2016 hatte ich an dieser Stelle darüber geschrieben, was passiert, wenn das Schicksal uns ein Schnippchen schlägt. Wie wir trotz predictive analytics, trotz intensivster Planungen und trotz unablässiger Versuche, alles unter Kontrolle zu halten, ganz plötzlich und unerwartet aus dem Gleichgewicht geraten können. Genau das ist jetzt weltweit passiert, allerdings in einer Dimension, die auch für mich unvorstellbar gewesen ist. Von einem Tag auf den anderen ist plötzlich alles ganz anders. Im beruflichen Alltag, in der Familie, für manche auch im Hinblick auf die Lebensperspektive.
Wir können stolz darauf sein, in welcher Geschwindigkeit unsere Krankenhäuser reagiert haben, mit welcher Dynamik zusätzliche Beatmungskapazitäten und Isolierbereiche aufgebaut wurden. Gott sei Dank war es bisher nicht notwendig, sie vollständig in Anspruch zu nehmen. Größte Aufmerksamkeit muss uns allerdings auch die nächsten Monate begleiten, um die Corona-Situation, die ja keineswegs an Gefährlichkeit eingebüßt hat, weiterhin so gut wie möglich unter Kontrolle zu halten. Stolz können wir auf unser Gesundheitssystem sein, auf das, was wir in den letzten Jahrzehnten an Kompetenz, Flexibilität und gleichwertigem Zugang zur Versorgung ausnahmslos für alle aufgebaut haben. Stolz können wir auch auf unsere Politikerinnen und Politiker sein, die sehr schnell, klar, manchmal auch hart parteiübergreifend Entscheidungen getroffen haben, ohne auf Erfahrungen mit einer solchen Situation zurückgreifen zu können. Der Zusammenhalt war enorm. Szenen, wie sie unsere Nachbarländer erlebt und durchlitten haben, sind uns nicht zuletzt deswegen erspart geblieben.
Kaum scheint das Schlimmste überwunden, drohen wir zurückzufallen in die alten Spielchen und Eitelkeiten: Manche nutzen die neuen Regeln aus (560 Euro mitnehmen und zugleich Kurzarbeit anmelden), andere jammern, dass alles viel zu wenig ist, ohne dass sie belastbare Zahlen vorlegen könnten. Wieder andere fordern, dass Corona ihrem toten Krankenhaus wieder neues Leben einhauchen soll. Ich denke, Politik und Kassen beobachten sehr genau, was da gerade passiert.
Unser Gesundheitssystem steht am Scheideweg. Wie wird die „Neue Normalität“ aussehen, welches Paradigma wird greifen? Das Regulierungs- oder das Dynamisierungsparadigma? Die Rufe nach mehr Staat und Regulierung werden lauter, Krankenhäuser müssten (re)kommunalisiert werden, die Beschaffung von Schutzmaterial gehöre in staatliche Hände, (noch) mehr Geld müsse ins System. Schon vor Corona waren wir auf dem Weg zum Regulierungsparadigma, ich erinnere nur an die unsägliche Pflegekostenausgliederung aus dem DRG-System. Die Politik könnte stattdessen die gesellschaftliche Dynamik mobilisieren, das Spiel der Kräfte auf dem Gesundheitsmarkt ordnungspolitisch gut austarieren, die Interessen und Wünsche der Patienten in den Mittelpunkt stellen und die Dynamik der Technik und der Digitalisierung zur Erhöhung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit forcieren. Denken wir daran: Der Wettbewerb mit seiner Innovationskraft ist dafür verantwortlich, dass unser deutsches Gesundheitssystem so stark ist. Viel stärker als die vorwiegend staatlich regulierten Systeme in Italien, Spanien oder in England.