Die Neuruppiner Kliniken haben Krankenwagen und Notärzte ins Krankenhaus integriert. Das Beispiel zeigt, dass eine gemeinsame Planung von Rettungsdienst und stationärem Sektor nötig ist, gerade mit Blick auf die geplante gestufte Notfallversorgung. Sinnvoll wäre es, dem integrierten Ansatz noch die ambulante Versorgung hinzuzufügen.
Neongelb strahlt der Rettungswagen, darauf dezent das rote Logo mit dem schwarzen Schriftzug „Ruppiner Kliniken“. Thomas Bruns öffnet die Schiebetür an der Seite des Mercedes Sprinter, drückt auf einen Knopf, und ein Trittbrett fährt heraus. Seit 21 Jahren fährt der 44-Jährige als Rettungsassistent und seit der jüngsten Ausbildungsreform als Notfallsanitäter im Rettungsdienst im Landkreis Neuruppin. Bis zum Jahr 2005 organisierte das Rote Kreuz den Rettungsdienst, dann entschied sich die Kommune, diesen selbst zu übernehmen und vom landkreiseigenen Krankenhaus organisieren zu lassen. „Am Anfang war das schon ein komisches Gefühl“, gesteht Bruns, schließlich ist er bis heute stolzes Mitglied des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), arbeitet dort immer noch ehrenamtlich mit. Seit zwei Jahren ist Bruns stellvertretender Leiter des Rettungsdienstes der Ruppiner Kliniken mit insgesamt 808 Betten. Neun Rettungswagen an drei Haupt- und sechs Nebenstandorten unterhält das Krankenhaus, dazu kommen Notarztwagen und Krankentransporter an zwei Klinikstandorten, die nicht zum landkreiseigenen Krankenhaus gehören.
Jetzt organisiert das Krankenhaus
„Im Nachhinein lässt sich sagen: Die Übernahme des Rettungsdienstes durch die Ruppiner Kliniken hat sich als echter Glücksgriff erwiesen“, sagt Bruns. Es gebe zahlreiche Synergieeffekte, allein beim Thema Medizintechnik. „Früher mussten wir uns selbst damit auseinandersetzen, jetzt organisiert das die Klinik für uns. Wir können die Krankenhausinfrastruktur nutzen.“ Insgesamt steuere der Rettungsdienst drei Kliniken im Landkreis an. Zwei davon werden von der privaten KMG Klinik GmbH getragen. Dort sieht man kein Problem. „Wir stehen nicht in Konkurrenz zu den Ruppiner Kliniken, sondern arbeiten mit den Kollegen gut zusammen“, sagt Tom Hedrich, Leiter der Rettungsstelle des KMG Klinikums Kyritz. In Kyritz unterhält der Rettungsdienst eine eigene Wache. „Der Rettungswagen fährt uns nach Indikation und Dringlichkeit an; ökonomische Motive, aus denen heraus ein Standort bevorzugt angefahren wird, spielen keine Rolle“, sagt Hedrich weiter. Beispielsweise beinhalte die Klinik für Unfall- und Handchirurgie am KMG Klinikum Kyritz das einzige Replantationszentrum für Handverletzungen im Land Brandenburg. Das KMG Klinikum Kyritz sei als regionales Traumazentrum zertifiziert. „In diesem Jahr beginnen die Bauarbeiten für einen neuen Hubschrauberlandeplatz, um Patienten noch besser zu versorgen“, teilt das Klinikum auf Anfrage mit.
Auch Hedrich bestätigt, dass seine Notaufnahme zunehmend Anlaufstelle würde für Patienten, die eigentlich von niedergelassenen Ärzten versorgt werden müssten. Ein Grund aus seiner Sicht: „Es wird in der Region immer schwerer, einen Termin bei einem Facharzt etwa für Orthopädie zu vereinbaren.“ In ihrer Not gehen die Patienten dann eben ins Krankenhaus. Dabei ist die Versorgungslage in Kyritz grundsätzlich günstig. „Die Praxis der Orthopädin Katrin Klostermann befindet sich in unmittelbarer Nähe des KMG Klinikums.“
Anders als im Kreis Neuruppin, ist die Zusammenarbeit zwischen Krankenhaus und Rettungsdienst oftmals schwierig. Ärzte und Sanitäter berichten von Kommunikationsproblemen. Vor allem aber: Es gibt keine Planung von Krankenhäusern und Rettungsdiensten aus einem Guss. In der Debatte über eine sinnvolle Struktur zur Notfallversorgung plant jeder Sektor für sich – Krankenhäuser, Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) und Rettungsdienste.
Weniger Missverständnisse und wertvoller Zeitgewinn
In den Ruppiner Kliniken lobt auch Dr. Erik Weidmann, Chefarzt der zentralen Aufnahme, das integrierte System. „Der Rettungsdienst kann die Strukturen des Krankenhauses schon von außen mitdenken“, erklärt er. Die Folge seien weniger Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Notärzten und Notfallsanitätern auf der einen und Klinikärzten auf der anderen Seite, zumal die Notärzte vom Krankenhaus gestellt werden. „Wir versuchen hier, jeden neuen ärztlichen Mitarbeiter auch zum Notarzt zu qualifizieren.“ Das Ergebnis: Die Zeit zwischen Einsatzort und Versorgung im Krankenhaus ist kürzer.
Weidmann weiß, wovon er spricht. Der 47-jährige Facharzt für Innere Medizin und Allgemeinmedizin blickt auf mehr als 5.000 Einsätze als Notarzt zurück, wie er sagt. „Davon mehr als 1.000 in der Luft.“ Gerade in Brandenburg spielt der Rettungsdienst in der Versorgung eine zentrale Rolle. Es gibt keinen Maximalversorger; komplizierte Fälle werden in einem der fünf Schwerpunktversorger behandelt. Seltene Extremfälle, etwa nach Brandverletzungen, werden nach Berlin oder Hamburg in die dortigen Spezialversorger gebracht. „Unfallpatienten können wir mit wenigen Ausnahmen genauso gut versorgen wie Maximalversorger in den Großstädten“, sagt der klinische Geschäftsführer Dr. Matthias Voth.
Bauchschmerzen bereiten dem Krankenhaus zwei Entwicklungen, die auch an vielen anderen Orten Deutschlands dem stationären Sektor Sorgen machen. Zum einen strömen immer mehr Patienten in die Ambulanz, zum anderen droht das Konzept der gestuften Notfallversorgung, das der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) gerade ausarbeitet, die derzeitigen Strukturen zu überfordern.
Es sei unklar, inwieweit die anderen Kliniken in der Region die neuen Vorgaben erfüllen können, heißt es in Neuruppin. Doch die Entfernungen sind groß. Im Umkreis von 50 km gebe es keine andere Einrichtung. „Entweder werden dort Kapazitäten aufgebaut, oder wir benötigen mehr Kapazitäten im Rettungsdienst, da die Einsatzwagen künftig länger unterwegs sein werden“, sagt Voth. Chefarzt Weidmann ergänzt: „Wenn das so kommt, dann benötigen wir hier einen weiteren Standort für einen Rettungshubschrauber.“
Schon heute betreuen seine Ärzte zwei Standorte für die Luftrettung. Die Hubschrauber dort in Trägerschaft des Landes Brandenburg werden vom ADAC betrieben. Zum nächsten Standort sind es vom Krankenhaus aus 80 Kilometer – keine glückliche Lösung, aber historisch so gewachsen. Es müsse auch überlegt werden, ob dann nicht Kapazitäten im Krankenhaus Neuruppin aufgebaut werden, sagt Voth.
Ein weiteres entscheidendes Problem ist aber die Inanspruchnahme der Notfallversorgung durch Patienten. Notfallsanitäter Bruns berichtet, dass sich in den zurückliegenden 20 Jahren die Krankheitsbilder massiv verschoben hätten. Die Zahl der Unfälle sei deutlich zurückgegangen. „Hier wirkt Prävention, die klassischen Unfälle Samstagnacht nach Discobesuchen unter Alkoholeinfluss haben sich eindeutig reduziert“, erklärt er. Dafür habe die Zahl von Einsätzen aufgrund psychischer Fehlfunktionen stark zugenommen, oftmals in Zusammenhang mit Suchterkrankungen. Und dann gebe es noch immer mehr „Taschenfahrten“. Soll heißen: Personen rufen den Krankenwagen; wenn Bruns’ Teams ankommen, wartet der Patient bereits mit gepackten Taschen, um ins Krankenhaus gefahren zu werden. „Für den Notarzt ist es dann schwer, zu entscheiden, den Patienten nicht mitzunehmen, denn ohne gründliche Untersuchung besteht immer die Gefahr, dass tatsächlich eine Erkrankung vorliegt.“
Ein Bierdeckel soll helfen
Die Bevölkerung hat offenbar wachsende Ansprüche an das Gesundheitssystem. Stellt sich die Frage, ob das System diese erfüllen kann. Denn ob Krankenwagen oder Notaufnahme – die Zahl der Patienten wächst immer weiter. In den Klinikambulanzen ist das aber mitunter auch darauf zurückzuführen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) ihren Auftrag oftmals nur unzureichend erfüllen. Krankenhäuser auch in Berlin berichten, dass niedergelassene Ärzte ihren Patienten empfehlen, ins nächste Krankenhaus zu gehen, wenn die Praxis etwa aufgrund von Urlaub geschlossen ist. Sind nicht ausreichend Ärzte vorhanden, um alle KV-Sitze zu besetzen, werden schon mal KV-Bezirke vergrößert, sodass es offiziell keine Unterversorgung gibt.
Das Krankenhaus in Neuruppin versucht, Patienten davon abzubringen, zu schnell ins Krankenhaus zu gehen, anstatt einen KV-Arzt aufzusuchen. Dazu dient ein Bierdeckel (Abb.).
Nach der sogenannten Manchester-Triage werden in Weidmanns zentraler Notaufnahme Patienten nach der Dringlichkeit ihrer Versorgung in fünf farbliche Kategorien eingeteilt. Blau bedeutet, dass ein Patient innerhalb von 120 Minuten einen Arzt sehen muss, Grün innerhalb von 90 Minuten. Blaue und grüne Patienten müssen nicht unbedingt in einer Notaufnahme versorgt werden, sie können meistens auch in die Praxis eines niedergelassenen Arztes gehen. In manchen Häusern, etwa dem Unfallkrankenhaus Berlin (UKB), werden Patienten dieser Stufe in die Portalpraxis der KV weitergeschickt. Die dringlichste Kategorie ist Rot; Patienten dieser Stufe müssen sofort von einem Arzt begutachtet werden, eine Behandlung im Krankenhaus ist nötig. Patienten in der Kategorie Orange oder Gelb müssen „dringend“ oder „sehr dringend“ einen Arzt sehen; die maximale Wartezeit darf zehn beziehungsweise 30 Minuten betragen. Gelb, Orange und Rot – diese Patienten gehören tatsächlich ins Krankenhaus.
Die Neuruppiner Kliniken haben dieses System nun auf Bierdeckel gedruckt und dazu die wahrscheinliche Wartezeit angegeben. „Eine längere Wartezeit bei blauen Patienten sollte etwas abschreckend wirken“, berichtet Weidmann.
100 Prozent Erfolg kann das Klinikum aber noch nicht melden, die Notaufnahme wird immer noch überlaufen. Die Politik will das Problem der überlasteten Klinikambulanzen mit Notdienstpraxen an den Krankenhäusern lösen. Die Krankenhausreform von Minister Hermann Gröhe (CDU) schreibt diese Portalpraxen vor für Zeiten außerhalb der Sprechstunden niedergelassener Ärzte. In Brandenburg ist das mitunter schwierig. Die KV berichtet immerhin über Bereitschaftspraxen in Potsdam (dort bereits seit 2012, also noch deutlich vor der Krankenhausreform von Minister Gröhe), Cottbus, Brandenburg, Eberswalde und Rüdersdorf. „Die nächsten Standorte sind in Vorbereitung; so eröffnet Anfang April eine KV RegioMed Bereitschaftspraxis in Königs Wusterhausen“, teilt Pressesprecher Christian Wehry auf Anfrage mit und erklärt weiter: „In den Praxen erhalten die Patienten außerhalb der üblichen Sprechzeiten der Arztpraxen eine ambulante Versorgung bei akuten, nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen; dadurch werden die Rettungsstellen von den fehlallozierten, ambulant zu versorgenden Akutfällen befreit.“
Das Problem aus Sicht vieler Krankenhäuser: Den KV-Notdienst übernehmen Fachärzte verschiedenster Disziplinen, nicht immer nur Allgemeinmediziner, Internisten oder Unfallchirurgen, wie das beispielsweise die Kooperation zwischen dem Unfallkrankenhaus Berlin und der KV Berlin vorschreibt (s. Seite 411). Die KV Brandenburg gesteht zu: „Die Praxen sind nicht auf bestimmte Fachrichtungen beschränkt.“
In Neuruppin setzt Chefarzt Weidmann deshalb nicht auf das Konzept. Pro Jahr kommen 28.000 Patienten in seine zentrale Aufnahme. „Es ist wichtig, dass wir für Entscheidungen in unseren Wänden auch die Verantwortlichkeiten klären können“, sagt er. Das gehe jedoch nur bei eigenem Personal, einer eigenen Praxisstruktur. Die Lösung würde lauten, dass das Krankenhaus eigene KV-Sitze beantragt. Ob das funktioniert und ob die KV diesen Weg mitgeht, ist derzeit noch offen.
Links in die Notdienstpraxis, rechts in die Notaufnahme des Krankenhaues: Im St. Joseph-Stift Bremen arbeiten die Praxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und die Klinikambulanz seit Oktober 2015 unter einem Dach. Lediglich ein breiter Flur trennt die Räumlichkeiten. Weiß ein Patient nicht, ob er links oder rechts abbiegen muss, berät ihn eine meist ehrenamtliche Helferin. „Wir sind sehr zufrieden hier, und seit der Kooperation erleben wir eine echte Entlastung unserer Notaufnahme“, erzählt Carsten Ludwig, Pflegedirektor des St. Joseph-Stifts. Dem Einzug der ärztlichen Bereitschaftsdienstzentrale Bremen-Stadt war eine mehrmonatige Umbauphase im Erdgeschoss des Krankenhauses vorangegangen, wobei der gesamte Eingangsbereich modernisiert worden sei, berichtete das Krankenhaus im vergangenen Herbst anlässlich des ersten Jahrestages der Kooperation. Am Standort befinden sich weitere Praxen der Ambulanten Klinik am St. Joseph-Stift sowie zwei Ärztehäuser.
„Die Zusammenarbeit läuft geradezu in Perfektion“, freut sich auch KV-Pressesprecher Christoph Fox auf Anfrage. Er spricht von einem „absoluten Leuchtturmprojekt des kleinen Bundeslandes Bremen“. In erster Linie übernehmen Hausärzte den Bereitschaftsdienst in der Praxis am Krankenhaus, die tagsüber am Wochenende und Mittwochnachmittag geöffnet ist. Dafür erhalten die niedergelassenen Mediziner eine Pauschale und zusätzlich eine Einzelvergütung für jeden behandelten Patienten. Die KV sei Mieter, bezahle eine „ortsübliche Miete“, sagt Fox.