Versorgungsqualität ist zum politischen Schlagwort geworden – oft als Argument gegen Kritik an der Krankenhausreform. Doch was bedeutet Qualität wirklich? Warum mengenbasierte Vorgaben nicht automatisch bessere Versorgung garantieren und warum ein Perspektivwechsel dringend nötig ist.
Versorgungsqualität ist ein gesundheitspolitisches Schlagwort, das spätestens seit Prof. Lauterbachs Amtsperiode als Bundesgesundheitsminister fast schon populistische Züge angenommen hat. Es dient gerne als Killerargument, beispielsweise gegen jegliche Kritik an der Krankenhausreform.
Natürlich ist die Qualität ein wesentlicher Wert in der Gesundheitsversorgung, allerdings kommt es immer auch auf den Blickwinkel an, ob und vor allem für wen die „qualitätsverbessernden“ Maßnahmen tatsächlich die Qualität steigern. Insofern hat dies auch eine ethische Dimension.
Warum „viel hilft viel“ nicht immer stimmt
In der deutschen Gesundheitspolitik zielen qualitätsverbessernde Regelungen in erster Linie auf die Strukturqualität ab, also vor allem auf Ausstattung und Personal. Sie sind in der Regel mengenorientiert nach dem Motto: „Viel hilft viel“. Das gilt insbesondere für die Leistungen (Mindestmengen, in Zukunft Mindestvorhaltezahlen) und für das Personal (PpUGV, PPP-RL, Personalvorgaben der Leistungsgruppen).
Allerdings wissen alle, die schon einmal Verantwortung für Personal hatten, dass die einzelnen Personen auch bei gleicher formaler Qualifikation sehr unterschiedlich sind: Hinsichtlich fachlicher und persönlicher Kompetenz, aber leider auch hinsichtlich des Engagements und der Sorgfalt.
Sicher sind Gelegenheitsbehandlungen oder Personalknappheit erhebliche Risikofaktoren für die Versorgungsqualität, aber allein mengenbasierte Vorgaben garantieren keine gute Versorgung. Umgekehrt heißt manchmal weniger auch nicht unbedingt schlechter: Bei der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft haben die deutschen Nationalspielerinnen mehrfach auch in Unterbesetzung hohen Qualitätsfußball abgeliefert, bis zum Viertelfinale auch mit guter Ergebnisqualität.
Sicher trägt Erfahrung (Fallzahlen) und Personalbesetzung zu einem qualitativ guten Ergebnis bei. Aber es ist am Ende nicht zielführend, einfach entsprechende Zahlen vorzugeben, nur weil dies relativ einfach zu messen und sanktionierbar ist.
Versorgung des Einzelnen vs. Versorgung der Gesamtheit
Denn der – in der Gesundheitsversorgung übliche – Blick auf den einzelnen Patienten, der gerade tatsächlich versorgt wird, lässt alle anderen Personen außer Acht. Wenn Qualitätsvorgaben dazu führen, dass eine relevante Anzahl von Menschen die Versorgung gar nicht mehr oder zu spät erreichen, dann fördert das eben nicht die Qualität, jedenfalls nicht unter dem Blickwinkel auf die gesamte Bevölkerung. Die Vorgaben führen zu einer Diskrepanz zwischen der Versorgungsqualität des Einzelnen (in der Versorgung) und der Gesamtheit!
Deutlich wurde dies beispielsweise nach dem Urteil des BSG zur 30-minütigen Erreichbarkeit einer Gefäßintervention nach Eintreffen eines Patienten mit Schlaganfall in der Klinik. Die strukturelle Umsetzung dieses Urteils hätte zu einer erheblichen Ausdünnung der Stroke-Units und damit der Schlaganfallversorgung geführt und in der Konsequenz zu längeren Rettungs- und Anfahrtswegen in ein entsprechendes Zentrum. Dort müssten dann auch diejenigen Patientinnen und Patienten eingeliefert werden, die dessen erweiterte Ressourcen gar nicht benötigen. Beim Schlaganfall („Time is Brain“) sind lange Anfahrtswege und überlastete Notaufnahmen keine gute Idee!
Auch bei der PPP-RL zeigt sich, wie sehr die Versorgung des Einzelnen im politischen Vordergrund steht. Denn in ihr steckt die Philosophie, jeder Patient und jede Patientin hätte jederzeit Anspruch auf das vorgesehene Personal. Dies ist schon wirtschaftlich nicht vertretbar, denn es müsste jederzeit und unabhängig von der tatsächlichen Belegung die Maximalbesetzung vorgehalten werden. Viel wichtiger ist jedoch, dass dies in naher Zukunft gar nicht mehr realisierbar sein wird.
Demografischer Wandel: Wenn weniger Personal mehr leisten muss
Denn angesichts der demografischen Entwicklung mit alternder Bevölkerung und abnehmenden Erwerbstätigen wird es in Zukunft gar nicht mehr um die hohe Qualität der Versorgung des Einzelnen in Bezug auf die Personalbesetzung gehen können. Worum es dann geht, ist viel mehr, die Versorgung überhaupt zu gewährleisten: Wie können wir mit weniger Menschen, die in der Gesundheitsversorgung arbeiten, immer mehr Menschen mit zunehmenden Behandlungsbedarf versorgen.
Der Blickwinkel für Qualitätsvorgaben muss sich entsprechend verschieben – von den einzelnen Patientinnen und Patienten hin zur Versorgung der Gesamtheit. Und ganz ohne Polemik oder Übertreibung fürchte ich, der „Massenanfall von Erkrankten (MANE)“ im Sinne eines Missverhältnisses zwischen Versorgern und zu Versorgenden wird auch ohne Pandemie in nicht allzu ferner Zukunft tägliche Realität: Priorisierung (Triage), Wartezeiten und Wartelisten sowie in Teilen Unterversorgung gehören dann zum Versorgungsalltag.
Neue Perspektiven für Qualitätsvorgaben nötig
Einer der wesentlichen Werte unseres Gesundheitssystems – insbesondere im Gegensatz zu den meisten Systemen in anderen Ländern – ist der nahezu vollständige Zugang der Bevölkerung zu einer relativ umfassenden Gesundheitsversorgung. Das ist die Qualität, die ich erhalten möchte!