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  • 01.11.2022

f&w

Ausgabe 11/2022

Seite 1050

Prof. Dr. Jochen Werner

 

Vor Kurzem tweetete unser Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu einem Gespräch mit dem Pfleger Ricardo Lange zu Reformen in der Pflege sowie der Frage, wie die Entlastung der Pfleger:innen durch Entbürokratisierung gelingen könne. Herr Lange warnte vor einer neuen „Digitalbürokratie“ und sprach sich dafür aus, „wenig auf Papier“ statt „viel digital“ zu dokumentieren, Letzteres sei ein Holzweg. Ich muss sagen, dieser Tweet ließ mich ernüchtert und fassungslos zurück. Und dies aus mehreren Gründen: Zum einen gehorcht die Dokumentation der Pflege und generell der ärztlichen Behandlung den entsprechenden Vorgaben sowie Vorschriften, unabhängig vom „Speichermedium“. Es ist keineswegs so, dass auf Papier nur „wenig“ und digital „viel“ dokumentiert werden muss. Und zum anderen haben wir in Deutschland nicht im Geringsten das Problem einer überbordenden „Digital“-Bürokratie – dies würde ja bedeuten, dass wir über eine hochentwickelte digitale Infrastruktur verfügen, was mitnichten der Fall ist. Wir haben im Gesundheitssystem vielmehr das Problem des Papierstaus in Hunderttausenden von Faxgeräten, über die die Kommunikation zwischen den Akteuren noch hauptsächlich läuft.

Was mir aber am meisten Sorgen macht, sind die dahinterstehende Geisteshaltung, die Ablehnung von Innovation und Fortschritt sowie die grundlegende Skepsis gegenüber der Digitalisierung, welche natürlich Veränderungen im Denken und Handeln erfordert. Leider, und das ist vielleicht die bitterste Erkenntnis, ist zu befürchten, dass die Meinung von Herrn Lange von zahlreichen Akteuren im Gesundheitswesen geteilt wird. Aber wie außer durch Digitalisierung und Strukturreformen – in erster Linie durch die spürbare Reduzierung von Kliniken – lassen sich die epochalen Herausforderungen des Gesundheitssystems lösen? Wie managen wir den Pflegenotstand, der sich allen Wolkenkuckucksheimen und allen „Tarifverträgen Entlastung“ zum Trotz in den nächsten 20 bis 30 Jahren sicherlich nicht auflösen, sondern weiter verschärfen wird? Wie schließen wir vor dem Hintergrund des demografischen Wandels das immer größer werdende Delta zwischen Beitragszahlern und Leistungsempfängern, zwischen Pfleger:innen sowie Pflegebedürftigen? Wer kann wirklich glauben, dass die Rückbesinnung auf Papier Pflegekräfte entlastet?

An der Universitätsmedizin Essen machen wir im Rahmen des Smart Hospitals mit unserer elektronischen Patientenakte ganz andere Erfahrungen. Sie ist kein Allheilmittel gegen die Arbeitsverdichtung, aber doch ein spürbarer Beitrag für mehr Freiräume im Arbeitsalltag, weil sie Zeitersparnis bedeutet und mehr Zeit für die Patient:innen schafft. Sie bringt im Vergleich zu Papier nicht weniger, sondern signifikant mehr Datenschutz, weil Zugriffsrechte exakt eingerichtet werden können. Und sie bedeutet durch die Vermeidung von Missverständnissen und Übertragungsfehlern auch signifikant mehr Patientensicherheit. Wir brauchen nicht nur konkrete Initiativen wie das Krankenhauszukunftsgesetz als wichtigen Impuls für eine moderne, datengestützte Medizin. Wir brauchen ganz grundsätzlich eine neue Mentalität, die die Lösungsbeiträge der Digitalisierung erkennt und fördert statt bekämpft. Ich kann nur hoffen, dass Bundesgesundheitsminister Lauterbach zum Vorreiter einer digitalen Medizin und nicht zum Bewahrer überkommener Denk- und Handlungsmuster wird.

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