KHVVG-Anhörung

Vorhaltepauschale: „Es geht um sehr viel Geld“

  • Krankenhausreform
Vorhaltepauschale: „Es geht um sehr viel Geld“
Öffentliche Anhörung des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages (2011) © Deutscher Bundestag / Lichtblick, Achim Melde

Zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) hat am Mittwoch eine Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss stattgefunden. Zwei Stunden beantworteten Vertreter von Verbänden, Fachgesellschaften und Wissenschaft den Parlamentariern ihre Fragen. 

Vorhaltevergütung

Den mit Abstand größten Informationsbedarf hatten die Abgeordneten beim Thema Vorhaltefinanzierung. Jonas Schreyögg, Mitglied des Sachverständigenrats Gesundheit, bezeichnete das Korridormodell der Vorhaltepauschale als grundsätzlich sinnvoll, um Mengenanreize zu beschränken. Weil das Referenzjahr in der Zukunft liegen soll, könnte dieses Ziel jedoch konterkariert werden. Kliniken könnten versuchen, im Berechnungsjahr besonders viel Menge zu machen, um später ein großes Vorhaltebudget zu erhalten – weil es sich aus dem stationären Leistungsvolumen aus dem Referenzjahr errechnet. Damit würde auch der Ambulantisierungseifer der Kliniken gedämpft, warnt Schreyögg. Jürgen Hohnl, Chef des IKK-Bundesverbands, schlug in dieselbe Kerbe. Das Basisjahr für die Vorhaltepauschale sei „sehr strategieanfällig“. Krankenhäuser würden alles machen, um die Fallzahlen nach oben zu treiben. „Es geht um sehr viel Geld“, gab Schreyögg zu bedenken. Er schlägt als Referenzjahr entweder 2023 oder 2023 und 2024 vor. Gerald Gaß, Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), bemerkte, dass die Vorhaltepauschale alles andere als fallzahlunabhängig sei, weil Kliniken Mindestzahlen erreichen müssen, um die Pauschalen zu erhalten. Er schlug als Berechnungsgrundlage stattdessen bestimmte Strukturkriterien wie die Notfallstufen des Gemeinsamen Bundesauschusses vor. Für Hohnl von der IKK wäre stattdessen eine Verengung des Korridors von den geplanten 20 Prozent auf 10 Prozent eine Lösung. Joachim Gemmel aus dem Vorstand der Asklepios Kliniken machte auf Nachfrage deutlich, dass die Vorhaltepauschale aus seiner Sicht weder eine Entökonomisierung noch eine Leistungskonzentration bewirken werde. Stattdessen werde die Pauschale zu weniger Versorgungsangebot und lange Wartelisten führen. 

Vorhaltefonds

Zur Sprache kam auch die Idee eines Vorhaltefonds, den Boris Augurzky vor über einem Jahr in die Diskussion eingebracht hatte. Jonas Schreyögg bezeichnete solch einen Fonds als gutes Instrument. Mit einem solchen Fonds würde das Geld regelmäßig und gestückelt an die Kliniken fließen. Das könnte den Anreiz, weniger Leistung zu machen, dämpfen, so Schreyögg. „Andernfalls könnten Kliniken versuchen, das Budget möglichst früh auszuschöpfen.“ Perspektivisch sei der Fonds auch eine Grundlage für eine fallzahlunabhängige Vorhaltepauschale, schätzt Schreyögg. Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbands, wies darauf hin, dass die Entkoppelung der Fondszahlungen von Fällen nicht bedeute, dass das Budget von den Fällen entkoppelt ist. Insgesamt, so resümierte Radbruch, sei das Thema Vorhaltung ein ziemlich komplexer Prozess. 

Finanzlücke der Kliniken

Gerald Gaß rief den Abgeordneten in Erinnerung, dass eine mögliche Vorhaltefinanzierung erst 2027 greife. Bis dahin würden viele Krankenhäuser nicht überleben. „Die Krankenhäuser haben eine Kostenerlöslücke von sechs Milliarden Euro pro Jahr“, so Gaß. Die von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Verbindung mit der Krankenhausreform gegebenen Milliarden-Versprechen bezweifelt Gaß. „Nach unseren Berechnungen erhalten die Krankenhäuser durch die neuen Regelungen im Jahr 2024 nur rund 500 Millionen Euro mehr.“ Gaß erneuerte die DKG-Forderung einer rückwirkenden Erhöhung der Landesbasisfallwerte für 2023 und 2024. Die Kliniken bräuchten jetzt eine wirksame Maßnahme, so Gaß.

Auch Wissenschaftler Boris Augurzky vom RWI beschrieb die drastischen Veränderungen im Klinikmarkt. Die Fallzahlen seien deutlich geringer als vor der Coronakrise, was „auf der Erlösseite zu Einbußen“ führe. Gleichzeitig hätten Ukrainekrieg, Inflation und höhere Löhne die Kosten in die Höhe getrieben. Anders als Gaß sind für ihn jedoch nicht Finanzspritzen, sondern die geplanten Regeländerung der Schlüssel fürs Überleben. „Wenn es keine Reform gibt, wird sich diese Negativspirale fortsetzen“, sagte Augurzky, der auch in Lauterbachs Regierungskommission sitzt. 

Level-1i-Kliniken    

Der Hamburger Allgemeinmediziner Michael Groening, Impulsgeber und ärztlicher Projektleiter des Projekts STATAMED, unterstrich die Notwendigkeit der geplanten Level-1i-Kliniken. Vor allem für ältere Patienten mit chronischen Erkrankungen fehle das Versorgungsmodell in Deutschland. Oft landen sie in der Notfallaufnahme, wo sie nicht hingehörten. Groening nannte die Herzschwäche als Beispiel. Sie sei meist die Folge von vorherigen Erkrankungen am Herz wie etwa eines Herzinfarkts. „Ein Patient mit Herzschwäche braucht keine kardiologische Behandlung, sondern einen Allgemeinmediziner“, so Groening. Viele dieser Patienten seien schon im ambulanten Sektor identifiziert, sodass die Patientenbehandlung im Grunde problemlos an der Notaufnahme vorbei geplant werden könne – durch zielführende Kommunikation zwischen Hausarzt und einem Level-1i-Haus.

Auch Professor Ferdinand Gerlach, ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrats Gesundheit, hält Level 1i für eine “gute Grundidee“. Schließlich sei die Versorgung von älteren, chronisch Kranken in Deutschland auch im internationalen Vergleich schlecht. Gerlach hat jedoch Bedenken bei der geplanten Zulassung der Kliniken für die hausärztlichen Versorgung. Es könne zu Rosinenpickerei und Etikettenschwindel seitens dieser Häuser kommen. Er schlug den Parlamentariern deshalb vor, eine Leistungsgruppe „Hausärztliche Versorgung“ einzuführen. Kliniken sollten für die ambulante Sicherstellung nur zeitlich befristet zugelassen werden, anschließend sollte das Geschehen evaluieren werden, forderte der gelernte Allgemeinmediziner. Die Zulassung von Kliniken soll sich nach Gerlachs Meinung zuerst nur auf unterversorgte Regionen beschränken. 

Transformationsfonds

Auch zum umstrittenen Transformationsfonds hatten die Abgeordneten Fragen. AOK-Chefin Carola Reimann, die als SPD-Abgeordnete und Ausschussvorsitzende viele Jahren selbst den Gesundheitsausschuss geleitet hatte, unterstrich, dass „es weder die Aufgabe der PKV noch der GKV“ sei, den Transformationsfonds zu finanzieren. Wenn man jedoch diesen Weg gehe, müssten die Lasten fair verteilt sein. Schließlich mache das PKV-Klientel rund zehn Prozent der Krankenhausleistungen aus. Reimann schlug vor, Aufschläge für Klinikbehandlungen zu erheben. „Das wäre eine einfache Lösung, mit der auch ausländische Patienten an der Finanzierung beteiligt würden.“ Christian Karagiannidis, Intensivmediziner aus Köln und Mitglied der Regierungskommission, bezeichnete den Transformationsfonds als „Schlüssel für eine Strukturreform“. Kritisch sieht er, dass der Fonds Verbünde und Telekonsile fördern soll. „Wichtig ist, dass der Arzt am Patienten ist.“ Außerdem müsse der Fonds auch für nachhaltiges Bauen und den Aufbau der Integrierten Versorgungszentren eingesetzt werden.

Rechnungsprüfungen

Stefanie Stoff-Ahnis vom GKV-Spitzenverband warnte vor einer Abkehr von der Einzelfallprüfung. Durch das MDK-Gesetz 2019 müssten die Krankenkassen bereits eine Milliarde Euro mehr auf den Tisch legen. Einen ähnlichen Effekt könnte der Wegfall der Einzelfallprüfung haben. Stichproben seien das falsche Mittel, appellierte sie an die Parlamentarier. „2014 sind Stichproben abgeschafft worden, weil sie wirkungslos und zu bürokratisch waren“, bemerkte Stoff-Ahnis. „Wir haben uns gemeinsam mit der DKG positioniert und fordern ein Aufrechterhalten des bestehenden Systems“, so die Kassenlobbyistin. „Wir könnten uns auch eine Prüfquote von 10 Prozent auf alles vorstellen.“

Der weitere Gesetzgebungsprozess

Am offiziellen Zeitplan von Lauterbach hat sich noch nichts geändert. Die zweite und dritte Lesung des KHVVG ist für den 18. Oktober im Bundestag geplant. Der zweite Durchgang im Bundesrat wäre am 22. November und dann könnte das Gesetz zügig verkündet werden und damit amtlich sein. Allerdings gibt es Zwist mit den Bundesländern – auch viele SPD-geführte Länder fordern Änderungen von Lauterbach. Die Länder hatten im Juli einen mit 16 zu null Stimmen gefassten Forderungskatalog ins BMG geschickt. Um den Vermittlungsausschuss zu vermeiden, will der Minister deshalb auf einige Forderungen der Länder eingehen – zeigt sich aber bei den zentralen Forderungen der Länder nicht kompromissbereit. Würde der Vermittlungsausschuss (32 Mitglieder und Stimmen, je zur Hälfte aus Bundestag und Bundesrat) das Gesetz mit einer Zweidrittelmehrheit (21 Nein-Stimmen) ablehnen, wäre es gescheitert. Denn dann könnte es nur noch in Kraft treten, wenn der Bundestag es mit einer Zweidrittelmehrheit beschließt – was nahezu ausgeschlossen ist. Allerdings ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat eine absolute Seltenheit. Das ginge nur mit massivem "Friendly fire" durch die SPD-Landesfürsten. Insofern bleibt es eine spannende Frage, wie Bundesgesundheitsminister Lauterbach in den nächsten Wochen seine Schäfchen ins Trockene bekommt.

Autor

 Jens Mau

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