Orientierungswert

Umstrittenes BSG-Urteil: Überraschung gelungen

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Umstrittenes BSG-Urteil: Überraschung gelungen
Sascha Baller und Jörg Liebel © privat

Das Bundessozialgericht fällte am 29. August 2023 ein Urteil zur Definition der Hauptdiagnose, das die Fachwelt überrascht hat. Überraschend war dabei nicht das Urteil selbst, sondern die Ausführungen in der Urteilsbegründung unter dem Abs. 19: „Liegen ex-post betrachtet schon bei Aufnahme ins Krankenhaus mehrere Leiden objektiv vor, die stationär behandlungsbedürftig sind, sind diese vorbehaltlich spezieller Regelungen immer nach dem Grad ihres Ressourcenverbrauchs zu gewichten.“ Das BSG führt weiter aus: „Das gilt unabhängig davon, welche Leiden bei der Aufnahmeuntersuchung erkannt wurden oder erkennbar waren. Es spielt deshalb keine Rolle, ob der Patient bei der Aufnahme ins Krankenhaus Symptome aufwies, anhand derer die zunächst unerkannt gebliebene Diagnose erkennbar gewesen wäre.“

Wie bitte? Haben wir die Definition der Hauptdiagnose über 20 Jahre lang falsch verstanden? Wer sich mit der Konstruktion von DRG-Systemen beschäftigt weiß, dass die Definition der Hauptdiagnose eine entscheidende Rolle spielt. Es geht darum, Kodiermissbrauch zu verhindern und keine Anreize zur Erbringung nicht notwendiger medizinischer Leistungen zu setzen. Deshalb steht in den Deutschen Kodierrichtlinien: „Die Hauptdiagnose wird definiert als die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist.” Damit soll vermieden werden, dass Patienten während ihres stationären Aufenthalts auf bei Aufnahme bestehende Diagnosen näher untersucht werden, um diese dann aus pekuniären Gründen zur Hauptdiagnose zu machen.

Schlimmer noch, es soll natürlich auch vermieden werden, dass Patienten auf Krankheiten untersucht werden, die bei Aufnahme bestehen, behandlungsbedürftig sind und „bei der Gelegenheit“ schon mal aus monetären Gründen mit entsprechendem Ressourcenaufwand behandelt werden. Frei nach dem Motto „Wenn Sie schon mal da sind, können wir doch mal schnell ein neues Hüftgelenk oder minimalinvasiv eine neue Herzklappe einbauen.“ Es ist zu befürchten, dass man viele stationäre Fälle jetzt erlöstechnisch höherkodieren kann. Den gleichen Effekt mit umgekehrten Vorzeichen gibt es auch. Vieles, bisher Undenkbares, wäre plötzlich rechtens.

Das Urteil bietet eine gute Gelegenheit, dass mal alle am selben Strang ziehen. Leistungserbringer, Krankenhausgesellschaften, medizinische Dienste und Krankenversicherungen. Warum? Weil niemand in der Gesamtschau profitieren wird und sozialgerichtliche Auseinandersetzungen in großer Zahl zu erwarten sind. Wir appellieren an die Beteiligten die Kodierwelt wieder gerade zu rücken. Hierfür stehen Instrumente wie der Schlichtungsausschuss nach §19 KHG oder das Vorschlagsverfahren für die Deutschen Kodierrichtlinien zur Verfügung. Ebenso wäre eine Klarstellung durch die Legislative denkbar. Die Autoren stehen für Fragen zu dem Thema gerne zur Verfügung.

Autoren

Dr. Sascha Baller
 Jörg Liebel

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