Gesundheitskioske und -regionen sind auch für Kliniken eine attraktive Option, ist Helmut Hildebrandt überzeugt. Seine Ersteinschätzung zu den Plänen des BMGs im Interview.
Herr Hildebrandt, die Kommunen sollen mehr Spielraum in der Gesundheitsversorgung erhalten. Wie sinnvoll ist das?
Jeder, der wie wir mit Bürgermeistern und Landräten zu tun hat, weiß, dass die kommunalen Gebietskörperschaften mehr Spielraum in der Gesundheitsversorgung benötigen. Bei ihnen melden sich die Bürger, wenn die Versorgung nicht mehr gesichert ist, aber bisher haben sie extrem wenig Möglichkeiten, daran etwas zu ändern – und auch die Kassenärztlichen Vereinigungen sind da zwar willig, aber praktisch recht blank.
Im Gesundheitswesen fehlt bisher eine Verantwortungs- und Entscheidungsebene für die Regionen, wenn man diese mit um die 100.000 Einwohner ansetzt. Der Referentenentwurf will den Gemeinden etwas mehr an Möglichkeiten bieten und liefert zumindest einen gewissen Unterbau für Möglichkeiten, um mit den Gesundheitskiosken wenigstens die Ärzte zu unterstützen, die trotz Überlastung noch die Versorgung aufrechterhalten, aber ansonsten die Patienten der aufhörenden Ärzte abweisen müssten. Konkrete Beispiele für eine solche Unterstützung sind die sozialmedizinische und sekundärpräventive Beratung der Patienten, die Organisation von Bewegungs- und Sportangeboten mit den Vereinen, die Förderung der Gesundheitskompetenz etc. Genau diese Zeit fehlt den Ärzten in prekären Regionen auf dem Land und in den Städten.
Wie bewerten Sie die Pläne von Minister Karl Lauterbach, insbesondere zu Gesundheitskiosken und Gesundheitsregionen?
Erst einmal den Daumen hoch, aber als Praktiker werden wir auch noch viele Verbesserungsvorschläge einbringen. Zum Beispiel brauchen die Kioske – und vielleicht fällt uns gemeinsam ja auch noch ein besseres Wort ein – Verbindungspersonen in den Praxen, Apotheken und Pflegediensten, und sie müssen telemedizinisch vernetzt sein. Bei den Gesundheitsregionen werben wir jenseits freundlicher Gespräche an „Runden Tischen“ für Verantwortungsgemeinschaften, die auch in die Transformation der regionalen Versorgung investieren, und dann aus dem damit erreichten Gesundheitserfolg für die Bürger und die Krankenkassen wieder refinanziert werden. Das ist noch etwas zu kurz gedacht bisher. Aber dazu sind ja Referentenentwürfe da, jetzt können Weiterentwicklungsideen eingebracht werden.
Die Kommunen sollen bei Gesundheitskiosken, aber auch Gesundheitsregionen einen nicht unerheblichen Eigenanteil leisten. Ist diese Hürde zu hoch?
Die Hürde ist zweifellos hoch, aber wie der Entwurf betont, haben die Kommunen auch einen Nutzen daraus. Und wenn das spätere Gesetz auch Möglichkeiten vorsieht, dass die Länder und Dritte den Eigenanteil der Kommunen übernehmen, sehe ich durchaus Möglichkeiten, dass auch in ärmeren Gebieten und solchen, die unter Haushaltssicherung stehen, die notwendigen Schritte eingeleitet werden können. Einige Krankenkassen argumentieren mit der Aufgabe der "Daseinsvorsorge" für noch höhere Eigenanteile. Sie verkennen dabei aber, dass der Nutzen vorwiegend bei den Krankenkassen in der verbesserten Gesundheit ihrer Versicherten ankommt. Zur Verbesserung dieser Nutzenorientierung für die Krankenkassen und die Gesamtgesellschaft werden wir aber auch noch Vorschläge einbringen, sodass ich im Endeffekt die vorgeschlagene Verteilung eigentlich ganz gut finde.
Gesundheitskioske sollen von Pflegekräften geleitet werden. Woher sollen wir dieses Personal noch nehmen – und droht hier nicht ein weiterer Exodus aus den Kliniken?
Ich bin sehr für den Einsatz von Pflegefachkräften und gerade auch den neu ausgebildeten „Community Health Nurses“ in den Gesundheitskiosken, aber der Referentenentwurf ist da zu direktiv. Professionelles Case und Care Management braucht meines Erachtens verschiedene Professionen, da ist auch Sozialarbeiter-Know-how gefragt, und die Zusammensetzung sollte auf die jeweilige Situation ausgerichtet sein. In Thüringen, wo wir mit einer kommunalen Stiftung zusammen die Kooperation von Gesundheitskiosken, Gemeindepflegefachkräften und Arztpraxen, Kliniken und Gesundheitsämtern entwickeln, haben wir erfahrene Pflegefachkräfte sogar wieder in den Beruf zurückholen können. Die waren aus Frustration schon herausgegangen. Jetzt bringen sie ihre Lebenserfahrung und ihre professionelle Kompetenz ein und haben richtig Freude daran.
Welches Potenzial hat der vorliegende Entwurf für die Krankenhäuser?
Keine zwei Tage nach der Bekanntwerdung des Entwurfs hatten wir schon die ersten Anrufe von kirchlichen und privaten Krankenhäusern mit der Anfrage um Unterstützung. Anders als einige Berufsorganisationen haben diese schnell erkannt, dass die Gesundheitskioske ihnen und ihren Ärzten in ihren MVZ erhebliche Entlastungen anbieten können. Ob das die falschen Patienten in den Notaufnahmen sind, wo eine Beratung vorweg im Gesundheitskiosk diese Fehlversorgung vermeiden könnte, oder ob das der fünfte Arztzeitverbrauch eines Patienten in einer Praxis ist, wo eigentlich eher eine sozialmedizinische Beratung, ein Selbsthilfe- oder Peer-Kontakt oder die erfolgreiche Vermittlung zu einer Suchtberatung angesagt wäre. Und kommunale Krankenhäuser können sich ein bisschen von dem Druck ihrer Gesellschafter befreien. Denn in der bisherigen Ermangelung anderer Möglichkeiten schieben die Bürgermeister und Landräte diesen meist die Aufgabe zu, die Versorgungsprobleme zu lösen. Krankenhäuser werden sich sicherlich stark mit den Möglichkeiten des GVSG auseinandersetzen. Mit einigen kommunalen, sogar universitären, aber auch privaten Trägern haben wir dazu auch schon vorgearbeitet, das reicht von Südostbayern über Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein bis nach Greifswald.
Helmut Hildebrand ist Vorstandsvorsitzender der Optimedis AG, die unter anderem die Gesundheitsnetzwerke "Gesundes Kinzigtal", "Gesunder Werra-Meißner Kreis" und "Gesundheit für Billstedt-Horn“ aufgebaut hat.