Derzeit laufen die Verhandlungen über einen möglichen Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Wenn die dafür gebildete Arbeitsgruppe Gesundheit heute zusammenkommt, wird die Zukunft der psychiatrischen Versorgung auf ihrer Tagesordnung stehen. Angesichts der vielen Großbaustellen im Gesundheitswesen droht dieser wichtige Versorgungszweig allzu gerne in die Rubrik Verschiedenes geschoben zu werden.
Dabei leiden immer mehr Menschen unter psychischen Erkrankungen und hoffen auf schnelle professionelle Hilfe. Zahlreiche Berichte zeigen, dass die Pandemie dieser Entwicklung nochmals Vorschub geleistet hat. Und in einer älterwerdenden Gesellschaft wächst gleichzeitig der Bedarf an gerontopsychiatrischen Behandlungsplätzen.
Den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, das ist die Aufgabe jeglicher Gesundheitsversorgung, und in der Psychiatrie und Psychosomatik gilt das in besonderer Weise. Wenn die Seele krank ist, benötigen die Patientinnen und Patienten besonders viel Zuwendung, Zeit und eine moderne, störungsspezifische Therapie.
Doch gerade das wird unter den aktuellen Rahmenbedingungen für die psychiatrische und psychosomatische Versorgung immer schwieriger. Durch die starren Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Personalausstattung ist es nahezu unmöglich, über Stationsgrenzen hinweg flexibel auf den konkreten Bedarf eines Patienten oder einer Patientin zu reagieren. Multiprofessionelles Arbeiten und moderne Behandlungskonzepte werden deutlich erschwert. Hinzu kommt, dass die ausufernde Bürokratie durch Dokumentations- und Nachweispflichten sehr viel Zeit frisst, die dann für die Therapie und Pflege fehlt.
Die Klinikleitungen sind aufgrund der überzogenen Sanktionsmechanismen herausgefordert, als Minutenverwalter zu agieren. Auch verhindert das Festhalten an festen Sektorengrenzen, dass Patientinnen und Patienten nahtlos zwischen stationären, teilstationären und ambulanten Versorgungsangeboten wechseln können. Die Folge ist eine Re-Zentralisierung auf stationäre, stationsbezogene Strukturen. Die im Sinne der Patientenorientierung und Entstigmatisierung über Jahre flächendeckend aufgebauten gemeindepsychiatrischen Versorgungsstrukturen mit niedrigschwelligen, intersektoralen Angeboten können unter diesen Bedingungen langfristig nicht mehr aufrechterhalten werden.
Die Ampel-Verhandlungsgruppen erkennen hoffentlich, dass die psychiatrische und psychosomatische Versorgung eine weitere Großbaustelle im Gesundheitswesen ist, bei der dringender Handlungsbedarf besteht. Konkrete Vorschläge liegen auf dem Tisch: Eine Personalplanung, die den individuellen Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt stellt und entsprechend flexibel ausgerichtet wird. Ein Rückbau der uferlosen Bürokratie und das Eindämmen der unverhältnismäßigen Sanktionsregelungen. Eine konsequente Förderung sektorenübergreifender Versorgungsangebote in den Kommunen, die in den Sozialraum der Betroffenen integriert den realen Versorgungsbedarf im Blick haben. Darüber hinaus ist auch das sehr komplexe, teilweise nicht konsistente Finanzierungssystem anzupassen.
Die Politik muss die Lebenswelten der Menschen mit psychischen Problemen in den Blick nehmen. Dann wird sehr schnell klar, dass die aktuellen Regelungsmechanismen mit dem eingeengten Fokus auf die stationäre Klinikversorgung dem nicht entsprechen. Die Zukunft liegt im individualisierten Behandlungsansatz, der sektorintegriert im gemeindepsychiatrischen Netzwerk, multiprofessionell und störungsspezifisch umgesetzt wird. Dazu braucht es Rahmenbedingungen, die die flächendeckende Versorgungslandschaft stützen und in Anbetracht der Demografie und des herrschenden Personalmangels eine Weiterentwicklung gewährleisten.
Die Krankenhäuser leisten dazu bereits einen wichtigen Beitrag. Jedes Jahr wird hier eine Million Erwachsene, Jugendliche und Kinder behandelt. Die Kliniken sind bereit, angesichts des stetig steigenden Bedarfs ihren Beitrag zu leisten, damit die Patientinnen und Patienten schnell gute Therapieangebote bekommen. Nun liegt es an den Verantwortlichen in der künftigen Bundesregierung, diese ausgestreckte Hand auch anzunehmen.