Hybrid-DRG

Ambulantisierung: SV-Pauschale folgt auf DRG

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  • 26.01.2023

f&w

Ausgabe 2/2023

Seite 122

Am Beispiel der Orthopädie und Unfallchirurgie legen unsere Autoren einen Vorschlag für einen neuen Leistungsbereich ambulantes Operieren vor. Dieser wäre auch auf andere Bereiche übertragbar. 

Der Gesetzgeber hat Anfang Dezember im Krankenhauspflegeentgeltgesetz (KHPflEG) seine Vorstellungen bezüglich einer speziellen sektorengleichen Vergütung verabschiedet. Ein neuer § 115 f. SGB V reiht sich ein in die existierenden Regelungen zu dreiseitigen Verträgen und Rahmenempfehlungen zwischen Krankenkassen, Krankenhäusern und Vertragsärzten. Es soll eine sektorengleiche Vergütung für ausgewählte Leistungen des Katalogs für ambulante Operationen (§ 115 b SGB V) entstehen. Diese sollen folgende Attribute erfüllen:

  • Hohe Fallzahl im Krankenhaus
  • Kurze Verweildauer
  • Geringer klinischer Komplexitätsgrad

Eine initiale Auswahl von Leistungen wird zunächst zwei Jahre Gültigkeit haben und soll dann turnusmäßig alle zwei Jahr überprüft werden. Eine solche Anpassung findet idealerweise auf der Basis von dann vorhandenen und evaluierbaren Versorgungseffekten statt. Daher sollen die Auswirkungen der speziellen sektorengleichen Vergütung auf

  • die Versorgung der Versicherten,
  • die Vergütungen der Leistungserbringer sowie
  • die Ausgaben der Krankenkassen im Rahmen von Sekundärdatenanalysen regelmäßig alle 18 Monate evaluiert werden (§ 115 f. Abs. 5 SGB V).

Wie kann die Operationalisierung dieser Gesetzesinitiative gelingen – und liefert die sogenannte „spezielle sektorengleiche Vergütung“ erforderliche Systemanreize zu mehr ambulanten Leistungen, um international gleichzuziehen?

Auswahl von Leistungen für eine Vergütung

Für die Orthopädie und Unfallchirurgie (O&U) haben das Wiesbaden Institut for Healthcare Economics and Patient Safety (WiHelp) und der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU) ein umfassendes sektorengleiches Versorgungs- und Vergütungsmodell für alle DRG in der Partition für Krankheiten und Störungen am Muskel-Skelett-System (MDC 08) analysiert. Um Eingriffe und Operationen mit den oben genannten Ausprägungen zu erhalten, wurden bestimmte DRG ausgeschlossen:

  • Geringe Fallzahlen
  • Lange mittlere Verweildauern (≥ 4 Tage)
  • Komplexe Leistungsinhalte wie Endoprothetik, Wirbelsäuleneingriffe, Infekte, Tumororthopädie et cetera
  • Kombinationseingriffe als Leistungsinhalt
  • Keine Eingriffe als Leistungsinhalt (konservative Behandlungen)
  • Eingriffe der Notfallversorgung (Frakturen, Polytraumen)
  • Erhöhter Betreuungsaufwand wie kindliches Alter, erhöhte Patient Clinical Complexity Level (PCCL) et cetera

Ferner wurden für die Auswahl die PCCL, sprich Komplexitätsgrade, berücksichtigt. Die Fallschwere in den ausgewählten Behandlungsschwerpunkten befindet sich zu über 92 Prozent in der Kategorie ohne Komplikation (PCCL 0). Initial wurden so die 176 DRG insbesondere hinsichtlich der Kriterien „kurze Verweildauer“ und „geringer Komplexitätsgrad“ auf die folgende DRG als Versorgungsschwerpunkte (Tabelle 1) verdichtet.

Die Versorgungsschwerpunkte umfassen im Wesentlichen Arthroskopien an Schulter und Kniegelenk, Vorfußoperationen und Metallentfernungen. Diese haben die nützliche Eigenschaft, durch jeweils eine OPS-Ziffer ausgelöst zu werden. Für eine initiale Liste an Leistungen entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers wurden diese Schwerpunkt-OPS-Ziffern identifiziert und mit dem aktuellen AOP-Katalog (2023) auf Übereinstimmung geprüft. Hierdurch konnte eine Liste von 351 OPS-Ziffern für O&U in Zusammenhang mit den sieben ausgewählten Behandlungsschwerpunkten aus Tabelle 1 identifiziert werden. Diese sollen perspektivisch über eine Fallpauschale der speziellen sektorengleichen Vergütung (SV-Pauschale) abgerechnet werden.

Sektorengleiche Fallpauschale

Die zu vereinbarende Vergütung ist den Vorstellungen des Gesetzgebers entsprechend für jede vereinbarte Leistung – das heißt OPS-Ziffer – individuell als Fallpauschale zu kalkulieren. Die neue Vergütung aus vorliegender Systematik für O&U sieht folgende Lösung vor:

Mischpreisbildung nach bisherigem Ambulantisierungsgrad

Der Einstieg in eine spezielle sektorengleiche Vergütung sieht die Kalkulation über bisherige Vergütungsvolumina und Fallzahlen für die jeweilige Leistung vor. Für den Bereich O&U ist eine initiale Preisbildung zwischen bisherigem EBM-Erlös und bisheriger DRG-Pauschale gewichtet nach dem bisherigen Grad der stationären beziehungsweise ambulanten Leistungserbringung geboten und in der Gesetzesbegründung auch sinnvollerweise erwähnt. Für die vorliegende Kalkulation wurden die aktuellen EBM-Preise oder DRG-Pauschalen bei durchschnittlicher Grenzverweildauer (ØVWD) berücksichtigt (Daten 2023).

Ermittlung des Ambulantisierungsgrads

Für das derzeit vorliegende Leistungsgeschehen (hier Basis 2019) sind AOP- und EBM-Fälle in Relation zu der Gesamtzahl der Abrechnungsfälle aus dem stationären (DRG-Fälle) aus dem Bereich ambulantes Operieren (AOP) sowie aus dem klassisch niedergelassenen Bereich (EBM) zu erheben. Die Zahlen basieren auf 2019, da nur für diesen Zeitraum auch die Fallzahlen aus dem AOP-Bereich vorliegen und Verzerrungen durch die Folgen der Coronapandemie ausgeschlossen sind. Für die häufigsten OPS-Ziffern in den ausgewählten Behandlungsschwerpunkten wurde dieser Zusammenhang untersucht und das Ergebnis für jeweils eine exemplarische OPS in Tabelle 2 zusammengeführt. Ein Ambulantisierungsgrad von 0,4 entspräche somit einer 40-prozentigen ambulanten Erbringung dieser Leistung.

Wenig überraschend ist ein geringerer Ambulantisierungsgrad bei den komplexeren Eingriffen. Zum Teil liegt diesem aber auch ein Codierungseffekt zugrunde, da bestimmte OPS-Ziffern im ambulanten beziehungsweise stationären Sektor unterschiedlich häufig verwendet werden. Insbesondere bei Vorfußoperationen und Arthroskopien besteht ein Eingriff aus mehreren Teilschritten. Demzufolge macht es gegebenenfalls ökonomisch Sinn, ist aber auch der Limitation der Abrechnungssystematik geschuldet, den einen oder anderen Teilschritt zu codieren. Diese Verzerrung ist zu berücksichtigen. Es wird vorgeschlagen, den Ambulantisierungsgrad zu Beginn pauschal für die OP- und Schnitt-Naht-Zeit-Kategorien des EBM anzusetzen (Tabelle 3). Daraus kann eine Pauschale nach einer entsprechenden Formel berechnet werden (Abbildung).

Die SV-Pauschale für die „Prozedur Arthroskopische Refixation und Plastik am Kapselbandapparat des Schultergelenkes: Erweiterung des subakromialen Raumes“ bemisst sich, wie in Tabelle 4 beispielhaft dargestellt.

Im Rahmen einer Mischpreisbildung ändert sich bei einfachen Eingriffen nicht viel an der ursprünglichen Vergütung. Bei höher komplexen Eingriffen entwickelt sich der Preis in Richtung DRG. Die Werte zeigen im Wesentlichen den heutigen Ambulantisierungsgrad.

Berücksichtigung individueller Verweildauern

Die Verweildauer entsprechend § 115 f. Abs. 1 SGB V ist dieser Empfehlung folgend explizit nicht zu berücksichtigen: Die Pauschale ist einheitlich zu handhaben, unabhängig von ambulanter oder (kurz)stationärer Erbringung. Der hybride Charakter der speziellen sektorengleichen Vergütung muss gerade auch die Wirtschaftlichkeit einer kurzstationären Unterbringung sicherstellen.

Berücksichtigung von Implantatkosten

Im Rahmen der SV-Pauschale sollten die nicht selten hohen Implantatkosten – analog der bisherigen Regelung im Rahmen ambulanter Operationen – zunächst nicht pauschal berücksichtig werden und in eine Direktabrechnung überführt werden. Vorgeschlagen wird, einen dreiseitig konsentierten Katalog erstattungsfähiger Implantate bundesweit zu erstellen und von den Vertragspartnern zu pflegen. Über zwei Jahre erfolgt die IST-Kostenerstattung weiter und ermöglicht den bundesweiten Aufbau eines Registers. Aufgrund dieses Registers sollten die Krankenkassen dann (individuelle) Preisvereinbarungen mit den Herstellern treffen können. Die positiven Wettbewerbseffekte einer solchen Regelung sind unbestritten und dürften sich auf die bisher undurchsichtigen Einkaufs- und Verbrauchsmodalitäten in diesem Bereich positiv auswirken.

Abrechnung der speziellen sektorengleichen Fallpauschale

Zur Abrechnung berechtigt sind laut § 115 f. Abs. 3 SGB V alle Leistungserbringer, die die Voraussetzungen zur Erbringung von Leistungen aus dem AOP-Katalog nach § 115 b SGB V erfüllen, das heißt neben Krankenhäusern auch Praxiskliniken, ambulante OP-Zentren et cetera. Vorgesehen ist eine Direktabrechnung mit der Krankenkasse. Die Beauftragung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) als Dienstleister ist möglich.

Eine Abrechnung dieser OPS-Ziffern über eine DRG-Pauschale ist zukünftig erschwert, wenngleich nicht ausgeschlossen. Da der neue § 115 f. SGB V explizit auf den Regelungen des AOP-Katalogs für das Jahr 2023 aufbaut beziehungsweise diesen zur Grundlage für die Leistungsidentifikation bestimmt, sind auch bezüglich der neuen sektorengleichen Leistungserbringung künftig Prüfungen hinsichtlich der im AOP-Katalog neu vereinbarten Kontextfaktoren nicht ausgeschlossen. Im Rahmen der vorgeschlagenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen wird auch an dieser Stelle analog der Vorgehensweise beim ambulanten Operieren vom Medizinischen Dienst (MD) vermutlich genau hingeschaut.

In dieser wissenschaftlichen Umsetzung für O&U wird eine Annäherung an spezifische Leistungen oder Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) explizit für alle relevanten Versorgungsschwerpunkte, das heißt auf Basis von DRG, gewählt. Der Konzeption des hier empfohlenen fachinternen Vorschlags folgend wäre eine Abrechnung von DRG in den sieben Behandlungsschwerpunkten nur möglich, wenn der DRG-Grouper aufgrund von Diagnose- oder Begleiteingriffen eine höhergradige DRG-Zuordnung ausgibt. Andernfalls gilt der neue Preis: die spezielle sektorengleiche Vergütung (SV-Pauschale).

Aus dieser Grouper-Systematik könnte sich perspektivisch ein Ansatz, die Abrechnung ambulanter Leistungen konsequenter zu denken, ergeben. Definierte Leistungen wären in Gänze aus der DRG-Systematik und dem AOP-Katalog herauszunehmen und damit eine konsequente Umsetzung der Ambulantisierung nach internationalem Vorbild zu erreichen.

Zu eng, im Sinne eines zukunftsfähigen Vorstoßes, sind die expliziten Regelungen des § 115 f. SGB V zum Beispiel zur Auswahl der Leistungen. Diese beeinflussen sodann auch die Gestaltung der Vergütungssystematik. So wollte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) keine Öffnung hin zu Leistungen aus dem gesamten EBM Anhang 2. Mitgedacht wurde auch keine Trennung relevanter Leistungen im ambulanten Bereich von der DRG-Systematik. In der Art können DRG auch weiterhin abgerechnet werden. Um das umfangreiche Ausschöpfen aller Möglichkeiten zur Abrechnung von DRG-Leistungen zu begrenzen, sind wiederum strikte Wirtschaftlichkeitsprüfungen notwendig. Der MD wurde im Gesetz entsprechend bedacht.

Die Operationalisierung des Gesetzes kann nur in den Grenzen der realisierten Vorstellungen des BMG erfolgen. Da die Potenziale einer Reform nicht umfangreicher genutzt werden, wird Deutschland im internationalen Vergleich vermutlich auch perspektivisch das Nachsehen haben. Um voranzukommen, sind weitere mutigere Neuordnungen notwendig. Es wird sich zeigen, ob im Rahmen der Frist bis 31. März 2023 ein Konsens innerhalb der Selbstverwaltung möglich ist oder letztlich das BMG per Rechtsverordnung den § 115 f. SGB V inhaltlich ausgestaltet.

In jedem Fall finden sich im DRG-Katalog Leistungen für O&U mit hohen Fallzahlen, kurzen Verweildauern und ohne wesentliche Begleitmorbiditäten, welche sich für eine pauschale Vergütung sektorenübergreifend eignen. Die OPS-Ziffern, die diese DRG „triggern“, können identifiziert und in einen Katalog „Sektorengleiche Vergütung“ überführt werden. Zur initialen Preisbildung fließt der Ambulantisierungsgrad mit ein – das heißt, je mehr ein Eingriff bereits jetzt ambulant erbracht wird, desto mehr tendiert der Preis in Richtung EBM-Erlös.

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