Die Krankenhausreform muss jetzt kommen, fordert Roland Engehausen. Feinjustieren könne man immer noch. Die Reform funktioniere aber nur dann, wenn der freie Patientenzugang zum stationären Bereich eingeschränkt wird, appelliert der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft.
Herr Engehausen, Bund und Länder haben sich im Kampf um die Krankenhausreform nun ein halbes Jahr beharkt mit dem Ergebnis, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Finanzierungsreform allein als Bundesgesetz einbringen will. Was halten Sie davon?
Es ist jetzt wichtig, dass eine Entscheidung fällt. Der Modus des Redens und Beschuldigens muss enden. Der Bundesgesundheitsminister darf nicht länger so tun, als ob er für die bedrohliche Lage der Krankenhäuser seit 2022 keine Verantwortung trägt. Die Reform ist ein Prozess mit einer gewissen Wegstrecke. Wahrscheinlich fällt auch eine Bundestagswahl in diese Zeit. Es wird also Zeit zur Feinjustierung geben, wenn jetzt eine Reform politisch beschlossen wird.
Wo sehen Sie Konsens, an den beide Streitparteien anknüpfen können?
Einige Eckpunkte und Ziele sind unstrittig. Wir müssen mehr ambulant machen und komplexe stationäre Leistungen können noch spezialisierter erbracht werden. Außerdem müssen wir mit weniger Ressourcen einen waschsenden Behandlungsbedarf bedienen.
Sind Leistungsgruppen und Vorhaltefinanzierung aus Ihrer Sicht die richtigen Instrumente?
Leistungsgruppen können sinnvoll sein, wenn zwei Bedingungen zur Versorgungssicherheit erfüllt sind: Erstens dürfen die Strukturvorgaben nicht überzogen sein und kooperative Kompetenzen sollte berücksichtigt werden. Zweitens sollte ein Trend zu immer kleinteiligeren Ausdifferenzierungen der Leistungsgruppen von Anfang an vermieden werden. Aus meiner Sicht springt die Reform aber zu kurz, weil sie nur auf die Angeboteseite zielt. Dem Bund fehlt der Mut, die Patientensteuerung in den Fokus zu nehmen. Sei es bei Notfällen oder bei speziellen Leistungen – kein Gesundheitssystem im Westen erlaubt einen so großen unkoordinierten Zugriff auf die stationären Leistungen wie unseres. Daran ändert auch diese Reform nichts.
Patientensteuerung klingt gut – aber heißt das, was Sie fordern, nicht schlicht Rationierung?
Wir werden uns die Frage der Reduzierung verfügbarer Leistungen stellen müssen. Wir brauchen ein stringenteres Gatekeeping. Nehmen wir das von Krankenkassen, Ökonomen und Bundespolitikern häufig zitierte Beispiel Dänemark. Dort läuft die Patientensteuerung vor allem über die lokalen Strukturen und Hausärzte. Da haben die Patienten bei weitem nicht die freie Wahl wie in unserem System. Es ist ein System mit extrem starker Patientensteuerung – und viel mehr Investitionen in Prävention.
Wäre dieses hausärztliche Gatekeeping ein Modell für Deutschland?
Vermutlich ja. Denkbar wäre auch der Ausbau der Eigenbeteiligung, die aber in Deutschland kritisch betrachtet wird. Die geplante Krankenhausreform wird die Verknappung der stationären Versorgung weiter beschleunigen. Daraus folgende Wartezeiten und längere Fahrwege können ohne eine Patientensteuerung sehr problematisch werden.
Karl Lauterbach suggeriert, dass das System ohne Leistungseinschränkungen reformiert werden kann, indem man es effizienter macht. Ist das ein Illusion?
Ein weiterhin völlig geöffneter Patientenzugang wie bisher bei reduzierten Kapazitäten ist kaum vorstellbar. Die Folge wäre: noch mehr Druck auf die Mitarbeitenden. Das wiederum werden das System und die Menschen nicht aushalten.
Effizienzreserven sind im deutschen System vorhanden: Doppeluntersuchungen, unnötige Eingriffe oder überfüllte Notaufnahmen. Wie viel Anteil haben diese Fehlentwicklungen an der Überlastung des Systems?
Wenn im Gesundheitswesen gespart werden soll, müssen Behandlungsfälle reduziert werden. Potentiale dafür sind vorhanden. Je Behandlungsfall sind wir in Deutschland im stationären Sektor dagegen zu günstig im internationalen Vergleich, wodurch ja der enorme ökonomische Druck auf die Krankenhäuser und die Beschäftigten entsteht, gerade seit der Inflation seit 2022. Nirgendwo sonst in Westeuropa ist ein stationärer Behandlungsfall so billig wie bei uns. Leider gibt es in der geplanten Krankenhausreform kein System, einerseits die Fallzahlen durch bessere Steuerung zu reduzieren und anderseits die Erlöse je Fall anteilig zu erhöhen.
In nahezu allen anderen Systemen haben Patienten längere Wartezeiten. Ist das eine Entwicklung, mit der wir – neben der Rationierung – rechnen müssen?
Ja, offenbar ist die Bundesregierung fest entschlossen, diesen Weg der Strukturreduzierung mit der Reform aus finanziellen Gründen zu gehen. Wir erwarten daher, dass die Bundesregierung dies ehrlich ausspricht, statt eine vermeintliche Qualitätsdebatte vorzuschieben, mit der Krankenhäuser pauschal in gut und schlecht eingeteilt werden.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat eine Studie zur Vorhaltefinanzierung vorgestellt – und die Vorhaltepauschalen als nicht praktikabel eingestuft. Teilen Sie dieses harte Urteil?
Die Hoffnung, dass durch die Pauschalen der Anreiz auf die Fallmenge weniger wird, teile ich auch nicht. Die Studie von Vebeto zeigt deutlich, dass die 20-Prozent-Korridore und Stichtage im Vorhalte-System des Gesundheitsministeriums erneut wie im DRG-System falsche Leistungsanreize setzen, die mit sinnvoller Versorgung wenig zu tun haben. Die Vorhaltepauschalen würden vermutlich zu einer dauerhaften Reform-Baustelle werden.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) setzt stattdessen auf die Weiterentwicklung der Zuschlagssysteme. Ist das nicht zu kurz gesprungen?
Es wäre zumindest zum Start das einfachere System mit hoher Zielgenauigkeit und transparenter Wirkung. Das geplante Modell der Bundesregierung bringt dagegen für eine bessere Bedarfsorientierung in der Versorgung wenig bis gar nichts - außer ein DRG 2.0 mit noch mehr Komplexität.
In der Krankenhausplanung hat sich NRW als Pionier auf den Weg gemacht. Bayern erscheint weniger ambitioniert. Fehlt der Veränderungswille im Freistaat, weil noch genug Geld da ist?
Die Krankenhausplanung verlief in Bayern weitgehend einvernehmlich mit Zustimmung aller Mitglieder des Planungsausschusses einschließlich der Kassen. Allerdings steht auch der Freistaat nun angesichts der geänderten Rahmenbedingungen für die stationäre Versorgung vor planerischen Herausforderungen. Bei aktuellen Standortveränderungen werden die Krankenhausträger aktiv vom Gesundheitsministerium etwa durch die Finanzierung durch Gutachten unterstützt, was wir begrüßen. Wichtig sind aus meiner Sicht drei Dinge: Erstens die Sicherstellung der wohnortnahen Grundversorgung – und für jene Regionen, in denen sich die Schließung wichtiger stationärer Leistungen abzeichnet, ein bedarfsgerechter Ausbau der Rettungsmittel und möglichst eine Stärkung der ambulanten Strukturen. Zweitens muss der Freistaat für bestimmte Leistungen mit hohen Struktur- und Personalvorgaben aktiver bestimmen, wo sie stattfinden sollen. Drittens muss das Land bei anstehenden Neubauten strategisch bereits jetzt die möglichen Anforderungen der geplanten Krankenhausreform des Bundes berücksichtigen.
Das klingt vielversprechend, allerdings wird Landeskrankenhauspolitik auch von Klientelismus bestimmt. Bisher konnten Landräte, Kreistage und ihre Wähler den Status quo meist erfolgreich verteidigen …
Es gehört zu den Aufgaben eines Landrates oder Oberbürgermeisters, wegen der Sicherstellung der stationären Versorgung auch mit der Planungsbehörde zu sprechen. Die Sicherung der wohnortnahen Versorgung, Förderung der Highend-Medizin, telemedizinischer Vernetzung sowie unnötige Investitionen vermeiden – das sind Herausforderungen für die Krankenhausplaner. Es gibt allerdings keine One-fits-all -Lösung, sondern die unterschiedlichen regionalen Bedarfe und bestehenden Strukturen sind zu berücksichtigen. In Bayern steigt die Bevölkerung in den nächsten 20 Jahren um 4,6 Prozent und altert zugleich.
In NRW hingegen wird eine sinkende Bevölkerung erwartet. In der Metropolregion München mit besonders starken Bevölkerungszuwächsen ist der Bedarf einer Strukturreduzierung vermutlich niedriger als in anderen Ballungsräumen. Außerdem haben wir in Bayern eine besondere Tradition hochspezialisierter Fachkliniken, die auch weiterhin eine Säule der stationären Versorgung bleiben. Wir müssen in Bayern daher nicht alles neu planen.