Schneller Leben retten, OP-Zeiten verkürzen, Medikamente transportieren: Drohnen überwinden als logistische Helfer Stadt, Land, Fluss und könnten in den nächsten Jahren die Gesundheitsversorgung revolutionieren. Wie aus Science-Fiction Realität werden kann, zeigen einige Projekte.
Die handgroßen Propeller starten zügig, drehen sich immer schneller. Ein leises Surren erklingt dabei und plötzlich hebt die Drohne ab. Ganz kontrolliert, beinahe wie an einem Faden hinaufgezogen, steigt sie geradewegs hoch empor. Angekommen in fast 150 Metern Höhe zwischen Himmel und Erde, hat sie ihr Ziel bereits anvisiert, steuert geradewegs darauf zu. Sie hat es eilig, denn sie transportiert ein hohes Gut: Die Gewebeproben eines Klinikpatienten in ihrem Bauch müssen zügig ins nächste Krankenhaus. Es muss schnell gehen, der Transport ist zeitkritisch. Rasant fliegt sie mit rund 100 Stundenkilometern (km/h) zu ihrem Zielkrankenhaus mit dem nächstgelegenen Labor. Jedes Hindernis ist ihr bekannt, jedes Gefahrenpotenzial einkalkuliert. Ein Pilot sitzt als Back-up in einem Kontrollzentrum, kann jederzeit in den automatisierten Flug eingreifen. Währenddessen wartet der Patient, dem zuvor ein Schnellschnitt entnommen wurde, auf dem OP-Tisch, bis die Laborergebnisse da sind und die Ärzte die Operation fortsetzen können.
Drei Projekte
- Erstmals in Europa sind ab Spätsommer 2023 Drohnen im Regelflugbetrieb in der Medizinlogistik unterwegs. Diese unbemannten Luftfahrzeuge transportieren Laborproben zwischen den Helios Kliniken in Breisach und Müllheim. Bis zu 70 weitere Routen im gesamten Helios-Netzwerk sind denkbar.
- Zwei Drohnenprojekte der Universitätsmedizin Greifswald zeigen: Unbemannte Flugkörper können in ländlichen Gebieten die Gesundheitsversorgung verbessern. So sind die Drohnen in der Lage, überlebenswichtige Defibrillatoren in wenigen Minuten zum Patienten in Not zu transportieren, während Rettungswagen und Ersthelfer parallel herbeieilen, oder sie bringen Blutproben zügig von A nach B.
- Die Vision der St. Franziskus-Stiftung Münster ist, logistische Drohnenflüge anzubieten. Sie sollen zukünftig unter anderem die Befundung von Gewebeproben onkologischer Operationen beschleunigen und somit Entscheidungen der Operateure am OP-Tisch unterstützen.
„Wenn wir es hier in Hamburg geschafft haben, können wir es überall schaffen.“ Sabrina John, Koordinatorin des Innovationsprojekts Medifly
Neue Mobilitätsebenen nutzen
Es ist ein Szenario, das inzwischen mehr als nur eine Vision ist. Was lange als Science-Fiction galt, könnte bis zum Ende des Jahrzehnts bereits ganz normal und im Klinikalltag etabliert sein, sagt Fabian Binz. Er entwickelt unbemannte Flugsysteme und Bodenstationen für die urbane Logistik von morgen. Der Luftraum biete eine neue Mobilitätsebene für Unternehmen und Krankenhäuser, sagt er. Das Ziel sei, Luftbrücken zwischen verschiedenen Krankenhausstandorten zu etablieren. Die unbemannten Luftfahrzeuge (englisch: Unmanned Aircraft Systems, UAS) sollen anfallende medizinische Proben transportieren – so die Idee. Das geht schneller als mit dem Auto und ist nachhaltiger dank des elektrischen Antriebs. An den Klinikstandorten werden spezielle Bodenstationen – kleine Landeplätze – eingerichtet.
Flugsicherheit
Einige Drohnenprojekte befinden sich hierzulande wegen langwieriger Genehmigungsprozesse in der Warteschleife. "Häufig stimmen die Parameter für den Testflug nicht mit den Parametern für den regulären Flugbetrieb überein", sagt Jannik Donner, Leiter des Bereichs Unbemannte Luftfahrt beim Regierungspräsidium Kassel. Im f&w-Interview gibt er Einblicke in die Flugsicherheit und erklärt, warum die Umsetzung der Projekte immer wieder stagniert, aber man optimistisch bleiben sollte.
Je nach Route sei von einer vier bis sieben Mal schnelleren Zustellung auszugehen, sagt Binz. Die Flugkörper erreichen problemlos eine Geschwindigkeit von 100 km/h oder sogar mehr. Start und Landung dauern weniger als 30 Sekunden, ein Flug zwischen den Standorten mit einer Distanz bis zu 4 Kilometern (km) sei in unter 5 Minuten (min) denkbar. Die flinken Helfer fliegen in circa 120 Metern (m) Höhe, das Limit liegt bei 500 Fuß, also etwas mehr als 150 m. Die Reichweite der UAS beträgt aktuell noch 20 km, die Nutzlast bei 2,5 Kilogramm (kg) und das Gesamtvolumen bei 18 Litern. „Künftig sind auch 30 bis 40 km mit bis zu 5 kg Transportgewicht denkbar, je nach Marktentwicklung“, so Binz. Abgerechnet wird mit dem Drohnenhersteller pro km, der für jede Route festgelegt ist.
Felix Hoffmann, Professor für Digital Health, sieht einige Potenziale in den Flügen: „Mithilfe der Drohnentransporte lassen sich einige Prozessschritte optimieren und automatisieren, die Mitarbeitenden entlasten und manche Prozesse womöglich ganz weglassen.“ Anfangs muss zwar ein Mitarbeiter an der Bodenstation sein, um die Proben zu Sendungsbeauftragung in eine Schublade zu legen oder sie dort in Empfang zu nehmen. Langfristig sollen aber alle Zwischenschritte automatisiert sein, die Proben quasi von selbst in die Rohrpost laufen und auf dem Tisch im Labor ankommen.
"Dort, wo die bemannte Luftfahrt heute steht, hat sie auch 100 Jahre gebraucht. Die unbemannte Luftfahrt wird keine 100 Jahre mehr brauchen, aber es wird sicher noch eine Weile dauern, bis sie voll im Alltag angekommen ist." Jannik Donner, Leiter des Bereichs Unbemannte Luftfahrt beim Regierungspräsidium Kassel
Medifly in Hamburg
In Hamburg koordiniert Sabrina John bereits seit drei Jahren das Innovationsprojekt Medifly, das als Betreiber Drohnenflüge im Gesundheitswesen der Hansestadt anbieten will. Sieben Klinikstandorte wollen sich künftig an das Flugnetz anschließen. Transportiert werden sollen Labor- und Gewebeproben sowie Medikamente – alles zwischen ein paar Hundert Gramm und 3 bis 4 kg. Mit dabei sind die Asklepios Kliniken Hamburg, die Schön Klinik Eilbek, das Bundeswehrkrankenhaus und das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE).
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