Der Koalitionsvertrag löst in der Gesundheitsbranche gemische Reaktionen aus. Mehrere Spitzenvertreter bemängelten insbesondere fehlende Antworten auf drängende Finanzfragen.
Die fehlenden Konzepte zur Finanzierung des Gesundheitswesens im Koalitionsvertrag haben Kritik in der Branche ausgelöst. Vor allem die Krankenkassen bemängeln, die neue Bundesregierung bleibe Antworten auf drängende Fragen schuldig. Stattdessen verweise man auf Kommissionen und Absichtserklärungen.
Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK), übt Kritik: "Weder sieht der Vertrag vor, staatliche Aufgaben endlich wieder gerecht aus der Steuerkasse statt aus dem Beitragstopf zu bezahlen, noch stehen konkrete Maßnahmen zur Kostendämpfung auf der To-Do-Liste der Koalitionäre. Hier muss die Koalition nachlegen." Eine Expertenkommission werde die Beitragsspirale ebenso wenig stoppen wie vage Absichtserklärungen. "Wir brauchen stattdessen ein wirksames Sofortprogramm, dafür liegen konkrete Vorschläge schon lange auf dem Tisch."
Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, zeigt sich ebenfalls enttäuscht: "Die einzige konkrete finanzwirksame Maßnahme, die der Koalitionsvertrag nennt, ist die Entlastung der GKV beim Transformationsfonds zur Abfederung der Klinikreform. Der Betrag soll nun aus dem Sondervermögen fließen. Das ist gut und zeugt von ordnungspolitischer Einsicht. Insgesamt bleibe Schwarz-Rot jedoch Antworten auf die GKV-Finanzprobleme schuldig."
Doris Pfeiffer, Chefin des GKV-Spitzenverbands, begrüßt zwar das Ziel einer "guten, bedarfsgerechten und bezahlbaren medizinischen und pflegerischen Versorgung" als unverzichtbar für die Zukunftsfähigkeit der Kassen. Sie mahnte aber: "Für stabile Finanzen ist es wichtig, jetzt rasch zu handeln, bevor die weiteren Maßnahmen greifen. Sorge bereitet uns, dass die Kommission, die die finanzielle Gesamtwirkung des Koalitionsvertrages in den Blick nehmen soll, erst im Frühjahr 2027 Ergebnisse vorlegen soll. Da stellt sich die Frage, ob die Politik den Ernst der finanziellen Situation wirklich erkannt hat."
Kliniken setzen auf Inflationsausgleich
Optimistischer äußern sich hingegen Vertreter aus den Krankenhäusern. Allerdings wird aus den verschiedenen Statememts deutlich, dass auch in den Verbänden noch keine Klarheit besteht, worum es sich bei den in Aussicht gestellten "Sofort-Transformationskosten" handelt. Diese sollen für 2022 und 2023 mit Schulden aus dem Sondervermögen Infrastruktur bezahlt werden.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßt dieses Vorhaben. "Zwar handelt es sich bedauerlicherweise nur um eine einmalige Zahlung und nicht um eine strukturelle Hilfe - dennoch zeigt sie, dass sich die Koalition der wirtschaftlich dramatischen Lage vieler Kliniken bewusst ist", erklärte DKG-Chef Gerald Gaß. Die Auszahlung dieser "Sofort-Transformationskosten" müsse allerdings schnell und möglichst noch im ersten Halbjahr 2025 erfolgen. Positiv bewertete Gaß auch, dass die Regierung den Reformbedarf bei der Krankenhausreform anerkenne. Gut sei die Übernahme der Leistungsgruppen aus NRW als Planungsgrundlage. "Wir sind sicher, dass mit einem neuen Minister wieder ein konstruktiver Dialog zwischen Bund, Ländern und den Akteuren im Gesundheitswesen möglich sein wird. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die allerdings in den zurückliegenden Jahren aus dem BMG heraus bewusst missachtet wurde", so Gaß.
Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbands (DEKV), sagt: "Es ist positiv, dass die Politik den Druck aus dem System nimmt und die Einführung neuer Leistungsgruppen an die Ergebnisse der laufenden Evaluation knüpft. Kritisch sehen wir jedoch, dass ein echter Inflationsausgleich für 2022 und 2023 erneut nicht grundsätzlich vorgesehen ist. Stattdessen werden lediglich Mittel aus dem Sondervermögen für Sofort-Transformationskosten in Aussicht gestellt. Die angespannte wirtschaftliche Lage der Kliniken wird dadurch nicht substanziell aufgefangen, obwohl die Teuerungsrate die Kostenstrukturen erheblich verändert hat."
Der Verband der Uniklinka (VUD) spricht von "vielen guten Ansätzen" im Koalitionsvertrag. "Es ist gut, dass die Koalition an der Krankenhausreform grundsätzlich festhält. Weitere Ausnahmeregelungen dürfen allenfalls in begrenztem Umfang und mit Augenmaß erfolgen, um die Kernziele der Krankenhausreform nicht zu gefährden", mahnt VUD-Chef Jens Scholz. Er lobt außerdem die angepeilte Stärkung der kritischen Infrastruktur und erneuert die Forderung seines Verbands, die Unikliniken, Bundeswehrkrankenhäuser und BG Kliniken besonders zu unterstützen. Zenral sei zudem der Bürokratieabbau im Gesundheitswesen.
Für Michael A. Weber, Präsident des Krankenhausärzteverbands VLK, macht der Vertrag Hoffnung. Die Deckung von Betriebskostendefiziten 2022/23 werde angedeutet, die GKV solle nicht mehr für die Transformation zahlen. Offen sei aber, was sich hinter dem Passus "Sofort-Transformationskosten" verberge, schreibt er auf LinkedIn. "Positiv stimmt auch: Es gibt Hinweise auf pragmatische Nachbesserungen bei der Krankenhausreform – mit Blick auf Ausnahmeregelungen für die Länder. Und: Ein CDU-Gesundheitsexperte mit Sachverstand könnte das Ministerium übernehmen."
Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), lobt, dass die Union wieder das Gesundheitsministerium übernehmen wird. Er fordert zudem eine Konzentration auf die ambulante Versorgung. Diese sei ein wesentlicher Stabilitätsfaktor in unserem Land. "Den brauchen wir dringend in diesen unsicheren Zeiten, die ja nicht nur außenpolitisch, sondern auch wirtschaftlich bevorstehen. Da sollte man versuchen, die Strukturen zu stärken und sie nicht in völliger Ungewissheit zu lassen."
Hinweis: Dieser Artikel wird am 10.4. fortlaufend aktualisiert.