklandschaft zu riskieren. Es bliebe ein dezentrales Kliniknetz mit starken Knoten erhalten, dessen Elastizität sich gerade in der aktuellen Covid-19-Pandemie so gut bewährt hat. Denn wer glaubt, dass weniger bei der Klinikversorgung mehr ist, der übersieht, dass weniger Krankenhäuser auch weniger Wettbewerb bedeutet. Und das führt letztlich sehr schnell zu weniger Anstrengungen für eine bessere Qualität.