Wohin macht auch schaut, überall kriselt es – auch im Gesundheitswesen. Viele Menschen haben das Gefühl, den Problemen ausgeliefert zu sein. Hier braucht es ein neues Verständnis von Führung, um all das zu gestalten, was veränderbar ist.
Führung bedeutet Aufmerksamkeitsfokussierung
Unser Erleben wird geprägt durch unsere Aufmerksamkeitsfokussierung. Übersetzen kann man das mit einer Art inneren Taschenlampe. Das worauf wir leuchten, prägt unser Erleben. Das menschliche Gehirn hat jedoch neunmal mehr Rezeptoren für kritische Botschaften als für positive, was evolutionsbiologisch betrachtet sinnvoll ist, da wir uns so bei Gefahr sehr schnell in Sicherheit bringen können. Aber das Ganze hat einen Haken. Das Prinzip der Aufmerksamkeitsfokussierung kann man nämlich mit einem Taschenlampenstrahl im Dunkeln vergleichen: Richten wir ihn auf das Negative, das, was nicht funktioniert, den Ärger, den wir empfinden, dann stellt sich unser Körper auch stoffwechselphysiologisch um. Und so wirkt sich ein Mechanismus, der einst unser Überleben sicherte, mittlerweile fatal aus.
Wenn wir also in unseren Kantinen oder Dienstzimmern im Chor über die Zustände schimpfen, dann wird unser Erleben negativ geprägt und wir verlieren jede Eingriffsmöglichkeit, sodass uns meist nur noch Emotionen wie Wut oder Ohnmacht bleiben. Professor Robert Sapolsky von der Universität Stanford konnte zeigen, dass dieses chronische Jammern uns nicht nur an der Lösung von Problemen hindert, sondern sogar physiologische Auswirkungen hat: Durch das wiederholte Empfinden von traurigen, wütenden und ohnmächtigen Gefühlen können die Neurotransmitter im Gehirn eine neuronale "Neuverdrahtung" durchlaufen, die negative Gedankenmuster verstärkt.
Geteiltes Leid ist nicht halbes Leid, sondern doppeltes Leid
Leider wird ausgerechnet in den Kliniken allzu oft nur über Kritisches gesprochen, was angesichts der immer wieder erlebten Nichtveränderbarkeit vieler Missstände kein Wunder ist, zumal die Beteiligten die gemeinsame Empörung im Team sogar als bestärkend und verbindend erleben. Und auch die Abwertung der jeweils anderen Professionen erfüllt den Zweck der Identitätssicherung und Bindung über die In-Group-Out-Group-Logik. Und wenn jemand aus einer solchen Gruppe sich später, im privaten Umfeld, noch einmal in einem anderen Kontext echauffieren kann, wird seine Psyche geradezu mit negativen Gefühlen geflutet. Ein positiver Blick auf die eigenen Möglichkeiten ist so kaum noch möglich.
Forschungen zeigen jedoch, auf welche Weise Prozesse der Aufmerksamkeitsfokussierung (häufig unter dem Begriff "Priming" subsumiert) menschliches Erleben mental und physiologisch beeinflussen. Priming ist hier als assoziative Voraktivierung von Teilen des semantischen Wissens durch einen Hinweisreiz zu verstehen. Und an diesem Punkt sollte Führung ansetzen. Denn durch bewusste Prozesse der Aufmerksamkeitsfokussierung auf positive Aspekte können physiologische Reaktionen, Haltungen, emotionale Reaktionen und Absichten im positiven Sinne aktiviert werden.
Solange sich allerdings alle Beteiligten negativ über Gesundheitswesen und -politik sowie die jeweils andere Profession äußern und damit in einem ewigen Kreislauf auf kritische Themen und Erlebnisprozesse fokussieren, entsteht eine indirekte hypnotische Induktion, die in einer kollektiven Problemtrance endet. Das Ergebnis sind nicht nur ein schlechtes Befinden, die daraus resultierende Erschöpfung und Sorgen in Bezug auf die Zukunft. Nein, es bauen sich auch massive Hindernisse auf, die positive Veränderungen erschweren oder ganz unmöglich machen.
Eine Aufmerksamkeitsfokussierung auf positive Möglichkeiten bedeutet also nicht, etwas zu beschönigen. Es bedeutet, sich auf das zu konzentrieren, was zwar nicht funktioniert, was man aber verändern kann. Und in diesem Kontext ist ein neues Verständnis von Führung gefragt. Ziel sollte es sein, gemeinsam mit dem Team kritische Themen nur noch dann in den Blick zu nehmen, wenn sie Lernpotenzial haben und dazu dienen können, zusammen Alternativen zu entwickeln. Das bedeutet im Umkehrschluss: Alles, was nicht veränderbar ist, wird im Arbeitsalltag nicht länger beachtet, denn das wäre nur verschenkte Energie. Lenken wir unseren Fokus auf Möglichkeiten und attraktive Ziele – dann geht es uns nicht nur besser, sondern wir können in Zukunft auch besser arbeiten.