VLK

Die Reform wird durch Insolvenzen bezahlt

  • Politik
  • Titel
  • 26.07.2023

f&w

Ausgabe 8/2023

Seite 696

Dr. Michael A. Weber Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte (VLK)

Die fehlenden finanziellen Zusagen schüren die Angst unter Klinikern, dass die Mangelverwaltung in den kommenden Jahren weiter zunimmt.

Nach weiteren Zugeständnissen des Bundes haben sich Bund und Länder auf ein Eckpunktepapier zur Krankenhausreform geeinigt. Viele Details bleiben aber noch offen, vor allem die Finanzierung dieses enormen Transformationsprozesses. Ein von Ländern und den Kliniken bisher vehement geforderter Inflations- und Tarifausgleich durch ein Vorschaltgesetz wird von Minister Lauterbach weiter abgelehnt. Er spricht erstaunlich ungerührt von zahlreichen zu erwartenden Insolvenzen, will Hilfen klären, macht aber wenig Hoffnung. Die Reformen lassen frühestens 2026 eine finanzielle Unterstützung für die Kliniken erwarten. Es scheint Kalkül, dass die enormen finanziellen Engpässe der Kliniken einen Teil der Strukturreform im Sinne einer kalten Strukturbereinigung erledigen sollen. Im Endeffekt wird die Reform damit durch Insolvenzen bezahlt. Die Erarbeitung eines Referentenentwurfs ist in der Sommerpause geplant. In den Tagen nach der Zustimmung schwant dem einen oder anderen schon, ob da nicht noch das böse Erwachen kommt.

Level und Transparenz

An sich sind die Level vom Tisch. Der Bund will sie aber zur transparenteren Darstellung von Qualitätsangaben einführen. Dafür plant er ein eigenes Gesetz noch in diesem Jahr, obwohl es an sich bereits gesetzlich geregelt ist. Nach Ansicht der Länder können diese Berichte aber keine Konsequenz für Qualitätsstandards, Versorgung, Vergütung oder Krankenhausplanung haben. Wie das gehen soll, bleibt offen. Die Fundamentalisten in der Regierungskommission werden weiter versuchen, durch eine Verknüpfung dieser „Qualitätslevel“ mit den Leistungsgruppen, die die Länder an sich strikt ablehnen, eine Zentralisierung durch die Hintertür doch noch einzuführen. Alle sprechen aber bisher noch vom Level 1i und suchen erst jetzt nach einer politisch korrekten Formulierung wie regionales Versorgungszentrum oder medizinisch-pflegerisches Versorgungszentrum. Eine transparente Veröffentlichung der vorhandenen Qualität wird von allen begrüßt. Die Parameter, die neben der Strukturqualität in der Regel aus Routinedaten gewonnen werden, bedürfen der sorgfältigen Aufarbeitung durch Risikoadjustierung, strukturierten Dialog und möglichst Peer-Review-Verfahren. Nur dann kann man seriös über Ergebnisqualität sprechen. Unnötige Spekulationen über angeblich vermeidbare Todesfälle in der Schlaganfallbehandlung aus kaum überprüften Routinedaten mit einem offensichtlichen Bias errechnet, die die Kliniken an den Pranger stellen, dürfen sich nicht wiederholen.

Der GKV-Spitzenverband begrüßt die Stoßrichtung der Klinikreform, befürchtet aber eine Verwässerung durch Ausnahmen. Von einer „bedarfsgerechten“ Kliniklandschaft besteht im GKV-Spitzenverband derweil eine ganz genaue Vorstellung. Welche das ist, beschreibt Stefanie Stoff-Ahnis.

Leistungsgruppen

Bei den Leistungsgruppen hat man sich auf die 60 somatischen aus NRW plus fünf (Infektiologie, Notfallmedizin, spezielle Traumatologie, spezielle Kinder- und Jugendmedizin und spezielle Kinderchirurgie) geeinigt. AWMF, BfArM und InEK sollen die Mindeststrukturmerkmale in Abstimmung mit den Ländern festlegen, die jetzt das Initiativrecht zugesprochen bekommen haben. Hiermit soll ein umfassendes Mitentscheidungsrecht verbunden werden. Das erschwert nachträgliche entscheidende Änderungen, deren Möglichkeit der Bund gerne installiert hätte.

Vorhaltefinanzierung

Durch die Einrichtung einer Vorhaltefinanzierung soll die Bereitstellung von Strukturen in Krankenhäusern weitgehend unabhängig von der Leistungserbringung zu einem relevanten Anteil gesichert werden. Das wird an sich von fast allen Playern im Gesundheitswesen befürwortet, aber die Umsetzung ist nicht trivial. Hier stößt man rasch an die Grenzen, wenn man das Leistungsspektrum möglichst exakt abbilden möchte. Vielleicht behilft man sich hier mit zusätzlichen Untergruppen. Die Vorhaltepauschalen führen aber keinesfalls zu einer Erhöhung des Erlösvolumens, da die Mittel aus einer Absenkung der aDRG durch Umverteilung gewonnen werden sollen. Das heißt, die Unterfinanzierung besteht fort. Es sei denn, man schließt so viele Kliniken, bis das Geld wieder reicht. Das ist offenkundig der Weg, um aus der finanziellen Misere herauszukommen. Wie die Versorgung dann weiter gesichert werden kann, wird erstaunlich wenig diskutiert.

Level 1i

Dieses schon zuvor in seiner Bedeutung umstrittene Level 1i wird jetzt als Lösung eines sektorenübergreifenden Konzeptes angepriesen. Er soll der wesentliche Bestandteil der interdisziplinären Grundversorgung werden, jetzt aber doch unter ärztlicher Leitung. Wohnortnah wäre er dann zuständig für ambulant fachärztliche und medizinisch-pflegerische Leistungen sowie wesentlicher Bestandteil der Aus- und Weiterbildung. Wichtiger Schwerpunkt sollen auch AOP-Leistungen nach § 115 b SGB V und § 115 f SGB V sowie belegärztliche Leistungen sein. In einer Ergänzung hat man jetzt eingeräumt, dass sie dann die Qualitätsvorgaben vor allem für komplexere Leistungen nach § 115 f SGB V einhalten müssen. Das scheint für die wenigsten machbar. Es wird schwierig werden, hierfür ärztliches Personal, in welcher Funktion auch immer, zu gewinnen, es sei denn, man widmet die Häuser in ambulante OP-Zentren um. Das kann aber vor allem auf dem Land nicht wirklich die Aufgabe sein. Dort wird es wohl doch häufiger eine Stätte medizinisch-pflegerischer Versorgung werden. Eine nennenswerte ärztliche Weiterbildung in solchen Häusern ist kaum vorstellbar. Vieles klingt nach Wunschdenken, damit auf dem Türschild weiter Krankenhaus stehen kann.

Fazit

Die Einigung auf Eckpunkte ist erreicht, aber der Teufel wird im Detail der offenen Unterpunkte stecken, die ganz entscheidend werden können. Die Enttäuschung über fehlende finanzielle Zusagen, um die Kliniken auf dem Weg in die Umstrukturierung zu stützen als auch für die Finanzierung der Transformation ist groß. Man kann an sich nicht verstehen, wie die Länder hier ohne irgendwelche Zusagen zustimmen konnten. Bayern hat das abgelehnt, weil es sich gerade in diesem Punkt über den Tisch gezogen fühlte. Finanzielle Unterstützung war Bedingung. Minister Lauterbach kündigt unverblümt weitere Insolvenzen an, die die Reform absehbar nicht stoppen kann, allein seine Ankündigung beschleunigt den Prozess der kalten Strukturbereinigung. Die Verunsicherung ist bereits jetzt überall zu spüren: Strategische Entscheidungen werden vertagt, Vertragsverhandlungen abgebrochen, Banken fordern horrende Zinsen. Kliniken stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand. Der Minister kommt schlicht und einfach seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nach. Unter Entökonomisierung hatten wir etwas anderes verstanden. Auch die erhoffte Personalumverteilung, insbesondere im Pflegebereich, wird nach bisheriger Erfahrung allenfalls unzureichend stattfinden. Minister Lauterbach hält im Moment die Informationshoheit in den Medien mit den Themen Qualität, Entökonomisierung und Transparenz. Kritiker werden als Blockierer oder Bedenkenträger abgetan. Wenn ihn da nicht eine Insolvenzwelle der Kliniken demnächst gerade rechtzeitig zu den anstehenden Landtagswahlen einholt.

Mein Optimismus ist gedämpft, dass wir auf diesem Weg zu der dringend notwendigen Strukturreform kommen können. Die fehlende Finanzierung des Transformationsprozesses schürt die Angst, dass sich die Mangelverwaltung intensiviert.

Autor

f&w führen und wirtschaften im Krankenhaus

Die Fachzeitschrift für das Management im Krankenhaus

Erscheinungsweise: monatlich

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